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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach beim „Forum Bellevue zur Transformation der Gesellschaft“ über die tief greifenden Umbrüche in Deutschland.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Update

Höhenflug der AfD: Steinmeier bat Ampel-Spitzen zu Gesprächen ins Bellevue

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schaltet sich angesichts der hohen Umfragewerte der AfD in die Debatte ein. Den Höhenflug der Partei nennt er „beunruhigend“.

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Der Umfrage-Höhenflug der AfD und die schlechten Umfragewerte für die Ampel-Koalition versetzen den politischen Betrieb in Berlin zunehmend in Unruhe. Um sich ein Bild zu machen, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) nach Informationen des Tagesspiegels in den vergangenen beiden Wochen FDP-Chef Christian Lindner, die Grünen Co-Vorsitzende Ricarda Lang und CDU-Chef Friedrich Merz zu vertraulichen Gesprächen in seinen Amtssitz ins Schloss Bellevue eingeladen.

Auch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), mit dem sich Steinmeier ohnehin in regelmäßigen Abständen trifft, gab es in den vergangenen beiden Wochen ein Gespräch. Über die Intervention des Bundespräsidenten hatte zuerst „Bild am Sonntag“  berichtet.

Steinmeier sagte am Sonntag im ZDF-“Sommerinterview“, das AfD-Umfragehoch sei „beunruhigend“. Zugleich warnte er die etablierten Parteien vor gegenseitigen Schuldzuweisungen. „Damit greifen wir zu kurz“, sagte er. Wenn sich größere Teile der Wählerschaft von den regierenden Parteien abwenden und die Union als größte Oppositionspartei davon nicht profitiert, „dann ist etwas im Gange, was Fragen aufwirft“.

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Viele Menschen hätten das Bedürfnis nach Antworten, etwa darauf, was aus dem Arbeitsplatz wird, wie sich die Inflation entwickelt, ob die Positionierung im Ukraine-Krieg oder mit Blick auf die Flüchtlingsbewegung an Europas Grenzen richtig sei, so Steinmeier. Die regierenden Parteien müssten sich fragen, ob sie die richtigen Themen hätten, ob Themen ausgelassen werden, ob die richtige Art der Kommunikation gewählt wird und ob es zu viel Streit gebe, sagte Steinmeier weiter. Es gehe darum, wieder zu lernen, „demokratischen Streit miteinander zu führen, ohne in Hass und Hetze auszubrechen“.

Die AfD erreicht in bundesweiten Umfragen aktuell Werte von bis zu 20 Prozent. Angesichts des Streits in der Ampel-Koalition sind nach einer Insa-Umfrage im Auftrag der „Bild am Sonntag“ (BamS) bereits 70 Prozent der Menschen in Deutschland mit der Arbeit der Bundesregierung unzufrieden. Nur 23 Prozent der Befragten zeigten sich zufrieden.

Aber mir ist zu viel Moralisierung in der Klimadebatte und zu wenig industriepolitische Praxis.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Zur Unzufriedenheit in der Bevölkerung trägt unter anderem die immer noch nicht beendete Debatte über das Heizungsgesetz bei, das nun nach der Sommerpause im Bundestag verabschiedet werden soll. In einer Rede im Rahmen der Gesprächsreihe „Forum Bellevue“ hatte Steinmeier am Freitag den Ausstieg aus Kohle und Gas angesprochen, der auch durch das Heizungsgesetz vorangebracht werden soll.

Er stellte die Frage, wie der Umbruch in der Energiepolitik so bewältigt werden könnte, dass der Zusammenhalt in der Bevölkerung erhalten bleibe. „Diese Fragen treiben mich um, und ich weiß aus vielen meiner Gespräche überall im Land, dass es den Bürgerinnen und Bürgern genauso geht“, hatte Steinmeier gesagt.

Der Bundespräsident erinnerte an die Verpflichtung der Bundesregierung, der zufolge Deutschland bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden soll. Niemand wolle dieses Ziel revidieren, so Steinmeier. „Aber mir ist zu viel Moralisierung in der Klimadebatte und zu wenig industriepolitische Praxis, zu viel allgemeine Beschwörung und zu wenig konkreter, tatsächlicher Ausbau der neuen Infrastrukturen, ohne die es nicht geht“, fügte er hinzu.

Weil fordert „genügend Zeit für eine öffentliche Diskussion“

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte angesichts des AfD-Höhenflugs eine bessere Regierungsarbeit. „Dazu gehört, extreme Sorgfalt auf eine verständliche Begründung von Maßnahmen aufzuwenden, genügend Zeit für eine öffentliche Diskussion zu geben und auf berechtigte Kritik zu reagieren“, sagte der SPD-Politiker dem Tagesspiegel. Dies sei am Beginn der Diskussion über das Heizungsgesetz unterblieben und belaste die Debatte bis heute.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wendet sich gegen „Klimaschutz mit der Brechstange“.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil wendet sich gegen „Klimaschutz mit der Brechstange“.

© dpa/Julian Stratenschulte

Nach den Worten von Weil sei es zwar zu einfach, den Zuspruch für die AfD allein auf das umstrittene Gesetz zurückzuführen. Das Vorgehen der Ampel-Koalition habe aber die grundlegende Sorge vieler Menschen bestärkt, auf die Fülle der anstehenden Veränderungen keinen Einfluss nehmen zu können.

„Klimaschutz mit der Brechstange dient dafür als besonders geeignetes Beispiel.“ Die Politik müsse sich dessen bewusst sein und die richtigen Schlussfolgerungen ziehen. „Der Zuspruch für die AfD kommt nicht von ungefähr, aber er lässt sich durch gute Politik auch wieder deutlich zurückdrängen.“

Demokratie lebt von Diskussion und dem Ringen um den besten Weg.

Franziska Giffey, Berliner Wirtschaftssenatorin

Grünen-Chef Omid Nouripour sagte der BamS selbstkritisch: „Die letzten Wochen waren sicher kein Glanzstück.“ Die Ampel habe viel hinbekommen, aber „manches war zuweilen etwas anstrengend und aufreibend für alle, da ist sicherlich Luft nach oben“.  

„Demokratie lebt von Diskussion und dem Ringen um den besten Weg“, sagte die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey dem Tagesspiegel. Offener Streit in einer Koalition hingegen schade jedem Anliegen, sagte die SPD-Politikerin weiter.

„Wenn notwendige Veränderungen wie beim Klimaschutz anstehen, ist es wichtig, diese zu erklären, Unterstützungsangebote von staatlicher Seite aufzuzeigen und auch die Vorteile dieser Veränderungen klarzumachen“, zeigte sie sich überzeugt Anders werde man die Menschen nicht gewinnen.

Unterdessen forderte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Andreas Jung, dass die Ampel sich „für einen grundlegenden Neustart ihrer Klimapolitik öffnen“ müsse. „Klimaschutz geht nur mit den Menschen und mit der Wirtschaft zusammen“, sagte er weiter. Entscheidend sei dabei, auf dem Weg zur Klimaneutralität Arbeitsplätze und Wertschöpfung zu erhalten und die Menschen in der Stadt und auf dem Land gleichermaßen mitzunehmen. Entlang dieser Grundsätze „sind wir zur Zusammenarbeit mit der Ampel bereit“, betonte der CDU-Politiker. Nach seinen Worten liege es nun an der Regierungskoalition, „ob sie den engstirnigen Kurs der Polarisierung fortsetzt oder sich einer neuen Breite für gesellschaftliche Akzeptanz öffnet“.

Zuvor hatte Steinmeier in seiner Rede kritisiert, dass zwar große Bereiche des Energiebedarfs elektrifiziert werden sollten – etwa bei der Produktion von Wasserstoff oder beim Umstieg auf Elektroautos. „Aber wir gewinnen den Strom aus weniger Quellen, weil Atomkraft und Kohleverstromung enden. Wie geht diese Rechnung in den kommenden Jahren auf? Das sind konkrete Fragen, die konkrete Antworten erfordern, wenn das Vertrauen der Menschen gewonnen werden soll“, sagte er.

Die gegenwärtigen Transformationen, mit denen die Gesellschaft konfrontiert ist, seien „größer sind und tiefer reichen als das, was man mit dem behutsamen Wort des ‘Strukturwandels’ bezeichnet“, hatte der Bundespräsident gesagt. Die gegenwärtigen Veränderungen fänden nicht innerhalb von gegebenen Strukturen statt, „sondern sind Brüche des Gewohnten“, so Steinmeier. „Sie können nicht mit politischen Routinen beantwortet werden, sondern erfordern neues Denken“, sagte der Bundespräsident weiter. (mit AFP)

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