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SPD-Veranstaltung in Bremen.

© AFP/Carmen Jaspersen

Historiker Süß zum 160. Geburtstag der SPD: „Die Angebote der Sozialdemokraten hinken der Zeit zu oft hinterher“

Beflügelt der Stolz auf die eigenen Leistungen die Sozialdemokraten? Oder erdrückt die Last der Vergangenheit die Partei? Der Historiker Dietmar Süß sieht das große Erbe als „Fluch und Segen“ zugleich.

Von Hans Monath

Herr Professor Süß, die SPD feiert ihren 160. Geburtstag. Was ist das Besondere am Umgang der Partei mit ihrem Erbe?
Es gibt keine andere deutsche Partei, für die ihre eigene Geschichte ein solches wesentliches Lebenselixier bedeutet wie für die Sozialdemokratie. Das ist Fluch und Segen zugleich.

Nun hat die SPD von allen deutschen Parteien auch die längste Geschichte. Warum ist ihr die so wichtig?
Auf ihre lange Parteigeschichte können Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit Recht stolz zurückblicken. Die SPD hat die Geschichte der Demokratie in Deutschland geprägt. Gleichzeitig wirkt diese Erinnerung wie eine Last. Je länger die sozialdemokratischen Helden der Vergangenheit tot sind, umso schwerer drückt das Gewicht der Erinnerung auf die Schultern der Gegenwart.

Fast überall in Europa liegt die Sozialdemokratie darnieder, ihre Stimmanteile haben sich seit 50 Jahren oft halbiert. Steckt die Sozialdemokratie nicht in ihrer tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg?
Die Diagnose der Krise begleitet die Parteigeschichte der Sozialdemokratie schon lange, aber ich rate da zu Zurückhaltung. Die heutigen Sozialdemokraten müssen mit völlig veränderten Bedingungen zurechtkommen, die sozial-moralischen Milieus sind heute andere, das Parteiensystem hat sich ausdifferenziert. Deshalb spricht wenig dafür, dass die deutsche oder europäische Sozialdemokratie je wieder ihre Spitzenwerte von vor 50 Jahren erreicht.

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Das nennen Sie dann nicht Niedergang?
Ich würde eher von einer Normalisierung mit Blick auf die Mitte-Links-Parteien sprechen. Schaut man nicht nur auf die SPD, sondern zählt man die Grünen mit hinzu, so hat dieses politische Lager doch weiter einen erheblichen Einfluss auf Politik und Gesellschaft.

Breslauer Lassalle-Fahne: In Leipzig wurde der SPD-Vorgänger Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein 1863 gegründet.

© Imago/bonn-sequenz

Die SPD kommt aus der Industriegesellschaft des 19. Jahrhunderts, in der große Gruppen von Menschen in Schichtarbeit in Fabriken ähnliche Tätigkeiten verrichteten. Sind ihre Ideen und Angebote im Zeitalter der Individualisierung, der Spätmoderne noch attraktiv?
Die Angebote der Sozialdemokraten hinken der Zeit zu oft hinterher. Die SPD hat den strukturellen Wandel lange verschlafen. Die soziale Frage ist angesichts des Klimawandels ja drängender als je zuvor. Deshalb müsste die SPD attraktiver werden für Milieus jenseits jener Menschen, die die Partei als Funktionäre tragen, vor allem für die vielen prekär Beschäftigten.

Es ist höchste Zeit, dass in der SPD eine neue Generation von Politikerinnen und Politikern übernimmt, die die Außen- und Sicherheitspolitik wieder ins Zentrum sozialdemokratischer Politik holt.

Dietmar Süß, Professor für Neuere und Neueste Geschichte

Sie haben ein Buch geschrieben über den „seltsamen Sieg“ der SPD bei der Bundestagswahl 2021. Ist Olaf Scholz nur zufällig an der Macht?
Er ist nicht zufällig an der Macht, aber hatte auch Glück. Die SPD hat ihren Wahlkampf diszipliniert und professionell geführt, der Kandidat der CDU und die Kandidatin der Grünen schwächten sich selbst. Dabei ist mir wichtig: Ähnlich wie die SPD kann sich heute auch die Union nicht mehr auf die Gefolgschaft ihrer Wählerinnen und Wähler blind verlassen. CDU/CSU geraten mit etwas Verspätung in den Erosionsprozess, der die SPD schon früher erreicht hat.

Zu mit viel Pathos gepflegten Traditionsbeständen der SPD gehört auch die Berufung auf Willy Brandt und dessen Ostpolitik. Hat diese Fixierung dazu beigetragen, dass die SPD sich länger als andere Illusionen im Hinblick auf die Gefährlichkeit Russlands und Wladimir Putins machte?
Die Ostpolitik hat eine ganze Generation von Sozialdemokraten geprägt und bisweilen auch blind gemacht für die repressiven, autoritären Entwicklungen in Russland. Wir müssen unterscheiden zwischen dem historischen Projekt der Ostpolitik Willy Brandts in den 70er Jahren und der Entspannungspolitik als einem Erinnerungsort der Bundesrepublik. In diese Erinnerung wurden Erwartungen hineinprojiziert, die mit der Geschichte der 70er Jahre nichts zu tun haben.

SPD-Chef Lars Klingbeil ist 42. Kann nur ein Vertreter der jüngeren Generation sich auf den Weg machen, die Außen- und Sicherheitspolitik der SPD nach der Zeitenwende fit für die hässliche Gegenwart zu machen?
Es ist höchste Zeit, dass in der SPD eine neue Generation von Politikerinnen und Politikern übernimmt, die die Außen- und Sicherheitspolitik wieder ins Zentrum sozialdemokratischer Politik holt. Der Streit aber über den Kurs, beispielsweise über die steigenden Rüstungsausgaben, steht der Partei noch bevor.

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