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Verteidigt Bundeskanzler Olaf Scholz gegen Kritik: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

© Phil Dera Photography

Habeck zur Ukraine: „Auf die Rückkehr des Landkriegs sind wir nicht vorbereitet“

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck appelliert auf der Konferenz „Europe 2024“ zu mehr Geschlossenheit in der politischen Debatte. Der Dauerstreit im politischen Diskurs helfe nur Putin.

Von Christoph Reichmuth

Sein Auftritt bildete den Abschluss der zweitägigen Konferenz „Europe 2024“, die der Tagesspiegel gemeinsam mit der ZEIT, dem Handelsblatt und der WirtschaftsWoche ausrichtete. Als der 54-jährige Bundeswirtschaftsminister um kurz nach halb sechs Uhr auf die Bühne trat, meinte er trocken: „Schönen guten Abend. Und danke, dass ich hier das Licht ausmachen darf.“

Den „Kehraus“, wie Habeck auch noch bemerkte, machte der grüne Minister lediglich mit Blick auf die fortgeschrittene Uhrzeit. Der Wirtschaftsminister nahm im Gespräch mit Roman Pletter, Wirtschafts-Ressortleiter der „Zeit“, Stellung zu brisanten Themen. Am Dienstag sorgte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für Schlagzeilen, als er in der Konferenz die Debatte rund um den Marschflugkörper Taurus für die Ukraine als „an Lächerlichkeit nicht zu überbieten“ und als „peinlich“ bezeichnet hatte.

Auf die Frage, ob auch er selbst diese Debatte als lächerlich empfinde, meinte Habeck nach kurzer Pause: „Was er (Scholz) sicherlich hat sagen wollen, ist, dass wir jenseits der Taurus-Frage der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine geworden sind.“ Aus der Kontroverse rund um die Frage, ob Deutschland der Ukraine die Marschflugkörper liefern solle oder – worauf Scholz beharrt – nicht, dürfe man „nicht ableiten, dass Deutschland die Ukraine alleine lässt. Damit hat er komplett recht.“

Habeck mahnt zu mehr Sachlichkeit

Zugleich betonte Habeck, dass die teilweise hitzig und gehässig geführten Debatten innerhalb der Regierungskoalition, aber auch im politischen Diskurs mit der Opposition, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Karten spielten. „So unklar die Kriegsziele von Putin sind, müssen wir schon feststellen, dass er den Westen verachtet und genau diese Form von Austausch als Schwäche erachtet.“

Wir können uns nicht darauf verlassen, dass uns die Amerikaner für alles die Zeche bezahlen.

Robert Habeck, Wirtschaftsminister

Würden solche Konflikte ständig über die Medien öffentlich ausgetragen, werde „sicherlich Putin davon“ profitieren, so Habeck, der anfügte: „Deswegen sind die letzten Wochen nicht gut gewesen.“

Mit Blick auf die Wahlen in den USA und einem möglichen Wahlsieg des Republikaners Donald Trump nimmt Habeck auch die Medien in die Pflicht, denen er „eine Lust am Herbeischreiben des Wahlsiegs von Donald Trump“ unterstellte. Der Wahlsieg Trumps stünde noch längst nicht fest.

Nichtsdestotrotz gelte es. in Europa und konkret in Deutschland auf einen möglichen Wiedereinzug des Republikaners ins Weiße Haus gut vorbereitet zu sein – gerade in militärischen Belangen.

„Europa muss seine eigenen Hausaufgaben in der Wehrhaftigkeit machen“, sagte Habeck. „Dass der Landkrieg zurückgekommen ist, darauf sind wir nicht vorbereitet“, sagte er in Anspielung auf den russischen Überfall auf die Ukraine. „Das müssen wir tun, wir können uns nicht darauf verlassen, dass uns die Amerikaner für alles die Zeche bezahlen.“ Einsatzszenarien zur Landesverteidigung müssten in Deutschland und in Europa generell wieder „reaktiviert werden“, fügte Habeck hinzu: „Wir riskieren enorm viel, wenn wir uns darauf ausruhen, dass wir es nicht tun.“

Nicht jede Frage mit einer Antwort „zudröhnen“

Mit Blick auf eine sich stark verändernde Welt, mit einem Krieg mitten in Europa und einer in Deutschland schwächelnden Wirtschaft und den damit einhergehenden Unsicherheiten in breiten Kreisen der Bevölkerung meinte der gebürtige Lübecker, dass generell mehr Sachlichkeit die Antwort auf aufkommende Ängste sei. Es sei eminent wichtig, aufrichtig miteinander zu diskutieren, „und dann aber genug Raum lassen, um nicht gleich jede Frage, die man haben kann, mit einer Antwort zuzudröhnen“, appellierte er für eine Entschleunigung der politischen und gesellschaftlichen Debatte.

Wir dürfen weder in der Antwortlosigkeit verharren, noch in der Blindheit vor der Veränderung. Das ist demokratische Mündigkeit.

Robert Habeck, Wirtschaftsminister

Die deutsche Gesellschaft sei reif genug für die anstehenden Veränderungen. Aber dazu müsse sich das Land stets bewusst sein, was es dafür benötige: „Wir dürfen weder in der Antwortlosigkeit verharren, noch in der Blindheit vor der Veränderung. Das ist demokratische Mündigkeit.“ Deutschland müsse diese Reife jeden Tag aufs Neue an den Tag legen.

Habeck ging auch auf die in den letzten Wochen geführten Debatten rund um die Schuldenbremse ein. Mit Blick auf das geringe deutsche Wirtschaftswachstum würde Habeck eine Reform der Schuldenbremse gutheißen, machte er deutlich: „Es nützt ja nichts, wenn wir bestaunen, welche Regeln wir uns gegeben haben, wenn die Probleme dadurch größer werden.“ Deutschland brauche „in einer ersten Welle gar nicht so viel, um wieder in Gang zu kommen. Das muss doch möglich sein, um hier in eine gewisse Dynamik hineinzukommen“, sagte der Wirtschaftsminister.

Zum Ende zeigte sich Habeck zuversichtlich, dass Deutschland nach der nächsten Bundestagswahl 2025 bewiesen haben werde, dass das Land die liberale Demokratie mit allen Mitteln verteidige. Er wünsche sich, „dass die Putin-Trolle nur ganz knapp zweistellig geworden sind“, meinte er in Anspielung auf die erstarkte AfD. Und nicht zuletzt, dass er als Bundeswirtschaftsminister weitermachen darf. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Amt, das ich habe“, meinte er mit einem Schmunzeln.

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