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Hubert Aiwanger

© IMAGO/Panama Pictures/Dwi Anoraganingrum

Update

Flugblatt-Affäre: Wusste die CSU schon länger von den Vorwürfen gegen Aiwanger?

Hubert Aiwanger beklagte sich laut einem Medienbericht bereits 2008 über angebliche CSU-Recherchen zu seiner Schulzeit. Horst Seehofer äußert sich dazu vorsichtig.

| Update:

Nur eine gute Minute dauert der Auftritt. Hubert Aiwanger hat am späten Donnerstagnachmittag zu einem Statement eingeladen. Fragen der Journalisten sind nicht zugelassen. Von „zahlreichen Vorwürfen“ und einem „abscheulichen Pamphlet, das vor 36 Jahren in meiner Schultasche aufgetaucht“ sei, spricht Aiwanger.

Er habe das „Pamphlet“, wie er das antisemitische Flugblatt etikettiert, nicht verfasst. „Ich war nie ein Antisemit, ich war nie ein Menschenfeind“, sagt der bayerische Vize-Ministerpräsident, Wirtschaftsminister und Freie-Wähler-Chef.

Er könne sich „nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben“, sagt Aiwanger, habe auch „keine Hitler-Reden vor dem Spiegel einstudiert“. Menschenfeindliche Witze könne er „weder vollständig dementieren noch bestätigen. Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür“.

Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden.

Hubert Aiwanger, bayerischer Vize-Ministerpräsident

Es sei jedoch inakzeptabel, dass derlei Verfehlungen in einer „politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden“. Er habe den Eindruck, „ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden“. Das von ihm gezeichnete Bild „bin nicht ich, ist nicht Hubert Aiwanger“.

Kurz darauf steht Aiwanger vom Tisch mit den diversen Mikrofonen auf. Wer das Wort „Rücktritt“ in Aiwangers Erklärung erwartet hatte, sieht sich enttäuscht. War es das? Gut möglich. Oder wird Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) seinen Stellvertreter und Wirtschaftsminister demnächst entlassen? Ebenfalls gut möglich. In der sogenannten Flugblatt-Affäre wächst der Druck auf Aiwanger jedenfalls.

Aiwanger hatte am Mittwoch zu Vorwürfen von ehemaligen Mitschülern, er habe in der Schule den Hitlergruß gezeigt und Judenwitze gemacht, Stellung genommen und erklärt, er sei „seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte, kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund“. An Hitlergrüße könne er sich nicht erinnern.

Hubert Aiwanger lässt (...) Einsicht und die Bereitschaft zur ehrlichen Auseinandersetzung vermissen.

 Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

Der Zentralrat der Juden und das Internationale Auschwitz Komitee kritisierten Aiwanger. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte der „Bild“-Zeitung: „Hubert Aiwanger lässt auch Tage nach dem Bekanntwerden des antisemitischen Flugblattes aus seiner Schulzeit Einsicht und die Bereitschaft zur ehrlichen Auseinandersetzung vermissen. Es hätte eine schnelle Reaktion in diesem Sinne gebraucht.“

Zentralrat vermisst „Wille zur Aufklärung“

Nun gehe es nicht mehr darum, ob sich jemand in 35 Jahren glaubhaft wandeln könne, sondern „um den Umgang mit den Vorwürfen, der fast schon trotzig wirkt“. Schuster sagte, falls Aiwanger in seiner Jugend „zum Umfeld eines Milieus gehörte, in dem diese Art von Rhetorik und Gesinnung üblich war, sollte ihm in seiner heutigen Position ein Wille zur Aufklärung besonders wichtig sein. Er ist es der Öffentlichkeit schuldig“.

Der geschäftsführende Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, vermisst in der Flugblatt-Affäre eine Entschuldigung Aiwangers. „Bis heute hat Hubert Aiwanger kein einziges authentisches Wort der Entschuldigung gegenüber den Opfern des Holocaust und den Überlebenden von Auschwitz gefunden, die durch das unsägliche antisemitische Flugblatt verhöhnt und herabgewürdigt worden sind“, sagte Heubner am Donnerstag.

Auschwitz Komitee spricht von „verheerendem Bild“

Mit jedem Tag verstärke sich das „verheerende Bild, das er und seine Parteifreunde im Umgang mit der Affäre an den Tag legen und mit dem sie Bayern und Deutschland ständig weiteren Schaden zufügen“, sagte Heubner. „Wenn sich jetzt Hubert Aiwanger auch noch zum Opfer erklärt und mit dem Begriff ,Schmutzkampagne’ die bevorstehende Landtagswahl von den Freien Wählern in Bayern als Abstimmung über die Flugblatt-Affäre missbraucht wird, mutet dies nur noch zynisch und unverschämt an.“

Vorwürfe kamen auch aus den Führungsspitzen von CDU und CSU. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt verlangte Klarstellungen durch Aiwanger. „Bisher ist er sehr, sehr schmallippig geblieben. Das ist der aktuellen Situation sicher nicht angemessen“, sagte Dobrindt dem Sender Welt-TV im sauerländischen Schmallenberg.

CSU vermeidet Rücktritts-Rufe

Aiwangers Rücktritt wurde aus der CSU-Spitze bisher nicht verlangt, ebenso wenig eine Demission durch Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Söder hatte Aiwanger 25 Fragen zu der Affäre zukommen lassen, verbunden mit der Bitte um eine schriftliche Beantwortung. CSU und Freie Wähler koalieren in Bayern. In gut fünf Wochen wird der Landtag neu gewählt. Söder will die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen.

Die CSU-Zentrale war womöglich schon seit vielen Jahren über politische Auffälligkeiten Aiwangers während dessen Schulzeit informiert. So beschwerte sich Aiwanger kurz nach der bayerischen Landtagswahl 2008 beim damaligen CSU-Chef Horst Seehofer darüber, dass ein Mitarbeiter der CSU-Landesleitung angeblich zu seiner Schulzeit im Gymnasium Mallersdorf-Pfaffenberg recherchiere, berichtet der „Spiegel“.

Aiwanger bestätigte dem Magazin die Beschwerde beim damaligen Ministerpräsidenten. Er habe sich bei Seehofer „einen Termin geben lassen“ und ihn gefragt, „ob ich ausgeforscht werde“.

CSU-Mitarbeiter hörte Schilderungen von Aiwanger-Lehrern

Der von Aiwanger beschuldigte CSU-Mitarbeiter bestritt indes die Vorwürfe. In einer schriftlichen Erklärung versicherte er, „zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Erkundigungen über Aiwanger eingeholt“ zu haben. Er habe von Erzählungen ehemaliger Lehrer erfahren, die anlässlich eines Abiturjubiläums davon berichtet hätten, „dass Aiwanger schon als Schüler ein sehr politischer Mensch gewesen sei und dadurch Aufmerksamkeit erregt habe“, heißt es in dem Vermerk aus dem Oktober 2008, aus dem der „Spiegel“ zitiert.

Die CSU erklärte, dass „der aktuellen CSU-Spitze“ von dem damaligen Sachverhalt „nicht das Geringste bekannt“ sei und „keinerlei Akten“ vorlägen. Seehofer teilte dem „Spiegel“ demnach mit, er könne „nicht ausschließen, dass Herr Aiwanger damals gesagt hat, es werde eine unsägliche Kampagne gegen ihn geführt“.

Ihm sei aber „nicht erinnerlich, dass ich einen Auftrag gegeben hätte oder belastbare Informationen bekommen hätte, in der Richtung, wie sie heute über Herrn Aiwanger auf dem Tisch liegen“, sagte er.

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