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 Muss gucken können: Der Bundestag in Berlin

© Foto: IMAGO/Christian Spicker

EU-Flüchtlingspolitik: Regierung hat Parlament zu wenig informiert

Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Mitsprache des Bundestags in Angelegenheiten der Union - erstmals auch bei Sicherheitsfragen

Die Bundesregierung muss das Parlament nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts frühzeitig über EU-Vorhaben im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik informieren. In dem am Mittwoch verkündeten Urteil gab das Gericht den Klagen von Fraktionen der Grünen und Linken im Bundestag statt (Az.: 2 BvE 3/15; 2 BvE 7/15).  Laut Grundgesetz hat die Bundesregierung in EU-Angelegenheiten Bundestag und Bundesrat „umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten“ (Artikel 23). In zwei Fällen habe die Regierung dieses Recht verletzt, urteilten die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats.

Die Parlamentarier durften erst später gucken - in der Geheimschutzstelle

Anlass für die Klagen waren Maßnahmen in der Flüchtlingskrise 2015. Der EU-Rat beschloss damals kurzfristig, die EU-Präsenz im Mittelmeerraum zu verstärken, und ließ ein Konzept für die mittlerweile wieder eingestellte Operation „Sophia“ ausarbeiten. Die Bundesregierung bekam das Papier umgehend zugeleitet. Grünen-Abgeordnete, die sich um Einsicht bemühten, wurden jedoch abgewiesen. Den Parlamentariern wurde das Konzept erst zugänglich gemacht, als die EU-Militäroperation beschlossene Sache war – und dann auch nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags. Abgeordnete sind verpflichtet, über die dort erlangten Kenntnisse Stillschweigen zu bewahren.

Im zweiten Fall ging es um ein Schreiben des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu an alle damals 28 Staats- und Regierungschefs der Union, darunter Kanzlerin Angela Merkel (CDU), in dem Davutoglu die politischen Dimensionen der Krise im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der EU vertieft behandelt haben soll. Eine Linken-Abgeordnete bat vergeblich darum, Einsicht nehmen zu dürfen. Ihr wurde erklärt, dass es sich um ein persönliches Schreiben handele und dass die Korrespondenz der Kanzlerin mit anderen Regierungschefs generell nicht Gegenstand der Unterrichtung des Bundestags sei. Andernfalls werde die Funktionsfähigkeit der Bundesregierung erheblich beeinträchtigt.

 Hierfür ist es erforderlich, dass das Parlament frühestmöglich auf einen der Regierung ebenbürtigen Informationsstand gebracht wird.

Doris König, Vorsitzende des Zweiten Senats beim Bundesverfassungsgericht

Grundsätzlich ist Außenpolitik eine Sache der Exekutive, also der Bundesregierung. Für EU-Angelegenheiten aber gelte eine Ausnahme, um durch den Integrationsprozess beim Bundestag eingetretene Kompetenzverluste auszugleichen, erläuterte die Senatsvorsitzende Doris König bei der Urteilsverkündung zur Regelung von Artikel 23 des Grundgesetzes. Daher gelte eine Unterrichtungspflicht. „Hierfür ist es erforderlich, dass das Parlament frühestmöglich auf einen der Regierung ebenbürtigen Informationsstand gebracht wird“, sagte König.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun erstmals festgestellt, dass die Informationspflicht auch für Maßnahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GVSP) der EU gilt. Entsprechend müsse der Bundestag über Sitzungen der Unionsorgane und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er auf deren Verhandlungslinie und Abstimmungsverhalten noch Einfluss nehmen könne. Das Konzept für die „Sophia“-Operation in der Geheimschutzstelle zu hinterlegen, reiche nicht, „weil die Information des Parlaments auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient“, sagte König. Zwar könne es Einschränkungen der Unterrichtspflicht geben – etwa aus Gründen des Staatswohls – diese habe die Regierung aber darzulegen.

Ähnlich beurteilt der Zweite Senat auch das Schreiben des türkischen Ministerpräsidenten an Merkel: Die Regierung habe es unterlassen, nachvollziehbar darzulegen, dass das Schreiben entweder keine Angelegenheit der Europäischen Union betrifft oder die Zurückbehaltung aus anderen verfassungsrechtlichen Gründen angezeigt gewesen sei. Der bloße Hinweis aber, dass es sich um ein persönliches Schreiben gehandelt habe, genüge nicht.

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