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Machen der Ampel Vorwürfe: Friedrich Merz und Alexander Dobrindt.

© dpa/Michael Kappeler

Bizarrer Streit zwischen Union und Koalition: Manipuliert die Ampel das Wahlgesetz?

CDU und CSU regen sich auf, weil im Südwesten Bayerns ein neuer Wahlkreis entsteht. Was wirklich hinter dem Konflikt steckt.

Dass Wahlkreise neu zugeschnitten werden, ist der Normalfall vor einer Bundestagswahl. In aller Regel hat das mit der Bevölkerungsentwicklung zu tun, denn es gibt Ober- und Untergrenzen für die Größe der Wahlkreise. Eine Wahlkreiskommission macht dazu regelmäßig Vorschläge, die Änderungen sind meist eher geringfügig.

Dass Wahlkreise verschwinden und entstehen, kommt hingegen nicht so häufig vor. An diesem Donnerstag schafft der Bundestag den Wahlkreis „Anhalt“ ab und kreiert einen neuen Wahlkreis „Memmingen-Unterallgäu“.

Diese Wahlkreiswanderung ist leicht erklärt. Sachsen-Anhalt hat nicht mehr genügend deutsche Einwohner für die bisher neun Wahlkreise. Bayern hingegen steht bevölkerungsmäßig an erster Stelle für einen zusätzlichen Wahlkreis. Aber über dieses eigentlich unstrittige Manöver hat sich ein etwas bizarr wirkender Streit zwischen der Union und der Ampel entsponnen.

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„Zutiefst verwerflich“

Unions-Fraktionschef Friedrich Merz wirft der Regierung vor, sie manipuliere das Wahlrecht und schädige die Demokratie. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nannte den Vorgang „zutiefst verwerflich“, weil es der Ampel nur um ihren „Machterhalt“ gehe und sie sich begünstigen wolle.

Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann kontert: Die Vorwürfe der Union entbehrten jede Grundlage und seien durch nichts zu belegen. CDU und CSU sollten ihre Sprache zügeln, denn sie befänden sich mit ihren Vorwürfen im Fahrwasser von Donald Trump.

Das Verschwinden des Kreises „Anhalt“ von der Wahlkarte ist nicht das Streitobjekt – da mosert nur die AfD, weil sie 2021 dort knapp das Direktmandat bekam. „Anhalt“ traf es auch, weil der Wahlkreis von sieben anderen Wahlkreisen umgeben ist, was eine Aufteilung einfach macht.

Warum im Südwesten Bayerns?

Es geht um den blau-weißen Freistaat. Nicht um den Zuwachs an sich allerdings, sondern um die Platzierung des neuen Wahlkreises in der bayerischen Wahlkreisgeografie. Die Koalition entschied sich für den Südwesten des Landes, weil dort zwei Wahlkreise – „Augsburg-Land“ (der den Stadtkreis Augsburg umschließt) und „Ostallgäu“ – zum letzten Stichtag leicht über der zulässigen Obergrenze bei der Bevölkerungszahl lagen. Eine Größe von mehr als 25 Prozent über dem Durchschnitt löst Handlungsbedarf aus, und so war es dort.

Die CSU aber hätte den neuen Wahlkreis lieber in München gehabt und wirft der Ampel nun vor, sich mit der Landesregierung nicht abgestimmt zu haben. In München wäre ein neuer, fünfter Wahlkreis in der Mitte der Großstadt entstanden, weil das Zuteilen aus den vier bestehenden Wahlkreisen so am einfachsten ist. In „München-Mitte“ hätten dann wohl die Grünen das Direktmandat bekommen, das immer an die Stimmenbesten in einem Wahlkreis geht.

Es geht ums Direktmandat

Direktmandate sind in allen Parteien eine besondere Währung – vor allem aber in der CSU. Sie denkt beim Wahlrecht wie keine andere fast ausschließlich in Direktmandaten. Und das ist wohl auch der Hauptgrund für den Streit. Der auch mit der Wahlrechtsreform der Ampel zu tun hat, die vor allem bei der CSU auf Missfallen gestoßen ist. Denn sie könnte theoretisch aus dem Bundestag fallen (wenn unter fünf Prozent in der bundesweiten Berechnung), auch wenn sie in Bayern in allen Wahlkreisen bei den Erststimmen vorne läge.

Derzeit haben die Grünen ein Direktmandat in „München-Süd“. Knapp dran waren sie 2021 auch in „München-West/Mitte“ und „München-Nord“. In der CSU hegt man nun den Verdacht, dass den Grünen ein neuer Wahlkreis in der Mitte die Chancen verringert hätte, in den umliegenden Wahlkreisen Direktmandate zu bekommen und damit einen sehr sichtbaren grünen Fleck in der bayerischen Wahlkarte zu etablieren.

Umgekehrt wird aber auch ein Schuh daraus: Aus Sicht der CSU wäre ein neuer und den Grünen sicherer Wahlkreis „München-Mitte“ wohl ein Garant, in vier von dann fünf Münchner Wahlkreisen relativ absehbar das Direktmandat zu bekommen. Der Ärger ist dann auch so zu verstehen. In der CSU heißt es allerdings auch, die München-Lösung sei ursprünglich vom Bundesinnenministerium präsentiert worden.

Grüne Hintergedanken – oder christsoziale?

In „Memmingen-Unterallgäu“ wird die CSU das Direktmandat sicher haben. Aber auf der Suche nach Nachteilen ist sie beim Neuzuschnitt des Wahlkreises „Augsburg-Stadt“ fündig geworden. Denn aus dem wird das Städtchen Königsbrunn herausgenommen, das zum Landkreis Augsburg gehört. Die CSU sieht dariun eine missgünstige Aktion – und vor allem eine überflüssige, denn weder sei es dringlich gewesen, „Augsburg-Stadt“ kleiner zu machen, noch, „Augsburg-Land“ zu vergrößern, heißt es.

Schon sieht die CSU das Direktmandat für ihren Abgeordneten Volker Ullrich dort als gefährdet an – und zwar von der grünen Kulturministerin Claudia Roth. Die hatte 2021 zwar deutlich mehr Erst- als Zweitstimmen, aber der CSU-Mann holte das Direktmandat dennoch mit einem komfortablen Vorsprung, der durch das Auslagern der Königsbrunner Wähler wohl minimiert, aber kaum gefährdet würde.

Ein weiterer Grund

Allerdings steckt eventuell noch etwas anderes dahinter. Mit der Wahlrechtsreform der Ampel wird es möglich, dass Sieger oder Siegerinnen in Wahlkreisen ohne Mandat bleiben, weil ihre Partei über die Zweitstimmen weniger Sitzansprüche erhält, als sie an Direktmandaten hat. Das kann die CSU treffen. Mit einem Wahlkreis mehr in Bayern wächst die Gefahr ein bisschen, dass eine solche Kappung passiert.

Der neue Wahlkreis wäre da wohl weniger gefährdet, er ist kleinstädtisch-ländlich. Nicht zugeteilt würden Direktmandate mit geringem Erststimmenanteil, also großstädtische, in München etwa oder Nürnberg. Ein neuer, grüner Wahlkreis in der Landeshauptstadt hätte so gesehen eine geringere Gefahr für die CSU in den Regionen bedeutet.

„Memmingen-Unterallgäu“ hingegen bringt ein bisschen mehr Konkurrenz in die CSU. Andererseits sind die Christsozialen derzeit stark genug, um alle ihre Wahlkreissieger in den Bundestag zu bringen. Mit dem Ergebnis von 2021 wäre das nicht gelungen – und das könnte sich ja wiederholen, wer weiß.

Hinweis: In einer ersten Version hieß es versehentlich, Volker Ullrich habe in Augsburg weniger Erst- als Zweitstimmen gehabt. Das ist nicht korrekt sein Erststimmenergebnis war besser als das Zweitstimmenergebnis für die CSU.

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