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Demo gegen Rechtsextremismus gibt es zurzeit in ganz Deutschland.

© Imago/IPON

AfD-Ergebnis in Berlin: Es lässt sich kein „Demo-Effekt“ ableiten

Die AfD hat bei der Berliner Wiederholungswahl in den einigen Wahllokalen klar dazugewonnen. Sind die Proteste gegen Rechtsextremismus wirkungslos? Eine Analyse.

So viel ist klar: Für die in weiten Teilen rechtsextremistische AfD ist die Wiederholungswahl in Berlin ein Erfolg. Die AfD gewann am Sonntag als einzige Partei im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 in den einigen Wahllokalen tatsächlich Stimmen hinzu – trotz einer deutlich niedrigeren Wahlbeteiligung. Ihr relatives Ergebnis steigerte sich in diesen Stimmbezirken von sieben Prozent auf 12,6 Prozent der Stimmen. In manchen Stimmbezirken im Berliner Osten verdoppelte die Partei ihr Ergebnis – auf bis zu 33 Prozent.

Die AfD und ihre Unterstützer feiern das als Erfolg – gerade weil aktuell so viele Menschen im Land gegen die Partei und ihren Rechtsextremismus auf die Straße gehen und Recherchen von „Correctiv“ Pläne zur Vertreibung von Menschen zum Vorschein brachten.

AfD-Landeschefin Kristin Brinker etwa schrieb auf X: „Ja, die Wirkung der Demonstrationen ist ziemlich klar – immer mehr Wähler erkennen, dass pragmatische und rationale politische Lösungen besser sind als regierungsnahe Demonstrationen gegen die Opposition.“ Nutzen die Demonstrationen also der AfD, wie es inzwischen auch außerhalb der Partei oft behauptet wird?

Diese Behauptung ist durch die Wahlergebnisse nicht belegbar. Vor der Wiederholungswahl gab es keine Umfragen in den betroffenen Wahlbezirken und auch keine Nachwahlbefragungen von Meinungsforschungsinstituten, die Aufschluss über die Beweggründe von Wählern geben könnten. Diese wurden wegen der politischen Bedeutungslosigkeit der Wahl nicht in Auftrag gegeben. Über die Beweggründe der Wähler kann deshalb nur spekuliert werden. Ableitungen lassen sich nur im Vergleich mit dem Wahlergebnis 2021 und bundesweiten Wahlumfragen treffen.

Wahlexperte warnt vor vorschnellen Schlussfolgerungen

Der Politikwissenschaftler und Wahlexperte Thorsten Faas, Professor an der Freien Universität (FU) Berlin, sagt dem Tagesspiegel: „Wir sehen deutliche Unterschiede zwischen dem Wahlergebnis 2021 und dem der Wiederholungswahl gestern.“ Auf diesen Zeitraum – es sind immerhin 869 Tage vergangen –müsse man auch Bezug nehmen, wenn man die Muster der Unterschiede erklären will.

„In diesem Zeitraum ist unglaublich viel passiert, die Correctiv-Recherchen stehen eigentlich nur ganz am Ende“, sagt Faas. „Die Bewegung mit einzelnen Ereignissen in Verbindung zu bringen, ist eigentlich kaum möglich.“

Die Tendenz der Ergebnisse der Wahl lässt sich – trotz der Kleinräumigkeit, der Großstadtlage und geringer Wahlbeteiligung – tatsächlich erstaunlich gut über die repräsentativen Wahlumfragen der letzten Wochen legen.

Die Bundes-CDU hat seit der Wahl 2021 in bundesweiten Umfragen rund sieben Prozentpunkte der Stimmen hinzugewonnen – genauso viel Zuwachs hatte sie auch in den betroffenen Stimmbezirken am Wahlsonntag. Die SPD wiederum hat seit der Wahl in Umfragen etwas mehr als zehn Prozentpunkte eingebüßt – und verlor auch in Berlin fast acht Prozent.

Ergebnis der AfD ist leicht schwächer als erwartbar war

Die Grünen verloren in den Umfragen bundesweit leicht, in Berlin konnten sie ihr Ergebnis ganz leicht verbessern. Ähnlich sieht es bei der Linkspartei aus. Für die AfD gilt: Seit der Bundestagswahl hat sich die Partei um fast neun Prozent gesteigert. Am Sonntag gewann die Partei in den betroffenen Stimmlokalen 5,6 Prozentpunkte dazu.

Man kann feststellen, dass die Bewegungen sehr gut zu Veränderung von Umfragen auf nationaler Ebene zwischen 2021 und 2024 passen. Wir sehen also kein fundamental überraschendes Wahlverhalten.

Thorsten Faas, Politikwissenschaftler an der Freien Universität in Berlin und Experte für Wahlanalysen.

Bei allen Parteien (außer der AfD) liegt die Schwankung zwischen dem Anwachsen in repräsentativen Umfragen seit der Wahl 2021 und dem realen Anwachsen des Berliner Stimmergebnisses innerhalb der statistischen Fehlertoleranz von Wahlumfragen von drei Prozent.

Politikwissenschaftler Faas bestätigt den Eindruck: „Man kann feststellen, dass die Bewegungen sehr gut zu Veränderung von Umfragen auf nationaler Ebene zwischen 2021 und 2024 passen. Wir sehen also kein fundamental überraschendes Wahlverhalten.“ Das heißt: Alle Parteien waren bei der kleinräumigen Wahl in Berlin etwa so stark, wie man es nach den bundesweiten repräsentativen Umfragen und ihren vorherigen Ergebnissen in den betroffenen Bezirken habe erwarten können.

Wenn überhaupt, sagt Faas, könne man bei der Berliner Wahl für die AfD im Vergleich zu nationalen Wahlen einen „eher geringeren Anstieg“ ihrer Unterstützung feststellen. Zeigt das – andersherum –, dass die Demonstrationen erfolgreich sind?

Proteste können Parteien schaden – das belegen internationale Studien

International lassen sich durchaus Belege finden dafür, dass Proteste gegen extremistische Parteien deren Wahlergebnisse negativ beeinflussen. Eine Studie des European University Institute aus Florenz etwa beschäftigt sich mit der sogenannten Sardinen-Bewegung, die sich rund um die italienischen Regionalwahlen im Jahr 2020 formte. Die „Sardinen“ protestierten gegen den Rechtspopulisten Mateo Salvini und seine Partei.

Das Ergebnis: Dort, wo protestiert wurde, sank die Zustimmung für Salvini um vier Prozentpunkte. Die Gegenmobilisierung als Reaktion auf rechtsextreme Kampagnen könnte, so die Forscher, ein wirksames Instrument sein, um radikale antidemokratische Strömungen zu schwächen. Ähnliche Studien finden sich für Griechenland und Frankreich.

Für Berlin sind mögliche Effekte reine Mutmaßung

Für Berlin lässt sich solch ein Effekt anhand der bisher verfügbaren Daten aber nicht belegen. Politikwissenschaftler Faas sagt: „Das AfD-Ergebnis ist nur schwer mit den Demonstrationen und Correctiv-Recherchen in Verbindung zu bringen, da das Wahlverhalten in Berlin auch besondere Züge trägt, die wiederum die Unterschiede zu nationalen Umfragen erklären können.“

So weist etwa der Politikwissenschaftler Julius Kölzer in einer Analyse der Wahlergebnisse darauf hin, dass die AfD besonders dort besonders stark hinzugewann, wo sie schon 2021 gut abschnitt.

Allerdings waren bei der Wiederholung der Wahl am Sonntag nur wenige Hochburgen der Partei betroffen. Schon ein anderer Zuschnitt der betroffenen Stimmbezirke – etwa: mehr am Stadtrand, mehr im Berliner Osten – hätte demnach das Wahlergebnis der AfD womöglich noch weiter verbessern können. Es bleiben: Vermutungen. Politikwissenschaftler Fass sag deshalb: „Kurzum: Man sollte das gestrige Wahlergebnis nicht nutzen muss, um daraus starke kausale Effekte einzelner Ereignisse zu identifizieren.“

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