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In Kleingruppen zu diskutieren, ist ein wichtiger Teil des Studiengangs Liberal Arts and Sciences.

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Neuauflage einer alten Idee: Der Studiengang Liberal Arts and Sciences vermittelt kreative Lösungsfähigkeiten

Zwei Universitäten bieten ab dem neuen Wintersemester den Studiengang Liberal Arts and Sciences an. Bisher ist er in Deutschland kaum bekannt.

Von Lara Hankeln

Liberal Arts and Sciences, die „freien Künste“ studieren: das klingt erstmal nach einem Kunststudium. In Wirklichkeit steckt hinter dem Begriff ein interdisziplinärer Anspruch ans Studium. Ein solches breitangelegtes Bachelor-Studium ist in den USA und auch in den Niederlanden weit verbreitet.

In Deutschland boten bisher nur die Leuphana Universität Lüneburg und die Universität Freiburg diesen Studiengang an. Zum Wintersemester 2023/2024 werden nun auch die Universität Gießen und die Universität Hamburg, im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes, erste Studierende für diese Studienrichtung aufnehmen.

Versierte Generalisten

Was neu erscheint, hat eigentlich lange Tradition. Schon in der Antike gab es die sogenannten artes liberales, die freien Künste, denen sich die Gelehrten widmeten: Mathematik, Philosophie, Astronomie und Logik. Auch sieht man sich in Fortführung des humanistischen Bildungsideals. Dieses Ideal setzt sich bis heute durch: Das Studium bildet laut der Website der Universität Freiburg „versierte Generalisten“ aus. Das passt nicht ins deutsche Hochschulsystem, das auf Spezialisierung basiert und in dem die Disziplingrenzen die Studiengänge strukturieren.

Diese Breite an Möglichkeiten reizt die Studierenden, die sich für dieses Fach entscheiden: Die meisten haben zu viele Ideen und Interessen nach dem Abitur, um sich auf ein Fach festlegen zu wollen. So zum Beispiel Nina aus Berlin, die Psychologie und Medizin, aber auch Politik und Journalismus in Erwägung gezogen hat. „Das ist das Schöne, an dem Studiengang, dass ich viele verschiedene Kurse belegen und mich dann im Laufe der Jahre spezialisieren konnte.“ Nina hat letztes Jahr ihren Bachelor-Abschluss in Liberal Arts and Sciences an der Universität Groningen gemacht.

Der Aufbau des Studiengangs richtet sich meist nach dem folgenden Muster: Es gibt einen Kernbereich an Kursen, die alle Studierenden belegen müssen, und ein Hauptfach (Major) sowie Nebenfach (Minor), für die sich erst im Studienverlauf entschieden werden muss. Insgesamt ist das Studium von viel Wahlfreiheit geprägt, da die Studierenden ihren eigenen Kursplan zusammenstellen.

Wissenschaft reflektieren

Im Kernbereich werden die Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens sowie Wissenschaftsreflexion vermittelt. Welche Majors angeboten werden, hängt von der Universität ab. In Freiburg kann man beispielsweise „Culture and History“ oder „Environmental and Sustainability Sciences“ wählen. In der Planung in Hamburg ist der Schwerpunkt „Körper, Gesundheit, Gesellschaft“, der an der interdisziplinären Schnittstelle zwischen Geisteswissenschaften und Medizin verortet ist.

Außerdem hat der Studiengang den Anspruch, disziplinübergreifende Kompetenzen zu vermitteln. Für Alexa, die ab diesem Herbst den Studiengang in den Niederlanden belegen wird, war das ein Grund, sich dafür zu entscheiden: „Ich hoffe, dass ich kritisches Denken lerne und wichtige, aktuelle Themen hinterfragen kann. Auch freue ich mich darauf, in den Kleingruppen besser diskutieren zu lernen.“

Die Universität Hamburg nennt dies vernetztes Denken und kreative Lösungsfähigkeit und hat für ihren Liberal Arts Studiengang den Anspruch, für die Studierenden Vorbereitung auf eine gestalterische gesellschaftliche Partizipation zu sein. Dies soll gefördert werden durch die Verantwortung für den eigenen Studienverlauf, das Wählen von Studieninhalten nach Interesse, Diskussionen in Kleingruppen und ein auf gesellschaftliche Herausforderungen fokussiertes Curriculum.

Davon etwas mitgenommen zu haben, berichten auch die Absolvent:innen, wie Karolina, die Liberal Arts and Sciences an der Universität Leiden in den Niederlanden studiert hat: „Mich hat das Studium persönlich so viel weiter gebracht: so viele verschiedenen Perspektiven kennenzulernen, in Disziplinen reinschnuppern zu können, ganz unterschiedliche Textformen zu schreiben, den Unterricht mitzugestalten und kritische Fragen zu stellen.“

Welche Zukunftsaussichten haben Absolvent:innen eines Liberal Arts Studiums? Viele entscheiden sich für einen fachspezifischen Master, der aufbaut, auf den gewählten Schwerpunkt im Bachelor. Nina, die sich in ihrem Studium in Groningen auf Gesundheitswissenschaften spezialisiert hat, hat einen Studienplatz für einen Master in Neurowissenschaften an der Berliner Charité bekommen: „Ich habe schon ein bisschen Schwierigkeiten, mit dem Stoff mitzukommen, weil mir ein bisschen das Lehrbuchwissen fehlt. Die meisten meiner Kommiliton:innen haben Psychologie oder Biologie, also ein Ein-Fach-Bachelor, vorher studiert.“

Trotzdem bereue sie ihre Studienwahl nicht: „Es ist mir soviel mehr wert, was ich von meinem Bachelor mitgenommen habe in Bezug auf kritisches Denken und Ethikfragen. Da ist es nicht schlimm, dass ich mich im Master ein bisschen mehr anstrengen muss.“

Durch die Gesellschafts- und Zukunftsorientierung sind NGOs und Regierungsorganisationen beliebte Arbeitgeber. Andere arbeiten bei Unternehmen oder im Journalismus, auch im Ausland, da das Studium häufig auf Englisch unterrichtet wird.

Trotz dieser vielfältigen Karrieremöglichkeiten ist klar, dass solch ein Studium keine Berufsausbildung ist. Diesen Anspruch hat es auch nicht. Obwohl – anders als in den Niederlanden – die deutschen Universitäten keine Studiengebühren für den Studiengang erheben, die über die regulären Semesterbeiträge hinausgehen, ist das Ideal einer umfassenden Bildung mit Blick auf Persönlichkeitsentwicklung ein Luxus, den sich nicht jede:r leisten kann.

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