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Seniorin mit Rollator.

© Imago/Wolfgang Weinhäupl

45 Jahre arbeiten und dann reicht es nicht?: Die Rente darf nicht arm machen

Zu viele werden zu niedrige Renten bekommen. Millionen droht Altersarmut. Da muss viel getan werden, und das rasch. Am besten gemeinsam. Streit hilft den Betroffenen nicht.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Die Sache ist doch so: Jugend ist ein Zustand, der sich mit jedem Tag mehr gibt. Alt werden wir alle. Aber wollen wir dann arm sein?

Womit wir bei der Rente wären. Das Rentensystem in Deutschland steht schon lange in der Kritik. Seit Jahrzehnten. Die Älteren erinnern sich vielleicht noch an Bundesarbeitsminister Norbert Blüm und seinen Satz: Die Rente ist sicher. Was haben wir gelacht.

Heute haben viele – außer der Rentenversicherung selbst – überhaupt kein Vertrauen mehr in die Rente. Und werden darin auch noch durch Zahlen des Bundesarbeitsministeriums bestärkt.

Insgesamt gibt es 22 Millionen sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigte im Land. So heißt das offiziell. Von denen erhalten nach derzeitigem Stand 9,3 Millionen im Alter eine Rente, die unter 1500 Euro pro Monat liegt. Klingt nicht so viel, oder?

45
Jahre arbeiten für eine Rente, die dann noch nicht mal reicht?

Aber: Um auf diese Rentenhöhe zu kommen, muss man aktuell 45 Jahre lang 40 Stunden pro Woche arbeiten, bei einem Stundenlohn von 20,78 Euro. Das entspricht einem Bruttomonatslohn von 3602 Euro.

Bloß sind viele Beschäftigte von diesen Zahlen weit entfernt. Das sagen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Danach waren 5,8 Millionen Jobs im Oktober 2022 von der Erhöhung des Mindestlohns betroffen, verdienten also einen Stundenlohn von zwölf Euro – und lagen damit weit unter dem Lohn, der für eine Rente von nur 1200 Euro nötig wäre.

Noch schlechter ist es um viele der rund zehn Millionen Menschen bestellt, die Teilzeit arbeiten. Hinzu kommen noch die Selbstständigen, bei denen der Verdienst nicht für eine angemessene Rentenvorsorge reicht. Unterm Strich: Ein gewaltiger Teil der knapp 46 Millionen Erwerbstätigen steuert auf eine Magerrente zu.

In Ostdeutschland kann es noch schlimmer kommen

Da droht uns was, uns allen, der Gesellschaft insgesamt. Ist ja klar, wenn fast die Hälfte derer, die heute Vollzeitstellen haben, weniger als 1500 Euro Rente bekommen. Wobei es in Ostdeutschland sogar noch schlimmer werden kann, wo viele sogar unter 1200 Euro liegen werden.

Wenn nichts geschieht. Was ist also logisch? Zu handeln. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch hatte vor kurzem vollkommen recht, als er von „sozialem Sprengstoff“ sprach. Erstaunlich, dass so wenige aufgeregt sind. Denn der kann explodieren. Und sei es – Obacht – in noch mehr Stimmen für die Vereinfacher und Staatsverächter.

Dass im kommenden Bundeshaushalt 127 von insgesamt 446 Milliarden Euro der Zuschuss zur Rentenversicherung sind – mehr als ein Viertel -, feuert die nur an.

Besser wäre es, den Staatsverächtern die Argumente aus der Hand zu schlagen. Experten überall, von Gewerkschaften bis hin zu Sozialverbänden, fordern aktuell wieder einmal einen höheren Mindestlohn von 14 Euro, und zwar bald, ab 2024. Aber das ist ja nur ein Punkt.

200 Euro mehr, ganz schnell?

Arbeitsminister Hubertus Heil hat vor ein paar Wochen erklärt, das Rentenniveau solle langfristig nicht unter 48 Prozent sinken. Auch wenn das bedeuten würde, die Rentenbeiträge in einigen Jahren deutlich zu erhöhen. Die Linken sagen, das Rentenniveau müsse von 48 Prozent auf mindestens 53 Prozent steigen. Und haben eine Rentenerhöhung gefordert, zehn Prozent, mindestens 200 Euro, ganz schnell.

Was einmal mehr zeigt: Es geht um so viel. Und es muss wirklich viel gemacht werden. 45 Jahre im Job – wer schafft das heute schon noch. Viele nicht. Heißt, das Armutsrisiko steigt. Wer kann das schon wollen? Heißt: Es muss das große Rad gedreht werden.

Hier hilft nur reden, prüfen, erwägen. Kann Zuwanderung helfen? Die Aktienrente? Oder die Rente dann doch an die Lebenserwartung zu koppeln – richtig, falsch?

Und weiter, im Detail: An die Beitragssätze zur Rentenversicherung will keiner ran, zur Zeit 18,60 Prozent, paritätisch verteilt. Aber warum muss die Beitragsbemessungsgrenze bei 7300 Euro liegen? Wären nicht 8000 (oder mehr) sinnvoll? Dann könnten kleine Renten überdurchschnittlich steigen. So wie in Belgien.

Oder warum nicht eine alleinige Beitragspflicht des Arbeitgebers, wenn er nur Mindestlohn zahlt? Gilt beispielsweise bei Auszubildenden. Ein Blick nach Österreich: Da zahlen Arbeitgeber 60 Prozent, Arbeitnehmer 40.

Wichtig ist, sich schnell klar zu werden. Am besten ohne Pestereien unter den demokratischen Parteien. Ehe die Lunte brennt. Wir wollen doch alle alt werden. Und nicht arm.

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