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Frieden schaffen, auch mit schweren Waffen.

© Swen Pförtner/dpa

Freiheit ist mehr als ein Wort : Wo nicht gestritten werden darf, herrscht Angst

In Köln wurde am Dienstag eine Frau schuldig gesprochen. Ihr war vorgeworfen worden, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gebilligt zu haben. Das Urteil irritiert.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Der Irakkrieg war ein völkerrechtswidriger, illegaler Angriffskrieg. Das ist die Überzeugung der meisten Völkerrechtler und Historiker. Umstritten ist die Zahl der Opfer. Schätzungen reichen von 100.000 bis zu mehr als einer Million. Laut einer Studie der Washington University in Seattle kostete der Krieg mindestens 500.000 Zivilisten das Leben. Ein Angriffskrieg ist eine schwere Straftat.

Vor zwanzig Jahren, als der Irakkrieg begann, war Angela Merkel die Vorsitzende der CDU. Sie billigte, unterstützte und verteidigte den Krieg als „unumgänglich“ und „unvermeidbar“. „Bei einem Nichthandeln wäre der Schaden noch größer gewesen“, sagte sie. Ähnlich äußerte sich der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Deutschland könne sich nicht länger neutral verhalten, sagte er, der Krieg sei völkerrechtlich vertretbar.

Merkel und Stoiber wurden für ihre Positionen nie juristisch belangt. Gut so. In einer Demokratie muss gestritten werden, auch über Kriege. Deshalb irritiert eine dpa-Meldung vom vergangenen Dienstag. Darin heißt es: „Das Kölner Amtsgericht hat eine 48 Jahre alte Frau wegen Billigung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine schuldig gesprochen. Die Richterin verurteilte die Frau zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 Euro.“

Die oberste Regel aller Unterdrücker lautet: Berufe dich auf lautere Werte

Die Frau ist Ukrainerin und hatte am 8. Mai 2022 bei einer pro-russischen Demonstration teilgenommen. Dort habe sie den Krieg, wie es in der Urteilsbegründung heißt, „für andere wahrnehmbar gutgeheißen und befürwortet“. In einem Fernsehinterview, das dem Gericht vorlag, hatte sie gesagt: „Russland ist kein Aggressor.“ Das Vorgehen Russlands sei „alternativlos“. Die Frau bezeichnet sich selbst als „Friedensaktivistin“. Ihre Äußerungen seien indes geeignet, „den öffentlichen Frieden zu stören“, urteilte das Gericht.

Die Deutschen haben aus ihrer Vergangenheit gelernt, heißt es oft. Sie sind gegen Kriege und Völkermorde. Sie sind für das Völkerrecht und eine regelbasierte internationale Ordnung. Nur auf dem Gebiet der Meinungsfreiheit plädieren sie im Zweifel gegen die Freiheit und für den sozialen Frieden. Die Praxis der Nationalsozialisten wird offenbar als nicht sehr abschreckend empfunden.

Die oberste Regel aller Unterdrücker lautet: Berufe dich mit deinen Maßnahmen stets auf lautere Werte. Auf das Wohl des Reiches und die „öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ (Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes, Februar 1933). Kriminalisiert wurden „gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen“ (Heimtückegesetz, Dezember 1934). Bestraft wurde die Verbreitung „unwahrer oder gröblich entstellter Behauptungen“. In der DDR hieß das „staatsfeindliche Hetze“.

Auch Meinungen, die von herrschenden Vorstellungen abweichen, sind schutzwürdig

Die deutsche Justiz, in Form des Bundesverfassungsgerichts, hat aus dem totalitären Verbots-Fanatismus tatsächlich gelernt. Schon früh legte es sich fest: „Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend“ (1958).

Was aber ist eine zu schützende Meinung? Es komme nicht darauf an, präzisierte das oberste deutsche Gericht, ob es sich um ein „richtiges oder falsches, emotionales oder rational begründetes Werturteil handelt“ (1972). Auch Meinungen, „die von herrschenden Vorstellungen abweichen“, seien schutzwürdig.

„Russland ist kein Aggressor“, meint die 48jährige Frau. Das ist zwar falsch, aber muss man sie dafür verurteilen? Wie gravierend ist die „Störung des öffentlichen Friedens“ durch einen solchen Satz?

Der Westen muss der Ukraine helfen, diesen Krieg zu gewinnen. Am Ende soll die Freiheit über die Tyrannei triumphieren. Doch eine Freiheit, die sich selbst beschneidet, damit sich niemand in seinen Gefühlen verletzt fühlt, kann nicht triumphieren. Wo nicht mehr gestritten werden darf, herrscht Angst.

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