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Migranten haben in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt eine Zuflucht gefunden.

© dpa/Patrick Pleul

20.000 neue Asylanträge jeden Monat: Die Ampel sollte die politische Sprengkraft nicht unterschätzen

Die Koalition bewegt sich in der Migrationspolitik gerade so schnell, wie es die Grünen erlauben. Das ist ein Fehler. Das Denken der Außenministerin ist praxisfern.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Sind wir bald wieder so weit wie während der Flüchtlingskrise von 2015/16? Jeden Monat werden in Deutschland gegenwärtig mehr als 20.000 neue Asylanträge registriert. Das entspricht der Größenordnung einer Kleinstadt. In diesem Jahr dürfte die Zahl der Asylbewerber auf mehr als 300.000 anwachsen. Hinzu kommen Hunderttausende Ukraine-Flüchtlinge. Damit ähnelt die Situation dem Jahr der Flüchtlingskrise, als rund eine Million Schutzsuchende nach Deutschland kamen.

Die Ampel-Koalition sollte die politische Sprengkraft dieser Zahlen nicht unterschätzen. In den Niederlanden ist die Regierung am Streit über die Migrationspolitik zerbrochen. In Berlin gelingt es Kanzler Olaf Scholz derweil nur mit Mühe, einen Konsens in der Asylpolitik aufrechtzuerhalten. Nun sollen Moldau und Georgien in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufgenommen werden, immerhin.

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 Migranten haben zwischen Januar und August in Deutschland erstmals einen Asylantrag gestellt.

Dennoch tun sich vor allem die Grünen innerhalb der Ampel damit schwer. Annalena Baerbock hält das ganze Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten für falsch. Damit würden Länder wie eben Georgien oder Moldau menschenrechtlich plakativ abgestempelt, meint die Außenministerin.

Aber ihr Denken ist praxisfern: Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten ist einer der Wege, die zur Senkung der Zahl der Flüchtlinge in Deutschland führen. Denn Ukrainerinnen müssen ohnehin kein Asyl beantragen, und Menschen aus Syrien und Afghanistan, die einen großen Teil der Migranten ausmachen, erhalten in aller Regel Schutz.

Die Ampel macht sich innenpolitisch angreifbar, wenn sie bei der Begrenzung der Flüchtlingszahlen immer gerade so weit geht, wie die Grünen es zulassen. Die Schärfe, mit der die Union beim Thema der Migration zu Werke geht, ist keineswegs nur den Wahlkämpfen in Bayern und Hessen geschuldet.

Zwar ist es kein sinnvoller Vorschlag, wenn Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei gleich die Aussetzung des individuellen Asylanspruchs fordert. Das Völkerrecht würde dies nicht zulassen. Aber im Grundsatz steht die Kritik der Union an der Migrationspolitik der Ampel auf einer breiten Basis – getragen von Landräten, Bürgermeisterinnen und Ministerpräsidenten, die über eine viel zu große Belastung klagen.

„Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich“, hat der frühere Bundespräsident Joachim Gauck während der Flüchtlingskrise 2015 gesagt. Dieser Satz gilt jetzt wieder. Es ist durchaus richtig, wenn sich die Bemühungen der Politik neben der legalen Zuwanderung von Fachkräften gleichzeitig auch darauf richten, die Zahlen der Asylbewerber zu begrenzen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schloss mit dem tunesischen Präsidenten Kais Saied eine Absichtserklärung zur Begrenzung der Migration über das Mittelmeer.

© AFP

Den Rahmen dafür bietet die Europäische Union. Noch bis zum Frühherbst könnte der derzeitige Trend der steigenden Asylbewerberzahlen anhalten. Gegenwärtig kommen wieder vermehrt Migranten aus Nordafrika an der italienischen Insel Lampedusa an. Viele von ihnen ziehen weiter nach Deutschland.

In absoluten Zahlen wurden im ersten Halbjahr in Deutschland mehr als doppelt so viele Asylanträge gestellt wie in Frankreich oder in Spanien. Das zeigt: Ohne eine europäische Lösung geht es nicht. Ankunftsländer wie Italien müssen im Sinne europäischer Solidarität entlastet werden. Aber ein immer noch wirtschaftsstarkes Land wie Deutschland darf auch nicht überfordert werden.

Deshalb ist es gut, dass die EU zur Begrenzung der Migration Abkommen mit Staaten wie Tunesien schließen will. Sicher ist die Brüsseler Zusammenarbeit mit dem autoritären tunesischen Präsidenten Kais Saied heikel. Aber dennoch müssen Drittländer wie Tunesien eingebunden werden, um Schleppern das Handwerk zu legen.

Ähnlich ist die EU auch während der Flüchtlingskrise vorgegangen, als sie einen Pakt mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan schloss. Das Prinzip ist dabei stets dasselbe: Die EU gibt Geld und sichert sich im Gegenzug Kooperation bei der Migrationspolitik.

Ist das aus moralischer und menschenrechtlicher Sicht verwerflich? Es ist jedenfalls durchaus denkbar, über die Verfahren in der EU-Asylpolitik neu nachzudenken. Der Migrationsexperte Gerald Knaus ist beispielsweise der Auffassung, dass man mittelfristig auch über Asylverfahren außerhalb der EU in Staaten wie Ruanda nachdenken kann. Flüchtlinge aus Libyen finden bereits Sicherheit in dem ostafrikanischen Land.

Knaus, der damalige Vordenker des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei, hält es für eine Option, im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nicht mehr nach Europa zu bringen, sondern nach Ruanda. Auch die Grünen könnten darüber nachdenken.

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