zum Hauptinhalt
Bundeskanzler Olaf Scholz

© dpa/Michael Kappeler

Beginn einer Selbsterkenntnis: Der Kanzler scheint verstanden zu haben

In einem hektischen Verfahren ringt die Regierung von Olaf Scholz um die Neujustierung ihrer Haushaltspolitik. Denn das Karlsruher Urteil hat wie ein exogener Schock die Realität nachhaltig verändert.

Ein Kommentar von Albert Funk

Es ist derzeit leicht, über die Ampelkoalition zu spotten. Wer den Schaden hat … Das Urteil zur Anwendung der Schuldenbreme aus Karlsruhe kam über die Regierung von Olaf Scholz wie das, was Ökonomen einen exogenen Schock nennen, also ein äußeres Ereignis, das plötzlich und unerwartet die Wirklichkeit nachhaltig verändert.

Im Grundgesetzartikel 115 heißt es, dass Kredite über die Schuldenbremse hinaus aufgenommen werden dürfen bei Naturkatastrophen und in „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“. Letzteres zumindest ist mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich eingetreten. Die Ampelkoalition befindet sich derzeit in einem hektischen Verfahren zur Neujustierung ihrer gesamten Haushaltspolitik.

Natürlich ist die Notlage, die nun für 2023 erklärt werden soll, keine außergewöhnliche Notsituation, kein exogener Schock, sondern schlicht das Ergebnis einer Regierungsnotlage. Sie energiepolitisch zu begründen, ist zweifellos eine Herausforderung. Man darf gespannt sein, was Anfang der Woche in der Vorlage stehen wird, die Finanzminister Christian Lindner ins Kabinett einbringt. Und eine unanfechtbare Begründung muss sein, das hat Karlsruhe verlangt.  

Seit 2020 haben die Regierenden die diversen kreditfinanzierten Schutzschirme sehr weit gespannt. In keinem Notlagenjahr mussten die wegen Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiepreisinflation und auch Ahrtal-Flut geschaffenen Kreditermächtigungen vollständig genutzt werden.

170
Milliarden Euro standen in diesem Jahr noch im WSF zur Verfügung.

Das war die Basis jenes leichtsinnigen Vorhabens, die ungenutzten Möglichkeiten zu bunkern und für andere Zwecke zu reservieren, als Rücklage für die Zeit nach der akuten Notlage, versehen mit der Begründung, dass Notlagen lange nachwirken. So einfach aber ist das nun nach dem Karlsruher Urteil nicht mehr.

Wegen der Energienotlage, die erkennbar eingetreten war, wurden Ende vorigen Jahres 200 Milliarden Euro in den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) gelegt. Davon standen für dieses Jahr noch etwa 170 Milliarden Euro zur Verfügung. Gebraucht werden nun wohl 40 Milliarden. Insofern stellt sich die Frage, wie notlagenträchtig die Energiekrise mit Blick auf das Jahr 2024 noch ist.

Wer auch für das kommende Jahr die Notlage erklären möchte, muss schon sehr gut argumentieren können, um die vom Verfassungsgericht aufgestellte Hürde der detaillierten und nachvollziehbaren Darlegungspflicht zu überwinden.

Die Ampel ist nach dem ersten Schock schnell in die Phase der Durchhalteparolen und der Wagenburgbildung eingetreten. Danach kommt meist die Phase der Selbsterkenntnis und der Einsicht in die Realität. Das hat sich am Freitag in der Videobotschaft des Kanzlers gezeigt. Olaf Scholz vermied es tunlichst, sich darauf festzulegen, dass der Bundeshaushalt für 2024 nun auch noch vor Jahresende durch Bundestag und Bundesrat geboxt wird.

Das Grundgesetz macht es möglich, später zu handeln

Scholz sagte, man werde den Etat für das nächste Jahr „im Lichte des Urteils genau überarbeiten – zügig, aber mit der gebotenen Sorgfalt“. Und das wird einige Wochen dauern, wenn man ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren will. Das Risiko, dass eine Überarbeitung im Hopplahopp-Verfahren in Karlsruhe angefochten werden könnte, ist nicht gering. Letztlich darf das jedes einzelne Mitglied des Bundestags tun, das seine Beratungs- und Informationsrechte verletzt sieht.

Also wird es wohl Ende Januar werden, oder auch Februar, bis der Bundestag und dann der Bundesrat den Haushalt 2024 beschließen. Das wäre nicht schlimm. Das Grundgesetz ermöglicht es der Bundesregierung, auf Basis des alten Etats einigermaßen ordnungsgemäß weiterzuwirtschaften.

Die Ampelkoalition ist durch das Karlsruher Urteil in einer Weise durchgerüttelt worden wie wohl noch keine Bundesregierung vor ihr. Schuldzuweisungen sind überflüssig. Die nun festgestellte Verfassungswidrigkeit einer von Beginn an fragwürdigen Verschuldungsstrategie war ein kollektives Versagen der Kabinettsmitglieder von SPD, Grünen und FDP.

Daher wirkt es auch ein wenig erbärmlich, nun einen Staatssekretär zu entlassen. Scholz & Co. sind derzeit eine Regierung auf Bewährung. Erste Zeichen, das erkannt zu haben, hat der Kanzler am Freitag gesendet.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false