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Debatte

© Verena Schulz für den Tagesspiegel

Alles Liebe oder was?: Wider die Vorherrschaft der Paar-Romantik!

Hauptsache zu zweit, das ist die Devise. Wer allein ist, hat ein Problem und ist ein Problem. Der Druck richtet sich vor allem gegen die Frauen. Schluss damit.

Ein Essay von Inga Barthels

Ein Leben ohne Beziehung ist nicht genug, ist nicht gut. So wird es den Menschen eingebläut, jede Stunde, jeden Tag, in fast allen Liedern, ungezählten Büchern, in sämtlichen Illustrierten, auf Plakatwänden, in Werbeclips für Schokolade, Reinigungsmittel, Autos, in Kino- und Fernsehfilmen, Millionen Serien.

Vor dem 14. Februar wird das alles noch rosaroter, da naht der Valentinstag, an dem die romantische Liebe gefeiert werden soll. Dann schießt der Verkauf von Blumensträußen in die Höhe, und Paare schauen sich beim Kerzenschein-Dinner verliebt in die Augen.

Und die Singles? Liegen derweil im Bett mit einer Schachtel Schokolade oder einer Flasche Wein, und sind traurig darüber, immer noch nicht fündig geworden zu sein.

Bemitleidenswert, die Armen. Oder sind sie auch bedrohlich? Langzeit-Singles noch immer sehr argwöhnisch beäugt. Sie passen nicht. Und was nicht passt, stört. Wer allein ist, bekommt permanent Fragen, Ermunterungen und Mitgefühl zu hören. „Du wirst schon noch jemanden finden“, sagen die anderen.

Nicht auf der Suche? Unglaubwürdig!

Dass die Unverpaarten gar nicht auf der Suche sind? Unvorstellbar. Und auch unglaubwürdig. Wer so etwas behauptet, lügt sich selbst etwas vor, ganz sicher. Das bekommen sie gespiegelt. Das ist die Antwort.

Die romantische Zweierbeziehung steht unangefochten an der Spitze der menschlichen Verbindungen, gilt natürlicherweise als die Basis für Familien. So sieht es das Gesetz vor, so predigen es die Kirchen. Die RZB, wie die Soziologie recht unromantisch abkürzt, wird, wird auch finanziell bevorzugt: Alleinreisende zahlen mehr fürs Hotel, Ledige haben teurere Versicherungen und härtere Auflagen bei Arbeitslosigkeit, wer ohne RZB eine Familie gründen will, wird gesetzlich daran gehindert.

Ist das nicht sehr fragwürdig? Egal, wie dysfunktional die Beziehung ist, in der jemand steckt, wie frustrierend, ausbeuterisch, gefühlskalt, egal, ob man fünfmal geschieden ist – alles ist akzeptierter, als langfristig niemanden an der Seite zu haben. Dabei zählt das Statistische Bundesamt inzwischen 18,6 Millionen Alleinstehende in Deutschland, darunter 9,7 Millionen Frauen. Tendenz steigend.

Warum gilt als abweichend, was längst normal ist? Wie konnte es stattdessen dazu kommen, dass Menschen, die auf Dauer ohne romantische Partnerschaft leben, regelrecht pathologisiert werden? Die Diagnose „beziehungsunfähig“ ist sehr populär. Und auch viele „Betroffene“ übernehmen das dankbar, denn es ist nicht schön, für mangelhaft und defekt erklärt zu werden.

...die weit verbreitete Annahme, dass es allen Menschen in einer exklusiven, romantischen, langfristigen Paarbeziehung besser geht und dass alle eine solche Beziehung anstreben.

Elizabeth Brake, US-Philosophin

In der Wissenschaft gibt es einen Begriff für die Vormachtstellung der romantischen Liebe: Die US-amerikanische Philosophin Elizabeth Brake spricht von Amatonormativität. Es ist „die weit verbreitete Annahme, dass es allen Menschen in einer exklusiven, romantischen, langfristigen Paarbeziehung besser geht und dass alle eine solche Beziehung anstreben.“

Die deutsche Soziologin Christine Wimbauer nennt es „Paarnormativität“. Für sie ist das „die Naturalisierung und Privilegierung eines paarförmigen Lebens zweier Erwachsener und die Abwertung von Lebensformen jenseits dieser Paarnorm“.

Singles-Frauen sind traurig oder böse, Single-Männer Play- oder Cowboys

Und wie sollte es anders sein, wirkt der Druck dieser Norm besonders auf Frauen. Von klein auf richten sich die Heilsversprechen der romantischen Liebe vor allem an sie, etwa wenn in Märchen auf den Prinzen gewartet wird. Alleinstehende Frauen sind in diesen Erzählungen entweder bemitleidenswert oder böse Hexen. Single-Männer werden nur selten argwöhnisch beäugt, stattdessen haben sich für sie positive Stereotype entwickelt: der Playboy, der Workaholic, der lonesome Cowboy.

Bei Frauen gibt es das nicht. Da ist Alleinsein ein Defekt. Das macht etwas mit ihnen – da kann man noch so selbstbewusst durchs Leben gehen. Nicht der gesellschaftlichen Norm zu entsprechen, führt schnell zu einem prekären Dasein, zehrt an den Nerven. Wer im Außen als abweichend gesehen wird, wertet sich auch im Innen ab.

Als „kleine Glut der Selbstverachtung“ beschreibt die Autorin Katja Kullmann das Gefühl in ihrem Buch „Die singuläre Frau“. Ist man womöglich doch nicht so unabhängig, wie man denkt, sondern einfach nur übriggeblieben und zu stolz, sich das einzugestehen?

Denn ganz sicher hat die romantische Paarbeziehung viele schöne Seiten. Einer der wichtigsten Pluspunkte ist die Sicherheit, die sie bringt: In einer exklusiven Beziehung ist da immer jemand. Zum reden, lachen, für Unternehmungen.

Die Paarbeziehung soll bleiben, aber anderes auch einen Platz haben

Es ist klar, wer sich um den anderen kümmert, wer erster Ansprechpartner ist und im Notfall angerufen werden kann. Lebt man allein oder mit den vier besten Freund:innen zusammen, macht das die Sache deutlich komplizierter.

Die romantische Paarbeziehung muss an sich nicht radikal hinterfragt werden, wohl aber der Anspruch, sie als einzig erfolgreiche Lebensform zu betrachten. Es ist diese Absolutheit, die zu Diskriminierung und Ausgrenzung und dann auch zu Vereinsamung führt. Und die vor allem Frauen kleinhält, die unglaublich viel Zeit darauf verwenden, die Fehler und die Bringschuld bei sich zu suchen.

Eine Abkehr von der Alternativlosigkeit wäre auch ein Dienst an der RZB. Als alleiniger Sinn des Lebens völlig überfrachtet, ist sie viel zu oft von vornherein zum Scheitern verurteilt. Seelenverwandter, bester Freund, Psychotherapeut, die Erwartungen an den Partner sind oft für einen einzelnen Menschen nicht erfüllbar.

Wenn die anderen Optionen als voll- und gleichwertig angesehen werden, könnte das allen helfen. Es bringt mehr Freiheit, denn man wüsste: Ein Leben ohne romantische Liebe ist nicht nur möglich. Es kann sogar gut und genug sein.

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