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Wie leer es zu Zeiten der Pandemie war: In der Halle 3. 1 während der Frankfurter Buchmesse 2021.

© IMAGO/Manfred Segerer

Zurück zu alter Form und Stärke: Die 74. Frankfurter Buchmesse beginnt

Das spanische Königspaar kommt, Wolodymir Selenskyj spricht, die Buchbranche steckt in wirtschaftlichen Schwierigkeiten – und die Messe versucht, sich von zwei Pandemiejahren zu erholen.

Wenn am Dienstagnachmittag die Frankfurter Buchmesse feierlich eröffnet wird, ist immerhin schon einmal für Glamour gesorgt, royaler Glamour, um genau zu sein. Spaniens König Felipe VI. und seine Frau Letizia werden bei der Eröffnungsfeier im Congress Center der Messe Frankfurt teilnehmen, genauso wie an der sich traditionell anschließenden Pavillon-Besichtigung, nachdem sie einen Tag zuvor ihren Staatsbesuch in Berlin begonnen hatten.

Der royale Besuch versteht sich von selbst: Spanien ist Gastland dieser Messe, ein zweites Mal nach 1991, und kommt mit einer großen, zweihundert Personen starken Delegation an den Main, um seine Literatur und Vielsprachigkeit zu präsentieren und – gemäß dem selbst gewählten Motto – seine „sprühende Kreativität“ zu demonstrieren. Neben dem Königspaar und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier halten auch die Autorin und Literaturwissenschaftlerin Irene Vallejo und der Schriftsteller Antonio Muñoz Molina Reden.

Womöglich kann dieser Gastlandauftritt für Spaniens Literatur einen ordentlichen Schwung auf dem internationalen Parkett bedeuten, vor allem auf dem angloamerikanischen und deutschen Buchmarkt. Doch wie so viele Gastländer zuvor und trotz einer vielfältigen, wenngleich international kaum publikumswirksamen Literatur dürfte es Spanien schwer haben, die Frankfurter Buchmesse zu dominieren, zu überstrahlen, und langanhaltende Effekte für sich, seine Literatur und seinen Buchmarkt zu generieren. In diesem Jahr erst recht.

Die Frankfurter Buchmesse war in existentiellen Nöten

Denn diese 74. Ausgabe muss man wohl als Krisenmesse bezeichnen. so inflationär das Wörtchen „Krise“ ist. Krisen gehörten zwar immer zur Messe. Gerade die Buchbranche beschwor diese immer. Das war zumeist jedoch Strategie, fast ein Spiel. Wirklich schlecht ist es ihr nie gegangen. Dieses Mal sind die Vorzeichen andere, wirklich belastende. Die Frankfurter Buchmesse ist schwer mit sich selbst beschäftigt, nachdem es wegen der Pandemie im Jahr zuvor nur eine eher kleine Präsenzmesse gegeben hatte und 2020 eine ausschließlich digitale.

Das brachte die Messe in Existenznöte, nicht zuletzt ist sie ein Wirtschaftsunternehmen; auch Fragen nach ihrer Sinnhaftigkeit wurden gestellt. Die Freude darüber, nun wieder doppelt so viele Aussteller wie 2021 begrüßen zu können, rund 4000 sind es, darunter alle großen deutschen Publikumsverlage, diese Freude ist riesig. Auch im Literary Agents and Scouts Center dürfte wieder mehr Leben sein, Agenturen aus über 25 Ländern sollen sich angemeldet haben, laut Messedirektor Jürgen Boos besonders viele aus Großbritannien und den USA.

Natürlich rechnet man wieder mit großem Publikumsandrang, auch weil neben dem Wochenende der Freitag ein Publikumstag sein wird. Ob der Rekord der letzten Prä-Pandemie-Messe 2019 mit über 300.000 Besucherinnen und Besuchern jedoch erreicht werden kann, ist fraglich. Nach allen Erfahrungen im Kulturbetrieb in den letzten Monaten kehrt das Publikum nur langsam und mit einer gewissen Vorsicht zurück; sich eng an eng durch volle Messehallen zu schieben und Infektionen zu riskieren, ist nicht jedermanns und jederfraus Sache.

Die Bücher sind zu billig

Doch eine Krisenmesse ist diese 74. Frankfurter Buchmesse auch deshalb, weil sie in eine Zeit fällt, die nicht nur wegen der Pandemie eine ungewöhnlich problematische ist. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine hat auch Auswirkungen auf die Buchbranche und wird auf dieser Messe für viele Gespräche sorgen.

Die Ukraine hat einen großen Stand in den Messehallen, viele Verlage des Landes kommen trotz des Krieges und knapper Mittel nach Frankfurt. Als „Akt des Widerstands gegen die Versuchung, die ukrainische Kultur zu vernichten“ bezeichnet die Messeleitung die Teilnahme der Ukraine, es sei „die Pflicht der Buchwelt, die Bemühungen der ukrainischen Kolleg*innen um den Erhalt und die Förderung ihrer Bücher zu unterstützen.“

Folglich wurde der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eingeladen, per Videoschaltung während der Messetage zu sprechen. So wie er ähnlichen Einladungen zu anderen großen europäischen Kulturevents wie der Biennale in Venedig oder dem Filmfest in Cannes nachgekommen ist, tut Selenskyj das in Frankfurt ebenfalls: Am 20. Oktober, dem Buchmessendonnerstag, wird er um 12 Uhr 30 ausgerechnet im Saal „Harmonie“ sein Wort an die internationale Buch- und Verlagsbranche richten, gefolgt von Mariya Gabriel, der EU-Kommissarin für Forschung, Innovation, Bildung, Kultur und Jugend.

Rechte Verlage sind auch wieder dabei

Mehr noch als durch die Pandemie, die sie zwar gleichfalls gebeutelt, aber nicht so schwer wie andere Kulturbereiche getroffen hat, wird die Branche durch die Rohstoffkrise belastet. Seit Russlands Überfall berichten Verlage von Umsatzrückgängen schon im Frühjahr, weil es einen Papiermangel auf dem Weltmarkt gibt, weil Lieferketten unterbrochen und die Preise für Papier gestiegen sind.

Das aber scheint sich bislang noch nicht auf die Produktionsmengen von Neuerscheinungen ausgewirkt zu haben - ihre Programme haben die Verlage kaum gestrafft, in Literaturredaktionen kommt man kaum nach mit der Prüfung immer wieder neuer Bücher –, sehr wohl aber auf die Preise der Bücher: Die Grenzen bei zehn Euro für ein Taschenbuch und 20 Euro für Hardcover sind längst Geschichte.

Da geht es jetzt bei Hardcovern schon mal an die 30 Euro, wie im Fall von Robert Menasses Roman „Die Erweiterung“, für den mit seinen über 600 Seiten der Berliner Suhrkamp Verlag 28 Euro aufruft, oder im Fall von Ian McEwans Roman „Lektionen“, den der Schweizer Diogenes Verlag für 32 Euro verkauft.

Vielen in der Branche erscheinen diese Preise immer noch zu niedrig. Die Diskussion darüber, wie teuer Bücher sein dürfen, hat gerade erst begonnen. Eine Diskussion übrigens, die vor zehn, elf Jahren undenkbar erschien, nicht wegen der Buchpreisbindung, sondern vielmehr wegen der Digitalisierung. E-Books waren die Zukunft, das Papier, das gedruckte Buch eher nicht - doch obwohl es inzwischen fast jede Neuveröffentlichung genauso elektronisch gibt, ist der Markt in dieser Hinsicht träge: Seit Jahren liegt der Anteil der E-Books am Gesamtumsatz der Branche bei zehn bis zwölf Prozent.

Doch zurück zum direkten Geschehen auf der Frankfurter Buchmesse. Zu einem Thema, das sie und ebenso die Leipziger Buchmesse seit Jahren intensiv beschäftigt: die Teilnahme rechter Verlage. Die sind in diesem Jahr abermals in kleiner Zahl dabei, so die Zeitung „Junge Freiheit“ und der österreichische Karolinger Verlag, anders im übrigen als russische Verlage. Bereits im Frühjahr hatte die Messe beschlossen, den russischen Nationalstand, der von vielen Verlagen Russlands bespielt wird, auszuschließen.

Vergangenes Jahr hatte die Autorin Jasmina Kuhnke ihre Teilnahme an zwei Messeveranstaltungen, auf denen sie ihren Debütroman „Schwarzes Herz“ vorstellen wollte, abgesagt, weil sie sich insbesondere wegen des direkt in Sichtweite der ARD-Bühne residierenden Standes des rechten Europa Verlags nicht sicher fühlte. Zahlreiche Autoren und Autorinnen schlossen sich Kuhnkes Messeboykott an.

Solange Nazis mit euch, bei euch, für euch ausstellen dürfen - solange werde ich euch boykottieren!“

Jasmina Kuhnke, Autorin von „Schwarzes Herz“

Dem versucht die Frankfurter Buchmesse nun vorzubeugen. Sie hat ein sogenanntes Awareness-Team des Berliner Bundes für Antidsikriminierungs- und Bildungsarbeit engagiert. Dieses wird durch die Hallen gehen, telefonisch zu erreichen sein und im Foyer der Halle 4.0 auch einen kleinen Stand haben.

Überdies hat die Messe einen Verhaltenskodex für alle Teilnehmer erlassen, den „Code of Conduct“. Darin betont sie ausdrücklich „für Diversität“ einzustehen, für einen „Austausch auf Augenhöhe im offenen Dialog“, und von „der Vielfalt ihrer Aussteller*innen und Besucher*innen“ zu leben. Das war früher nicht anders - es muss aber wohl unter den neuen gesellschaftlichen Vorzeichen und gerade nach den Eklats mit rechten Vorlagen in dieser Form einmal fixiert werden.

Ob es reicht? Jasmina Kuhnke hat in den sozialen Medien schon zu Protokoll gegeben: „Liebe Buchmesse, solange Nazis mit euch, bei euch, für euch ausstellen dürfen - solange werde ich euch boykottieren!" Und auch der Grünen-Politikerin Mirriane Mahn, Vorsitzende des Kulturausschusses der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung, ist das alles nicht genug.

Mahn hatte 2021 bei der Friedenspreis-Verleihung an Tsitsi Dangarembga die Rede des Oberbürgermeisters protestierend unterbrochen und für Kuhnke und gegen die Rechten Stellung bezogen. Ihr fehlen, wie sie dem „Hessischen Rundfunk“ sagte, weiterhin „ganz klar“ die Rahmenbedingungen, „dass sich alle Menschen willkommen fühlen und dass alle Menschen auch mit einem guten Gefühl auf der Messe sein können.“

Was bei all den Problemen, mit denen die Messe zu kämpfen hat, all den Diskussionen, die dieses Jahr geführt werden, all den Neuerungen wie beispielsweise der erstmaligen Zusammenarbeit der Messe mit Tiktok oder wie der „Kids Conference“, naturgemäß fehlt, trotz aller Lesungen und Autoren und Autorinnen, die in den Hallen und der Stadt ihre Bücher vorstellen: die Literatur. Mit der kann man sich dann nach der Frankfurter Buchmesse wieder intensiv beschäftigen.

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