zum Hauptinhalt
Hoch in den Bäumen trotz Höhenangst: der Aktivist Steffen Meyn.

© W Film

„Vergiss Meyn nicht“ im Kino: Tragödie im Hambacher Forst

Im Herbst 2018 stürzt der Student Steffen Meyn bei den Dreharbeiten über die Besetzerszene in den Tod. Ein Unfall, der die Frage nach dem Preis und Sinn des Widerstands stellt.

„Vergiss Meyn nicht“ ist ein radikales Werk. Nicht etwa, weil Steffen Meyn, ein Filmstudent, der 2018 während des Drehs im Hambacher Forst bei einer Räumungsaktion tödlich verunglückte, so ein militanter Klimakämpfer ist. Ist er überhaupt nicht, noch nicht mal friedlicher Aktivist, nur solidarischer Beobachter und wohlwollender Journalist.

Formal radikal ist „Vergiss Meyn nicht“, weil die Regisseurinnen Fabiana Fragale, Kilian Kuhlendahl und Jens Mühlhoff aus Meyns hinterlassenem Material, das er mit einer 360-Grad-Helmkamera über viele Monate gesammelt hat, eine vielgestaltige Baumwipfel-Subjektive machen, die dem Dokumentarfilm bei allem Ernst auch eine kuriose Note verleiht. Meyns, ein Freund der drei, der mit seiner Nerdbrille und den Zottelhaaren den Look und das Wesen eines freundlichen Kauzes pflegt, tapert als filmendes Zentralgestirn durch eine perspektivisch verzerrte Welt.

Deren Kontraste – vom Hippie-Camp der Waldschützer bis zu den RWE-Tagebaubaggern und der zur Räumung mit schwerem Gerät aufziehenden Staatsgewalt – sind so absurd wie die Realitäten dieses politischen Konflikts, in dem die in „Vergiss Meyn nicht“ dokumentierte Räumung im Nachhinein von der Justiz für illegal erklärt wurde.

Keine linke Heldengeschichte

Steil ragen sie auf, die zwanzig Meter hohen Bäume, in deren hellgrünes Laub sich die Kamera eingangs zu einem sphärischen Flötensound in die Höhe tastet. Irgendwann kommen Plakate, Baumhäuser, Seile und Stege in Sicht, Baumdörfer, die über Wipfelpfade verbunden sind. Dann wechselt die Kameraperspektive auf den Boden, ins trockene Laub, Polizisten erscheinen, heben sie auf, packen sie in Plastik. Steffen Meyns nach dem Unfall weiterlaufendes Gerät wird zum Polizeiasservat, ein ziemlich verstörender Anblick.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Wie weit darf Protest, darf Widerstand gehen? Ist ein Menschenleben ein zu hoher Preis, um durch die Besetzung des damals noch vom Energiekonzern RWE zur Braunkohle-Abbaggerung vorgesehenen Waldes, ein Zeichen gegen die Verbrennung fossiler Energien zu setzen, die wiederum die Existenz des Planeten bedroht? Diese moralische, ethische, politische Frage ist der Subtext, der sich auch durch die Interviews mit den Forstbesetzern von damals zieht, die „Vergiss Meyn nicht“ noch einmal zu Wort kommen lässt.

Es sind reflektierte und quicklebendige junge Menschen, die da differenziert erzählen. Zierden einer aufgeklärten Gesellschaft, möchte man fast sagen, ohne Interesse an materieller Profitmaximierung, dafür an gemeinschaftlichem Leben und der Erhaltung der Lebensgrundlagen. Sie beschönigen nichts. Weder das Campleben mit seinen uneinheitlichen Positionen zu Militanz und Gewalt, noch die Rolle von Staat und Polizei, mit der man bei Rangeleien am Waldrand vor Meyns Kamera dramatisch zusammenkracht.

Als Skeptiker gegenüber gesellschaftlichen Hierarchien ist der 1991 geborene Meyn, der an der Kunsthochschule für Medien Köln studierte, selber ein Teil dieser Subkultur, auch wenn er im Camp als Einzelgänger auftritt. Eine auch ob des filmischen Engagements, das ihn trotz Höhenangst in schwindelnde Höhen führt, beeindruckende Figur. „Vergiss Meyn nicht“ setzte bereits auf der Berlinale rege Diskussionen in Gang, als der Dokumentarfilm in der Perspektive Deutsches Kino lief.

Weder der Filmemacher noch die Protestszene im „Hambi“, die Müllberge ebenso kennt wie Querelen und Sexismen untereinander, werden von den Regisseuren zur linken Heldengeschichte stilisiert. Da mag ein vermummter Rapper vor dem Baumhaus noch so hip „Plenum ist um drei / und drogenkritisch heißt nicht drogenfrei“ reimen. Vielmehr dient dieser Dokumentarfilm, der nicht der einzige über den Hambacher Forst ist, als bewegendes Zeugnis. Auch das des Menschen- und Baumfreundes Steffen Meyn, dessen Unfalltod sich am 19. September 2023 zum fünften Mal jährt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false