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Blick in die Ausstellung mit Arbeiten von Sofie Dawo und Haleh Redjaian.

© Kunsthaus Dahlem, VG Bild-Kunst, Bonn

Textiles im Kunsthaus Dahlem: „6,2 Kilo Garn, 200 Stunden Arbeitszeit“

Die Ausstellung „Vom Faden zur Form“ zeigt wie Sofie Dawo seit den 60er Jahren mit Webereien völlig neue Kunst machte und was sie mit der ZERO-Bewegung verband.

Bei Motten hört der Spaß auf. Das flauschige Kunstwerk mit seinem raumgreifenden Relief aus dicken Wollfäden war noch gar nicht richtig ausgepackt, da musste es auf der Stelle schon wieder abreisen. Zurück zum Leihgeber, leider. Kuratorin Petra Gördüren vom Kunsthaus Dahlem musste die Lücke mit einem anderen Werk von Sofie Dawo füllen. Ein experimentelles Gewebe aus Peddigrohr und Leinen von 1972 rückte nach.

Textilkunst hat ihre eigenen Regeln, Problemzonen und Empfindlichkeiten. Das Material, das uns im Alltag hilft, der Witterung zu trotzen oder als Teppich zu Füßen liegt, ist seit jeher auch Stoff für Kunst. Aber ist das Textile als solche wirklich anerkannt? Rangiert es auf Augenhöhe mit der hohen Kunst des Pinselns auf Leinwand?

Das Kunsthaus Dahlem macht mit Sofie Dawo die Probe aufs Exempel. Raus aus der reinen Kunsthandwerksparte und mitten hinein unter die zeitgleichen Tendenzen von ZERO und konkreter Kunst rückt die Ausstellung „Vom Faden zur Form“ ihre Werke.

Vorbild Bauhaus und eigener Weg

Die im Saarland geborene und tätige Dawo, Jahrgang 1926, war bis vor kurzem höchstens Spezialisten ein Begriff. Jetzt gesellt sich zu ihren technisch oft wagemutigen Webarbeiten, den schwarzweißen Tuschezeichnungen und Archivalien eine Auswahl ebenso konsequent abstrakter Werke von ZERO-Künstlern wie Heinz Mack und Günter Uecker – und von Saarbrücker Hochschulkollegen wie Oskar Holweck.

Sofie Dawo in der Galerie Elitzer,Saarbrücken 1964.
Sofie Dawo in der Galerie Elitzer,Saarbrücken 1964.

© Julius Schmidt

In deren Kreis bewegte sich Dawo – etwa der 1957 gegründeten neuen gruppe saar, der sie aber nicht beitrat. Seit das Saarland nunmehr Teil der BRD war, lebte die Kunstszene auf. An der Kunsthochschule hielt man, wie vielerorts nach dem Krieg, das Vorbild Bauhaus hoch. Dawo durchlief die Grundlehre, die Webereiklasse und übernahm später selbst deren Leitung, rückte zur stellvertretenden Schuldirektorin auf. Aber nicht im Fahrwasser der Bauhaus-Weberinnen wie Gunta Stölzl verortet die Kuratorin sie.

Tatsächlich entwickelte Dawo eine ganz eigene, wegweisende Art, mit Fäden Kunst zu machen. Das Spiel des Lichts, das Austesten materieller Eigenschaften und eine Vorliebe für strenge Rasterstrukturen: das lässt sich bei Dawo ebenso beobachten wie im ZERO-Umkreis. Hier gibt es auch die nahezu vergessenen ZERO-Künstlerinnen Marianne Aue und Nanda Vigo zu entdecken.

Interesse am Spiel des Lichts

Sofie Dawo arbeitete technisch versiert. Aber mehr die Abweichung als die Regel interessierte sie. Das immergleiche Auf und Ab der Fäden auf dem Webstuhl wollte sie ohne Scheu durchbrechen. Mal zerschnitt sie die Schussfäden, ließ Schlaufen hängen. Mal schor sie reliefartige Florhöhen oder knotete freie Linien aus ungewöhnlichen Materialien, wie Kunststoff und Metall.

Ihre abstrakten Rhythmen schaute sie, wie Fotos aus dem schriftlichen Nachlass zeigen, anfangs der Natur ab: Baumgeäst, Wellen, Sandstrukturen. In ihren Zeichnungen bearbeitete sie mit schwarzer Tinte und diversen Hilfsmitteln selbst gestellte Gestaltungsaufgaben. Was herauskam, konnte auch als Vorlage für einen Wandbehang dienen. Meist aber vertraute die Künstlerin dem Eigensinn des textilen Materials. „6,2 Kilo Garn, 200 Stunden Arbeitszeit“, notierte sie in ihrer Werkkartei zu einem Teppich.

Ein Fan von Sowie Dawo ist die 1971 in Frankfurt geborene Künstlerin Haleh Redjaian. Ihre jetzt vor Ort entstandene Installation setzt einen räumlichen Kontrapunkt zu deren Wandarbeiten. Drei große Stahlrahmen hat sie frei in das ehemalige Atelier des NS-Bildhauers Arno Breker gestellt.

Fein, wie Harfensaiten, spannen sich darüber farbige Fäden. Ihr klarer Rhythmus ist von einer fast schneidenden Präzision und Schärfe. Haleh Redjaian hat ihre Wurzeln im Iran, dort lässt sie per Hand weiße Teppiche weben. Darauf stickt sie minimalistische Linienraster. Sie widersprechen dem Gewebten und lassen sich doch davon tragen.

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