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French-Senegalese filmmaker and actress Mati Diop (L) poses with the Golden Bear for Best Film for the film "Dahomey" with Kenyan-Mexican actress and President of the International Jury 2024 Lupita Nyong‘o back stage during the awards ceremony of the 74th Berlinale International Film Festival, on February 24, 2024 in Berlin. (Photo by NADJA WOHLLEBEN / POOL / AFP)

© AFP/NADJA WOHLLEBEN

Preisverleihung bei der 74. Berlinale: Goldener Bär für den Dokumentarfilm „Dahomey“

Festival-Finale im letzten Jahr des Leitungsduos Chatrian und Rissenbeek: Bei der Bären-Gala wurde es einseitig politisch. Viele Preisträger forderten Solidarität mit den Palästinensern.

Mit dem Goldenen Bär in der Hand forderte die französische Dokumentarfilmerin Mati Diop alle Menschen auf, die Mauern des Schweigens nicht zu akzeptieren. Ihr nur 67-minütiges Werk Dahomey, Gewinnerfilm der 74. Berlinale, zeigt die Rückkehr von 26 Benin-Kulturschätzen aus Paris in ihre afrikanische Heimat und eine von der Regisseurin selbst initiierte Diskussion in Cotonou über Fragen der kulturellen Identität und den „kolonialen Gewaltakt“ des Kunstraubs.

Die 41-Jährige Diop zeigte sich gerührt, bedankte sich bei ihrem Team und ihren Liebsten und hielt eine bewegende kurze Rede über Restitution und Gerechtigkeit, über die Notwendigkeit eines jeden, sich in der Geschichte verwurzeln zu können. „Wir können die Vergangenheit als Bürde auffassen oder aber als Basis, um weiterzukommen. Wir lehnen es ab, Geschichtsvergessenheit zu akzeptieren“.

Die Entscheidung der Jury unter Leitung der Schauspielerin und Filmemacherin Lupita Nyong’o wurde bei der Bären-Gala am Samstagabend im Berlinale-Palast mit großem Jubel und einigen wenigen Pfiffen aufgenommen, vielleicht waren es Pfiffe aus Begeisterung. Die als Favoriten gehandelten Filme „My Favourite Cake“ aus dem Iran, „Des Teufels Bad“ und „L’Empire“ sowie die beiden deutschen Wettbewerbsbeiträge von Andreas Dresen und Matthias Glasner erhielten nur Nebenpreise oder gingen leer aus.

Bei der Gala ging es am Ende Schlag auf Schlag: Der wichtigste Silber-Bär, der Große Preis der Jury, wurde an Hong Sangsoos A Traveler’s Needs verliehen, Isabelle Huppert spielt darin eine Möchtegern-Französischlehrerin in Südkorea. „Ich weiß nicht, was Sie in dem Film gesehen haben, ich bin sehr neugierig,“ so Hong Sangsoo – der Saal reagierte mit Gelächter. Als Jury-Mitglied Christian Petzold den Preis der Jury für Bruno Dumonts Science-Fiction-Groteske L’Empire verkündete, folgte der zweite kurzweilige Moment der Gala. Dumont schaute seinem Silberbären tief in die Augen und bemühte sein Handy-Sprachprogramm für eine Definition von Filmkunst.

Der deutsche Filmemacher Matthias Glasner erhält Silber für das Beste Drehbuch, für sein Familiendrama „Sterben“.
Der deutsche Filmemacher Matthias Glasner erhält Silber für das Beste Drehbuch, für sein Familiendrama „Sterben“.

© REUTERS/NADJA WOHLLEBEN

Mit dem Preis für die beste Regie wurde Carlos Nelson De Los Santos Arias für sein Nilpferd- und Kolonialismus-Drama Pepe ausgezeichnet. Bei seiner Dankesrede brach der dominikanische Filmemacher eine Lanze für die Macht des Vorstellungsvermögens.

Als bester Hauptdarsteller gewann Sebastian Stan. Er spielt in A Different Man einen Mann mit entstellt-verwachsenem Gesicht, der nach einer wundersamen Heilung feststellen muss, dass er als Beau nicht glücklicher ist. Für ihre überragende Nebenrolle als sadistische Mutter Oberin in einem schottischen Magdalenenheim im Eröffnungsfilm Small Things Like These erhielt Emily Watson eine Trophäe.

Den Preis für das beste Drehbuch erhielt Matthias Glasner für Sterben: die einzige Auszeichnung, die dieses Jahr nach Deutschland geht. Es blieb dem ukrainischen Jury-Mitglied Oksana Zabuzhko überlassen, bei ihrer Laudatio als einzige neben Berlinale-Chefin Mariette Rissenbeek an den heutigen zweiten Jahrestag des Beginns der russischen Invasion in der Ukraine zu erinnern. Zu „Sterben“ sagte Glasner: „Es ist ein Film über die Abwesenheit von Liebe, aber er wurde mit viel Liebe gemacht“. Über Silber für die beste künstlerische Einzelleistung freute sich Kameramann Martin Gschlacht für Des Teufels Bad.

Wie „spicy“ es denn nun gewesen sei bei der Jury-Arbeit, wollte Moderatorin Hadnet Tesfai von Jury-Präsidentin Lupita Nyong’o wissen, denn von scharf gewürzten Diskussionen war schon bei der Jury-Pressekonferenz vor zehn Tagen die Rede. „Wir hatten angeregte Diskussionen“, so Nyong’o, „waren nicht immer einer Meinung, hatten aber immer Respekt vor der Meinung der anderen.“

Zuvor waren bei der Gala die Preise in anderen Kategorien vergeben worden. Die dreiköpfige Encounters-Jury zeichnete den dreistündigen Dokumentarfilm Direct Action von Guillaume Cailleau and Ben Russell über das gleichnamige, teils militante französische Aktivist:innenkollektiv mit dem Hauptpreis aus, er erhielt auch eine Lobende Erwähnung der Dokumentarfilm-Jury. Die brasialinische Filmemacherin Juliana Rojas erhielt für Cidade; Campo den Encounters-Regiepreis, Spezialpreise gingen an The Great Yawn aus Iran sowie Some Rain Must Fall aus China.

Hier wurde es unmissverständlich politisch: Ben Russell trug Palästinensertuch und forderte ebenso wie Juliana Rojas einen Waffenstillstand in Gaza, er sprach auch von Genozid.

Jury-Präsidentin Lupita Nyong’o verkündete den Goldenen Bären für „Dahomey“.
Jury-Präsidentin Lupita Nyong’o verkündete den Goldenen Bären für „Dahomey“.

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Explizit politisch war es schon bei der Verleihung des Dokumentarfilmpreises geworden, für den 20 Filme quer durch alle Sektionen nominiert waren. Den Gewinnerfilm, No Other Land über den Alltag und die Zerstörungen in einem Dorf im Westjordanland, hat ein palästinensisch-israelisches Kollektiv realisiert. Die Auszeichnung wurde im Saal mit großem Jubel begrüßt und war von unmissverständlichen Appellen begleitet. Bereits die Jury nahm Bezug auf das aktuelle Leid der palästinensischen Bevölkerung in Gaza: „Die Welt ist in Flammen und wir wenden die Augen ab“.

Die geehrten Filmemacher, der Palästinenser Basel Adra und der Israeli Yuval Abraham, appellierten an Israel und Deutschland. „Stop sending weapons to Israel“, forderte Adra, und Abraham betonte, dass sein Regie-Kollege anders als er selbst keine Bürgerrechte besitzt: „Stop the occupation“. Das Massaker der Hamas erwähnten sie nicht, wie auch sonst niemand der Preisträger:innen oder Juror:innen an diesem Abend, wenn sie auf die Lage in Gaza zu sprechen kamen. Auch Goldgewinnerin Diop hatte lediglich ihrer Solidarität mit den Palästinensern Ausdruck verliehen.

Tricia Tuttle auf dem roten Teppich. Im April tritt sie ihr Amt als neue Berlinale-Leiterin an.
Tricia Tuttle auf dem roten Teppich. Im April tritt sie ihr Amt als neue Berlinale-Leiterin an.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

Der von der GWFF (Gesellschaft zur Wahrnehmung von Film- und Fernsehrechten) mit 50.000 Euro dotierte Preis für den besten Erstlingsfilm wurde dem jungen Vietnamesen Pham Ngoc Lan für seinen Panorama-Beitrag Cu Li Never Cries zuerkannt, ein Film über die Langzeitfolgen von Kriegen. US-Regisseurin Eliza Hittman, Mitglied der Jury, sagte: „Es gibt keinen gerechten Krieg. Wer das glaubt, erliegt einer Selbsttäuschung“, einer der ersten politischen Sätze im Lauf der Preisverleihung.

Fünf Jahre Berlinale unter der Leitung von Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, überschattet von Tragödien wie den rassistischen Morden in Hanau, der Pandemie, dem Krieg in der Ukraine: Zu Beginn der Gala wurde die Doppelspitze nach ihrer Bilanz gefragt. Rissenbeek sprach von etwas Wehmut und viel Freude, auch über diesen letzten Jahrgang, und sie erinnerte sich an besondere Begegnungen mit Emma Thompson, Sigourney Weaver und Joan Baez.

Was die politische Berlinale betrifft, appellierte Rissenbeek an die Hamas, die Geiseln freizulassen, und an Israels Regierung, das Leid der Zivilbevölkerung in Gaza zu lindern und einen baldigen Frieden zu ermöglichen. Noch einmal wiederholt sie ihre Eröffnungsworte, dass es auf der Berlinale keinen Platz für Hass und Hetze gibt.

Und Chatrians beste Erinnerungen? Der bald abtretende Künstlerische Leiter verwies auf das Publikum. Die Zuschauer und die Filme seien am Ende das Wichtigste beim Festival. Auch er sprach von bewegenden Momenten, ohne Namen zu nennen, von Filmen über Menschen in Not und der Hoffnung, dass auch Filme zum friedlichen Austausch beitragen können. Er verwies auch auf die vielen Kinos der Stadt, die bitte nicht schließen mögen.

Sie wolle unsichtbar bleiben, hatte die künftige Festivalchefin Tricia Tuttle ihre diskrete Anwesenheit auf der diesjährigen Berlinale angekündigt. Mitlaufen, Beobachten, Lernen, das hatte sie sich für die letzte Berlinale ihrer Vorgänger vorgenommen. Nun lief sie doch schon einmal ganz offiziell über den Roten Teppich, stellte sich den Blitzlichtern der Fotografen und wurde von Rissenbeek im Saal begrüßt. Good luck, Tricia Tuttle! Wir Festival-Fans freuen uns auf die 75. Berlinale im Februar 2025.

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