zum Hauptinhalt
Die polnische Filmemacherin Agnieszka Holland wurde beim Filmfest Venedig für ihr Flüchtlingsdrama „Green Border“ mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet.

© AFP/Gabriel Bouys

Attacken auf Polens Kultur: Minister ignoriert Proteste gegen Verunglimpfung von Agnieszka Holland

Museumschefinnen und Theaterleute werden abgesetzt, trotz internationaler Proteste. Mit der Attacke gegen die in Venedig ausgezeichnete Filmemacherin beweist die polnische Regierung erneut, dass ihr die Kunstfreiheit ein Dorn im Auge ist.

Im Vorfeld der polnischen Parlamentswahlen Mitte Oktober nimmt der Druck auf die dortigen Kulturschaffenden deutlich zu. Jüngstes Beispiel: Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro bezichtigte die Filmemacherin Agnieszka Holland der NS-Propaganda. Auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) schrieb er: „Im Dritten Reich produzierten die Deutschen Propagandafilme, die die Polen als Banditen und Mörder zeigten. Heute gibt es dafür Agnieszka Holland“.

Seine Verunglimpfung zielt auf Hollands Flüchtlingsdrama „Green Broder“, das kürzlich auf dem Filmfest Venedig den Spezialpreis der Jury gewann. Der Film handelt von den Pushbacks an der Grenze zwischen Polen und Belarus und zeigt die Grenzschikanen aus der Perspektive einer syrischen Familie, von Menschenrechtsaktivist:innen und auch aus der Sicht eines polnischen Grenzsoldaten, der moralische Skrupel bekommt.

Ziobro, Vorsitzender der rechtsextremen Regierungsbündnis-Partei Souveränes Polen (vormals Solidarisches Polen), gilt als Architekt der umstrittenen Justizreform. Den Post hatte er bereits vor der Weltpremiere von „Green Border“ in Venedig abgesetzt. Er beschimpfte die 74-Jährige außerdem als Tochter eines Stalinisten.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Hollands Vater, ein Soziologe, ist jüdischer Herkunft, er kämpfte gegen die Nazis und wurde nach dem Krieg von den kommunistischen Machthabern schikaniert und in den Tod getrieben. Hollands Mutter war am Warschauer Aufstand beteiligt, die Regisseurin ist zudem die Enkelin von Holocaust-Überlebenden.

Agnieszka Holland hatte Ziobro daraufhin ein Ultimatum gestellt. Falls er sich nicht entschuldige, erwäge sie eine Klage gegen ihn, wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. Das Ultimatum ist inzwischen abgelaufen, der Justizminister hatte dazu nur bemerkt, er lasse lieber Gott über sich urteilen als ein Gericht.

Die Europäische Filmakademie, deren Präsidentin Agnieszka Holland seit 2020 ist, zeigte sich bestürzt über die Feindseligkeit, die Holland in ihrer Heimat entgegenschlägt. Auch der Zusammenschluss der europäischen Filmemacher, die Federation of European Screen Directors, erklärte sich solidarisch, man stehe geschlossen hinter der Kollegin. Der Minister habe den Film gar nicht gesehen, es handele sich seinerseits um eine heimtückische Form von Propaganda.

Die Europäische Allianz der Akademien der Künste, dieser Tage zu Gast in der Krakauer Villa Decius, und namentlich Jeanine Meerapfel als Präsidentin der Berliner Akademie der Künste und Initiatorin der 2020 gegründeten Allianz, verurteilte die „Attacke auf die Würde einer hochgeschätzten Filmemacherin und Kollegin“ ebenfalls scharf.

Holland ist nicht der einzige Fall, bei dem die polnische Politik gegen Kulturschaffende poltert und die rechtspopulistische PiS ihre Linie weiterhin durchzusetzen versucht. Am Donnerstag und Freitag veranstaltete die Villa Decius Podien mit Kulturschaffenden zur Freiheit der Künste in Zeiten politischen Wandels überall in Europa. Zu den Teilnehmenden zählte unter anderem Krzystztof Gluchowski, Direktor des Juliusz Slowacki Theaters in Krakau. Seit eineinhalb Jahren droht Gluchowski die Entlassung, wegen angeblicher finanzieller Unregelmäßigkeiten. In Wahrheit geht es wohl um Inszenierungen von polnischen Klassikern, die als regierungskritisch angesehen werden, und um Gastauftritte von kritischen Künstler:innen.

Freie Bühnen, die zum Beispiel LGBTQ-Themen verhandeln, erhalten keine Förderung mehr, aber auch Stadtheater sollen offenbar auf Linie gebracht werden. Jüngstes Beispiel ist die zwischenzeitliche Entlassung der Regisseurin Monika Strzepka, die vor einem Jahr zur Leiterin des Dramatischen Theaters in Warschau gewählt, im November geschasst wurde und im Frühjahr ihr Amt nach juristischen Auseinandersetzungen zurückerhielt. Der Vorwurf gegen sie: Sie vertrete einen radikalen Feminismus und mache die Bühne zu einem „Ort für Minderheiten“.

Noch folgen in Polen auf solche Vorfälle Proteste und Demonstrationen, noch urteilt die Justiz beileibe nicht immer im Sinne der Rechtspopulisten, noch berichten die Medien. Und in Städten wie in Warschau oder Krakau sitzen Demokraten im Rathaus, die die Freiheit der Künste verteidigen.

In seiner Begrüßung sprach der Krakauer Kulturdezernent Robert Piaskowski in der Villa Decius von Krakau denn auch als einer offenen, kosmopolitischen, furchtlosen Stadt, sprach sich für die kulturelle Avantgarde und Diversität aus. Gleichzeitig sieht er die Freiheit der Künste in Polen bedroht und kritisiert den „systematischen kulturellen Krieg“. Er sei nicht zuletzt ein Ablenkungsmanöver von den eigentlichen Problemen des Landes.    

Übertrieben? Bereits 2016 war die Leiterin des Polnischen Kulturinstituts, Katarzyna Wielga-Skolimowska (heute Leiterin der Bundeskulturstiftung), kurzfristig abgesetzt worden, wegen angeblicher übermäßiger Beschäftigung mit jüdischen Themen. Dass die polnische Geschichtspolitik nationalistisch ausgerichtet wird, sorgte 2021 erneut für Kritik, als sich die Holocaustforscher:innen Jan Grabowski und Barbara Engelking wegen ihrer Publikation zur Kollaboration von Pol:innen mit den Nazis nicht nur Hasskampagnen ausgesetzt sahen, sondern auch zu einer Entschuldigung verurteilt wurden.

Unliebsame Museumsdirektorinnen werden entlassen

Auch dieses Gerichtsurteil wurde revidiert. Dennoch musste im Mai dieses Jahres ein Vortrag Grabowskis in der polnischen Hauptstadt abgebrochen werden. Ein Rechtsaußen-Politiker hatte dessen Mikrofon vor Publikum zerstört, die Polizei behelligte den Randalierer nicht weiter.   

Auch wird die Liste entlassener liberaler Museumsdirektorinnen länger. Auf Hanna Wróblenska von der renommierten Nationalen Kunstgalerie Zacheta und auf Malgorzata Ludwisiak vom Warschauer Zentrum für Zeitgenössische Kunst, folgte Anfang September Joanna Wasilewska, langjährige Direktorin des Asien-Pazifik-Museums in Warschau. Die Begründung für ihre überraschende Absetzung: wieder „finanzielle Unregelmäßigkeiten“.

Wasilewska vermutet gegenüber dem Online-Magazin „The Art Newspaper“, ihre Entlassung habe wohl damit zu tun, dass sie sich wiederholt gegen die Einmischung in interne Museumsangelegenheiten zur Wehr gesetzt habe, zum Beispiel gegen die Ernennung inkompetenter Vizedirektoren.

Abgesetzt wurde sie von Vertretern der Polnischen Volkspartei, die bei den Wahlen gegen die seit acht Jahren regierende PiS antritt. Mehr als 850 internationale Museumsleute unterzeichneten einen offenen Protestbrief. Eine Aktion wie Wasilewskas Entlassung, so schreiben sie, würde nun auch das Vertrauen in die Versprechungen der Opposition untergraben, Kultur und Wissenschaft gegen Angriffe schützen zu wollen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false