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Die Hessen-„Tatorte“ mit Ulrich Tukur als Felix Murot gehören zu den außergewöhnlichsten Episoden der ARD-Krimireihe. Besonders kontrovers wurden vor „Murot und das Paradies“ die Folgen „Im Schmerz geboren“ von 2014 sowie „Murot und das Murmeltier“ von 2019 diskutiert.

© dpa/Bettina Müller

„Tatort“ vom Sonntag: „Murot und das Paradies“ spaltet das Publikum und das ist gut so

Der jüngste HR-„Tatort“ aus Wiesbaden ist nicht der Erste, der das Fernseh-Publikum spaltet. Warum die Episoden mit Ulrich Tukur für die ARD-Krimireihe so wertvoll sind.

Ein Kommentar von Kurt Sagatz

Kein Sex, aber Rentenansprüche. Das macht Felix Murot alias Ulrich Tukur schwer zu schaffen. „Wir alle sind Herr Rossi auf der Suche nach dem Glück. Am Ende bleiben nichts als geplatzte Träume und Mundgeruch“, stellt der „Tatort“-Kommissar aus Wiesbaden deprimiert fest.

Zu Beginn des „Tatort“ am Sonntagabend legte sich Felix Murot vor Martin Wuttke auf die Therapeutencouch. Dort darf er das machen, wovon die meisten Kollegen in den sonst durchschematisierten Folgen der ARD-Krimi-Reihe nur träumen können: seine Qualitäten als Schauspieler ausleben – zumindest bis zum nächsten Leichenfund in einer wenig verheißungsvollen Zukunftsvision.

Komplett real ist hingegen, dass der Hessen-„Tatort“ mit Ulrich Tukur es wieder einmal geschafft hat, das Publikum zu spalten. Die „Bild“-Zeitung vergab für die Folge „Murot und das Paradies“ sogar die Schulnote sechs. Nein, diesen „Tatort“ solle man sich nicht anschauen, wenn man einen „normalen Krimi“ sehen wolle, urteilte das Boulevard-Blatt. Um dann aber hinzufügen: „Das ist Fantasy-Vergnügen mit Top-Schauspielern (Eva Mattes, 68, als arrogante Gerichtsmedizinerin, Martin Wuttke, 61, als Psycho-Doc).“

Auch im Tagesspiegel wurde vorab von einem Vergnügen gesprochen. Von einem sehr kurzweiligen sogar, getragen von starken Bildern – Murot schwimmt in einer Art Ursuppe und träumt philosophierend davon, als Astronaut durch den Weltraum zu gleiten. „Nach einer Logik im Sinne ,realistischer‘ Krimi-Muster zu suchen, ist allerdings zwecklos“, meinte Fernsehkritiker Thomas Gehringer, der zwar keine Schulnoten vergab, dafür aber eine eindeutige Einschaltempfehlung.

Von super und genial bis poetisch und tiefsinnig

So sehen es im Nachgang ganz überwiegend auch die „Tatort“-Fans auf der Facebook-Seite der Krimireihe: Von super, genial, und außergewöhnlich bis immer schräg und etwas poetisch sowie volle Punktzahl, sehr tiefsinnig, lauteten die Kommentare. Was will man als ARD-Sender mehr?

Möglicherweise mehr Zuschauer, denn damit haperte es am Sonntag. Mit 5,95 Millionen bleibt das „Paradies“ deutlich hinter „Murot und das Gesetz des Karma“ zurück. Diese Folge lockt vor einem Jahr immerhin auf 8,13 Millionen Menschen vor die Fernseher. Offenbar war vielen Nutzern der Fernsehe-Glücksmaschine die Vorstellung doch zu abgedreht, dass sich Menschen ihren Bauchnabel operativ für einen künstlichen Zugang zum Glück entfernen lassen. Oder dass Murot in dieser Traumwelt Adolf Hitler begegnet und beim Tyrannenmord selbst ums Leben kommt.

Dabei sind die Tukur-„Tatorte“ so experimentierfreudig wie sonst nur noch die Impro-Krimis des SWR. Die Folge „Babbeldasch“ hatte Axel Ranisch als „Kriminaloperette ohne Gesang“ konzipiert, was ebenfalls heftige Zuschauerreaktionen auslöste. Die HR-„Tatorte“ aus Wiesbaden lassen die Routine der Sonntagabendkrimis hingegen auf fantastisch-skurrile Weise hinter sich.

Man denke nur an die Folge „Im Schmerz geboren“ von 2014 mit dem großen Western-Showdown zwischen Ulrich Tukur und Ulrich Matthes. Am Ende bleiben 51 Leichen im Dreck liegen. Mehr Tote hat es in keinem „Tatort“ gegeben. 2019 geriet Tukur in „Murot und das Murmeltier“ wie einst Bill Murray in eine Zeitschleife, die ebenfalls manche Zuschauer überforderte. Ulrich Tukur hat sowohl das Murmeltier als auch die Glücksmaschine überlebt. Jetzt heißt es: Auf zu neuen Experimenten.

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