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Zwei gegen Hitler: Thomasina (Emma Appleton, rechts) und Martha (Stefanie Martini) sind den Deutschen einen Schritt voraus.

© Neue Visionen Filmverleih

„Lola“ im Kino: Glamrock für Hitler

Feministisch wie „Barbie“, größenwahnsinnig wie „Oppenheimer“. Die Science-Fiction-Mockumentary „Lola“ über eine Zeitmaschine, die den Lauf der Welt verändert, ist ein seltenes Kino-Kleinod.

Von Andreas Busche

Der vergangene Sommer stand ganz im Zeichen des Phänomens „Barbenheimer“. Das unwahrscheinliche Doppel um das magersüchtige All-American-Girl in einer Existenzkrise (Feminismus) und den grüblerischen Wissenschaftler als moralisierender Weltenzerstörer (Größenwahn) dominierte die Kinokassen.

Wo das Blockbusterkino diese beiden Sujets aber noch hübsch kompartmentalisierte, ist dem irischen Regisseur Andrew Legge mit einem Micro-Budget gelungen, woran sich bereits zahllose Kinofans mit Do-It-Yourself-Videos im Internet versuchten. Sein Film „Lola“ ist gewissermaßen „Barbie“ und „Oppenheimer“ in einem, gedreht mit einer 16mm-Bolex-Kamera, die seinen historischen Bildern mitunter die körnige Textur einer Mondübertragung verleiht.

Kriegsmotto aus „Top of the Pops“

Im Jahr 2021 werden im englischen Sussex Filmrollen aus den 1940ern entdeckt. Was es mit ihnen auf sich hat, rekonstruiert „Lola“ in einer Art Medien-Archäologie. Die Aufnahmen stammen von den Schwestern Martha (Stefanie Martini) und Thomasina (Emma Appleton), die gemeinsam ein Gerät entwickelt haben, mit dem sie Fernseh- und Radiosignale aus der Zukunft empfangen. (Thomasina, die Pragmatikerin der beiden, hat für ihre eher künstlerisch veranlagte Schwester ganz nebenbei noch eine Filmkamera erfunden, die Ton aufnehmen kann.)

Was unter anderem den schönen Nebeneffekt hat, dass man in den tristen Weltkriegsjahren in frühen „Top of the Pops“-Folgen stöbern kann und dem Empire mit „You Really Got Me“ von den Kinks ein schmissiges Kriegsmotto beschert, das auf Doppeldeckerbussen und in der Werbung zu sehen ist.

Als die Invasion der Deutschen bevorsteht, werden Martha und Thomasina als „Engel von Portobello“ zur Geheimwaffe Ihrer Majestät, weil sie mit ihren Botschaften aus der nahen Zukunft der Wehrmacht stets einen Schritt voraus sind. Das Kriegsglück wendet sich zugunsten der britischen Luftwaffe. Aber für Selfmade-Wissenschaftlerinnen gilt im Grunde dasselbe wie für Superhelden: Mit großer Kraft geht auch große Verantwortung einher.

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Es muss verwirrend sein, meint ihr Verbindungsmann zum britischen Heer, Leutnant Sebastian Holloway (Rory Fleck Byrne), einmal zu Martha, wenn Gegenwart und Zukunft verschmelzen. Die Macht über die Geschichte veranlasst Thomasina schließlich aber zu moralisch fragwürdigen Entscheidungen über Leben und Tod.

Und plötzlich blickt ihnen aus dem Jahr 1973 nicht mehr der melancholische Weltraumreisende Ziggy Stardust entgegen, sondern ein finsterer Nazi-Glamrocker namens Reginald Watson, der dem Führer ein patriotisches Marschlied singt. Die Schwestern verstehen die Welt nicht mehr, diesen Verlauf der Geschichte haben sie nicht vorhergesehen. Buchstäblich.

Junge Frauen in „Mint“-Berufen

Mit seiner Science-Fiction-Mockumentary „Lola“ – so der Name der Maschine – hat Legge das Genre der alternative history wie auch die Zeitreise-Komödie (inklusive „Zurück in die Zukunft“-Zitat) und den found footage-Film um eine hochoriginelle Variation bereichert, die gar nicht mal so schlau oder teuer daherkommen muss wie Christopher Nolans „Tenet“.

Als Zeugnis der Vergangenheit – oder doch aus der Zukunft? In guten Zeitreisegeschichten sind die Grenzen da nicht so eindeutig – kann der irische Regisseur das Mikro-Budget seines Films in eine Stärke ummünzen. Die digital bearbeiteten Nachrichtenbilder, in denen die Wehrmacht durch London marschiert oder Hitler mit Thomasina Lola inspiziert, sehen überzeugend aus. Und die drei Songs, die Divine-Comedy-Mastermind Neil Hannon für den Film geschrieben hat (darunter der Ohrwurm „Meet me at the Gallow“) überhöhen den exzentrischen Humor der Geschichte noch.

Allerdings verfügt Legge mit Stefanie Martini und Emma Appleton auch über zwei Darstellerinnen, die dem Topos der „Hosenrollen“ mehr als nur einen quasi-feministischen Subtext abgewinnen. Dass zwei junge Frauen in „Mint“-Berufen der gesamten Wehrmacht ein Schnippchen schlagen, veranlasst nicht nur die britische Boulevardpresse zu enthusiastischen Schlagzeilen.

Zur Pop-Affinität der beiden Heldinnen gesellt sich bald aber auch eine dunkle Seite, ein Gott-Komplex angesichts der Kontrolle über die Zeit. „Lola“ beginnt wie eine Komödie, was Martini und Appleton mühelos gelingt. Doch die Nazi-Symbole, mit denen Legge ironisch spielt, tragen die Gespenster der Vergangenheit immer noch in sich. Selbst ein David Bowie musste das irgendwann einsehen.

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