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Augusto Gongóra und Paulina Urrutia in "Die unendliche Erinnerung"

© Piffl Medien

Kämpfen gegen das Vergessen: Der bewegende Dokumentarfilm „Die unendliche Erinnerung“

Hommage an die Kraft der Liebe: Zeitlebens kämpfte Augusto gegen das Vergessen seines Landes, Chile. Jetzt hat er Alzheimer, und seine Frau Paulina kämpft gegen seinen Gedächtnisverlust.

Morgens weiß er manchmal nicht, wer die Frau in seinem Schlafzimmer ist. „Ich bin die Pauli“, sagt sie dann, und er freut sich, sie kennenzulernen. Es ist Liebe auf den ersten, auf den tausendsten Blick: Augusto Gongóra hat Alzheimer. Einst kämpfte er als Journalist in Chile gegen das Vergessen der Pinochet-Opfer an, anfangs im Untergrund, dann in den Jahren der Demokratisierung. Heute kämpft seine Frau, die Schauspielerin und zeitweilige Kulturministerin Paulina Urrutia, gegen Augustos Vergessen.

Die Dokumentarfilmerin Maite Alberdi ist mit der Kamera dabei, mit ausdrücklicher Zustimmung des Paars. Aus der Homestory der beiden – wegen der Kontaktbeschränkungen in der Pandemie drehte Urrutia teils auch selber –, aus Familienvideos und TV-Archivmaterial hat sie eine bewegende Hommage an eine große Liebe, die Kraft der Leidenschaft und die Tapferkeit einer Frau montiert. „Die unendliche Erinnerung“ ist ein zutiefst intimer, hochpolitischer Film, eine Hommage an all jene, die dem Vergessen die Stirn bieten.

Augusto und Paulina sind seit über 20 Jahren ein Paar. Unermüdlich erzählt sie ihm, wer er ist. In den Achtzigern leitete Gongóra den Untergrundsender Teleanálisis, als TV-Kulturredakteur interviewte er später Filmgrößen wie Raúl Ruiz und Javier Bardem. Alle Welt kannte ihn, jetzt kennt er die Welt nicht mehr.

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Paulina erinnert ihn daran, was in Chile unter Pinochet geschah, dass sie ihr Haus einmal selbst gebaut haben und zwei Kinder zur Familie gehören. Und Augusto staunt. Jeden Tag verliebt er sich neu in sie, und in das Leben, während es schwindet. Wenige Wochen nach den Premieren in Sundance und im Panorama der Berlinale ist Gongóra gestorben.

Sein Berufsleben lang hatte er das Gedächtnis seines Landes wachgehalten und über die Gefolterten, Verschwundenen, Ermordeten berichtet. Pinochet, Militär, die Wörter vergisst er nicht. Paulina nimmt ihn zu Theaterproben für ein Stück über Frauen in den Folterkellern mit und führt ihn in den Kulissen herum, sie nimmt ihn öfter mit auf die Bühne und in die Öffentlichkeit. Im Theater wird offenkundig, wie sehr Erinnern und Vergessen körperliche, sinnliche, emotionale Erfahrungen sind.

„Nur was nicht aufhört weh zu tun, bleibt im Gedächtnis“, zitiert die Regisseurin Friedrich Nietzsche. Der Schmerz über den Tod eines Freundes aus der Untergrundzeit, dem Pinochets Schergen die Kehle aufschlitzten, steckt Augusto noch in den Knochen. Aber er schlägt sich auch auf die Brust, begeistert über seinen eigenen Herzschlag.

Die beiden lachen einander ins Gesicht, halten Händchen beim Spaziergang, und Paulina zeigt sich belustigt, als sie sich bei den ersten eigenen Drehs im Lockdown mit Kamerastativ und der Blende herumschlagen muss. Der Film freut sich mit ihnen über das Rauschen des Winds in den Bäumen, über den kleinen Springbrunnen im Hof und den Käfig voller Kanarienvögel.

So schenkt Maite Alberdi dem Paar stille Bilder von behutsamer Schönheit. Am Ende bedankt sich Augusto bei Paulina, umgeben von grünenden Bäumen und Büschen, eine zarte, berührende Einstellung. Dennoch beschönigt der Film nichts. Alzheimer ist grausam, die Krankheit frisst noch die letzten Erinnerungen auf. Augusto irrt nachts durchs Haus, fühlt sich von aller Welt verlassen, ruft um Hilfe. Beharrlich bestreitet er bei seinen Angstattacken, Paulina zu kennen. Seine Frau kann nur weiter ebenso beharrlich dagegenhalten, auch wenn sie manchmal verzweifelt.  

Welche Bedeutung der Film für Chile hat, zeigt sich schon daran, dass „La memoria infinita“ in der Startwoche „Barbie“ von der Spitze der Charts verdrängte. 50 Jahre ist es jetzt her, dass Pinochet sich an die Macht putschte. Das Drama von Augusto und Paulina ist auch das Drama ihres Landes.

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