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Die serbische Dichterin Radmila Petrović.

© Marija Strajnić

Gedichtband von Radmila Petrović: Das Mädchen mit dem Klappmesser

Die Gedichte der jungen Serbin Radmila Petrović erzählen vom Dorf, das auch in der Stadt noch in ihr ist, von Normen und dem Ausbrechen daraus.

Mähdrescher und Traktoren rattern durch diese Verse. Sie sind erfüllt vom Wind über den Maisfeldern vom Geruch gebratener Ferkel und den Blicken der Kühe auf dem Weg zur Weide. Ja, diese Gedichte kommen vom Land, genau wie ihre Autorin Radmila Petrović, deren Ich zwar aus einer Stadtperspektive spricht, doch an einer Stelle ihres wunderbaren ersten, jetzt auf Deutsch (und Serbisch) erschienen Bandes „Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht“ zugibt: „Wo auch immer ich hingehe/ sage ich, ich komme nicht von dort/ ich gehöre dem feld an“.

Neben den Tieren und Pflanzen nimmt die 1996 im südwestserbischen Užice geborene und heute in Belgrad lebende Petrović in ihren freien, durchgängig klein geschriebenen Versen auch die dörflichen Menschen in den Blick, an erster Stelle die Familie, als Instanz im Hintergrund sind zudem die Nachbar*innen präsent. Die Mutter erscheint als duldsam-fleißige, stille Frau, deren titelgebendes Wissen um die Vorgänge in den Städten nicht als reine Projektion gesehen werden kann, ist sie über ihrer Tochter und die gemeinsame „Pflanzensprache“, so der Titel eines Gedichts, doch mit deren Metropolen-Wohnort verbunden.

Sowohl die Mutter als auch der Vater hätten lieber einen Sohn gehabt. Dass sich die Tochter teils wie ein Sohn verhält – ein mehrfach angespieltes Motiv – hilft aber auch nicht. Petrovićs Protagonistin bezeichnet sich selbst als Ganoven-Mädchen und erwähnt wiederholt das Klappmesser in seiner Hosentasche. Dieses steht auch für den biografischen Schnitt, den die junge Frau durch ihren Weggang aus dem Dorf setzt.

Sie trennt sie sich ab von der Traditionslinie ihrer im Gedicht „Wald, Pflug, Primel“ angesprochenen weiblichen Vorfahren, denen sie im Finale zuruft: „raus aus meinen gedichten!/ auch ihr wolltet nur söhne/ die euch später die köpfe einschlugen/ ihr habt nichts aus euren leiden gelernt, großmütter/ es war alles umsonst“.

Radmila Petrović: „Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht“. Gedichte. Übersetzt von Philine Bickhardt und Denijen Pauljević. Voland & Quist, 120 S., 20 €.
Radmila Petrović: „Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht“. Gedichte. Übersetzt von Philine Bickhardt und Denijen Pauljević. Voland & Quist, 120 S., 20 €.

© Voland & Quist

Die unangepasste Stimme dieser Gedichte, die sich mit der Hydraulik von Traktoren auskennen, aber auch sehr zärtlich auf das Schlüsselbein eines geliebten Menschen blicken, eckt in der Stadt ebenso an wie auf dem Land. Denn die Gendernormen und die Heteronormativität sind hier gleichermaßen ungebrochen, was sich getrost für den gesamten Balkan sagen lässt. Umso erfreulicher, dass Radmila Petrović in den Ländern der jugoslawischen Nachfolgestaaten, die ihre Sprache verstehen, Erfolg hat. Der Gedichtband verkauft sich gut, wurde positiv besprochen. Wobei sie in einem Interview betonte, dass sie mehr Rückenwind aus der Diaspora und von ausländischen Stimmen bekommen habe, als von einheimischen Kritiker*innen.

Der deutschen Ausgabe von „Meine Mama weiß, was in den Städten vor sich geht“ hätte man eine stimmigere Covergestaltung gewünscht, einen nackten kopflosen Frauentorso als Landschaft zu stilisieren, wirkt seltsam vorgestrig. Zumal sich darin eine allmähliche, durch die räumliche Distanz ermöglichte Ablösung von den traditionellen Vorstellungen vollzieht, gefolgt von einer Bewegung hin zu einer immer deutlicher hervortretenden Queerness. Wird im vorderen Teil des Bandes Begehren noch gelegentlich mit männlichen Figuren verbunden, versteht das Ich in einer Schlussstrophe schlagartig, „dass es all das, was ich an ihm liebte/ in einem mädchen gibt/ nur viel viel mehr.“

Das Begehren verschiebt sich

Das Gedicht heißt „Meine Tante sagt, das ist der Tod der Orthodoxie“, wobei weder Tante noch Religion darin vorkommen. Durch den Titel nimmt Petrović das familiäre Urteil über diese Begehrensverschiebung auf und weitet die Perspektive vom Privaten ins Politische. Denn der Tanten-Seufzer dürfte mehrheitsgesellschaftlicher Konsens sein.

Zu einem direkten familiären Zusammenstoß innerhalb der Strophen kommt es in dem Gedicht „Ich träume vom Vater und Messern, Messern, Messern“, das die Thematik noch weiter ausarbeitet. Es beschreibt, wie das Ich mit seinem Vater im Radio hört, dass in Montenegro ein Gesetz zur Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare angenommen wurde. Der Vater bekreuzigt sich, „wieder schimpftest du auf Amerika, aber papa/ liebe ist nicht wie Lidl, etwas das aus dem westen kommt“, kommentiert die Tochter. Und verspricht ihm: „hey papa, du wirst eine wunderbare schwiegertochter haben/ dieses mordskerl-mädchen weiß, wie man schießt mit einem gewehr/ du kannst den apfel weit in den himmel hinaufwerfen“.

Dass es in absehbarer Zeit zu dieser Spaß-Schießübung kommen wird, ist in etwa so wahrscheinlich wie die Einführung der Ehe für alle in Serbien. In der Zwischenzeit schreibt Radmila Petrović hoffentlich noch viele ihrer feinen, hintersinnig humorvollen Gedichte, die das Landleben in die Stadt bringen – und Leidenschaft in den Zwischenräumen entdecken.

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