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Der österreichische Autor Tonio Schachinger. Er wurde 1992 in Neu-Delhi geboren.

© dpa/Arne Dedert

Deutscher Buchpreis für Tonio Schachinger: Spiel des Lebens und der Literatur

Eine Wiener Jugend zwischen Gaming und Klassikerlektüre: Der österreichische Schriftsteller Tonio Schachinger bekommt für seinen Roman „Echtzeitalter“ den Deutschen Buchpreis.

Man fragt sich bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises immer, wie vorbereitet eigentlich die sechs Autoren und Autorinnen sind für den Fall der Fälle. Die Chance ist nicht groß, liegt bei weniger als zwanzig Prozent. Mit dem Preis wirklich rechnen dürfte also niemand von ihnen. Doch sprachlos, völlig verblüfft ist dann nie ein gerade gekürter Preissieger, eine frisch gekürte Buchpreissiegerin.

Auch der 1992 in Neu-Delhi geborene österreichische Schriftsteller Tonio Schachinger schien sich für eine Danksagung ein paar Worte zurechtgelegt zu haben. Nachdem die Börsenvereinsvorsteherin Karin Schmidt-Friderichs seinen Namen und den Titel seines Romans „Echtzeitalter“ genannt hatte und Schachinger nach vorn gekommen war, sagte er, dass er sich wirklich freue, selbst wenn das nicht so aussehen würde.

Dann übte Schachinger sich in einer kleinen Dialektik der Danksagung, und schließlich wollte auch er ein paar Worte zum Schrecken der vergangenen Tage in Israel loswerden. Und gut war.

Dialektik der Danksagung

Das hatte nun nichts von der letztjährigen Show eines Kim de l’Horizon, nichts von der Prägnanz einer Antje Rávik Strubel 2021, nichts von der überraschenden Eloquenz einer Anne Weber 2020, und naturgemäß nichts von dem Peter-Handke-Bashing eines Saša Stanišić 2019.

Schachingers Danksagung und die Kür seines Romans passten jedoch gut zu der Longlist- und Shortlistauswahl der Buchpreis-Jury in diesem Jahr. Diese zeichnete sich durch ein Faible für Debüts, für eine gewisse Erratik und einige Ignoranz aus.

Und das bis zuletzt zur Siegerkür: Mit Terézia Mora, die den Buchpreis schon 2013 gewann und überdies Georg-Büchner-Preisträgerin ist, oder mit Sylvie Schenk hätte man arrivierte Schriftstellerinnen auszeichnen können. Bei der bislang noch nicht so bekannten und mit Preisen nicht überhäuften Schenk und ihrem schönen Frauen- und Mutterbuch „Maman“ hätte der Deutsche Buchpreis gar eine Art Lebenswerkwürdigung werden können, sie ist Jahrgang 1944.

Zwischen Gaming und Literatur

Im Fall von Necati Öziri oder Anne Rabe wären gesellschaftspolitische Stoffe Mittel und Gründe der Wahl gewesen: das Aufwachsen in einer zerrütteten deutsch-türkischen Familie mit all den anderen Implikationen hier, die jüngsten Ost-West-Verwicklungen dort.

Aber nein, es sollte dann Tonio Schachingers „Echtzeitalter“ sein – und warum auch nicht? Der Roman erzählt von einer Jugend zwischen Gaming und Klassikerlektüre im Wien der Gegenwart, er stellt eine Mischung aus Coming-of-Age und Internatsroman dar. Dabei legt es Schachinger aber auch nie darauf an, aus der Welt der Computerspiele ästhetisches Kapitel zu schlagen und die vorgegebenen Pfade des realistisch erzählten Romans zu verlassen.

In der Raucherecke lesen

Die Jury meint in ihrer Begründung: „Mit feinsinniger Ironie spiegelt Schachinger die politischen und sozialen Verhältnisse der Gegenwart. Aus gebildeten Zöglingen spricht die rohe Gewalt. Die Welt der Computerspiele bietet einen Ort der Fantasie und Freiheit. Auf erzählerisch herausragende und zeitgemäße Weise verhandelt der Text die Frage nach dem gesellschaftlichen Ort der Literatur.“

Was so in Begründungen geschrieben wird. Schachingers Roman ist fraglos ein gut lesbarer, aber kein erzählerisch herausragender. „Echtzeitalter“ wirkt bei aller subtilen Ironie und mancher Lustigkeit passagenweise mitunter ein wenig schlicht, bleibt harmlos und dem Genre des Internatsromans doch arg verhaftet.

Aber ein junger Protagonist, der brav in der Raucherecke den von seinem Schreckenslehrer aufgegebenen Franz-Innerhofer-Roman „Schöne Tage“ liest und darin von seiner Freundin bestärkt wird, weil sie solche Aufträge „unironisch cool“ findet – so ein Protagonist mitsamt dem Roman, in dem er vorkommt, kann am Ende nur von Grund auf sympathisch sein.    

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