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Executive Director of the Berlin International Film Festival Mariette Rissenbeek and Artistic Director of the Berlin International Film Festival Carlo Chatrian hold a press conference ahead of the 74th Berlinale International Film Festival in Berlin, Germany, January 22, 2024. REUTERS/Liesa Johannssen

© REUTERS/LIESA JOHANNSSEN

Das Hauptprogramm der 74. Berlinale: Andreas Dresen und Matthias Glasner im Wettbewerb

Die Berlinale bekennt sich in Zeiten der Polarisierung als Ort des Austauschs und der Begegnung. 20 Filme konkurrieren im Februar um die Bären, darunter auch neue Werke von Assayas, Dumont und Hong Sangsoo.

Das Allerwichtigste zuerst: Bevor der Künstlerische Direktor der Berlinale, Carlo Chatrian, am Montag im Haus der Kulturen der Welt das Wettbewerbsprogramm seiner letzten Ausgabe im fünften Amtsjahr bekannt gibt, verlesen er und Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek ein Statement zum Selbstverständnis des Festivals als Ort der Begegnung und des Austauschs. Mit Sorge beobachte man den Anstieg von Antisemitismus, anti-muslimischen Ressentiments und Hassrede in Deutschland und weltweit. Durch die Kraft von Filmen und die Diskussion unterschiedlicher Perspektiven könne die Berlinale dazu beitragen, „Empathie, Bewusstsein und Verständigung zu fördern -auch und gerade in schmerzhaften Zeiten wie diesen“.

Ein eigenes Panel soll dem Filmemachen in Zeiten der Krise gewidmet sei, auch soll ein von einem israelisch-palästinensischen Team betriebenes Tiny Hous an einzelnen Tagen für Gespräche zum Nahostkonflikt zur Verfügung stehen.

Jetzt aber zum Wichtigsten, zu den Bären-Anwärtern der 74. Berlinale, die vom 15. bis 25. Februar stattfinden wird: 20 Produktionen konkurrieren dieses Jahr im Hauptwettbewerb. Dazu gehören neben dem bereits bekanntgegebenen Eröffnungsfilm „Small Things Like This“ mit Cillian Murphy und Emily Watson zwei deutsche Produktionen und mehrere deutsche Koproduktionen. Andreas Dresens „In Liebe, Eure Hilde“ handelt von der jungen NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi, die Mitglied der Roten Kapelle war. Gespielt wird sie von „Babylon Berlin“-Star Liv Lisa Fries. Matthias Glasners „Sterben“, eine Familiengeschichte im Angesicht des Todes, versammelt zahlreiche renommierte Schauspieler:innen, darunter Corinna Harfouch, Lars Eidinger, Lilith Stangenberg und Ronald Zehrfeld.

Außerdem treten im Hauptwettbewerb neue Filme von Bruno Dumont („L’Empire“), Hong Sangsoo („A Travelers’s Need“, mit Isabelle Huppert), Victor Kossakowsky („Architecton“, eine deutsch-französische Produktion, die u.a. den Baustoffs Zement über Jahrtausende hinweg erkundet) und Olivier Assayas an: Chatrian kündigt „Hors du temps“ als (Selbst-)reflexion über künstlerische Neurosen an, während des Lockdowns im Landhaus von Assayas’ Eltern gedreht. Gleich drei Bären-Anwärter kommen vom afrikanischen Kontinent, darunter „Black Tea“ von Abderrahmane Sissako und Mati Diops „Dahomey“ ein Dokumentarfilm über Beutekunst.

Neun Filmemacher:innen nehmen nicht zum ersten Mal am Festival teil, sechs von ihnen waren früher bereits im Wettbewerb vertreten. Und sechs Wettbewerbsbeiträge stammen von Regisseurinnen oder Ko-Regisseurinnen. Neben Mati Diops Doku sind das Margherita Vicarios Regiedebüt „Gloria“, ein Kostümfilm über junge Frauen in der Welt der klassischen Musik (Italien), und „Who Do I Belong To“ der tuneisch-kanadischen Filmemacherin Meryam Joobeur als zweitem Debütfilm. Außerdem Claire Burger mit „Langue Étrangère“ (Nina Hoss und Chiara Mastrioianni spielen mit) sowie die Iranerin Maryam Moghaddam, die nach „Ballad of a White Cow“ in „My Favorite Call“ erneut in Ko-Regie mit Bhetash Sanaeeha gedreht hat, und die Österreicherin Veronika Franz, die gemeinsam mit Severin Fiala „Des Teufels Bad“ realisiert hat.

Ein besonders ungewöhnlicher Wettbewerbsfilm verspricht „Pepe“ aus Kolumbien zu werden, mit einem Nilpferd in der Titelrolle, das von der Elfenbeinküste nach Kolumbien kam und aus seiner Perspektive erzählt.

Im zweiten Wettbewerb „Encounters“ treten diesmal 15 Produktionen an, darunter aus Deutschland die zweite Regiearbeit von Eva Trobisch, „Ivo“, über eine junge Palliativmedizinerin, und aus Österreich Ruth Beckermanns „Favoriten“, eine Langzeitstudie über eine Grundschulklasse im gleichnamigem Wiener Bezirk mit vielen Migrantenkindern.

Auf die Frage, wie die Berlinale mit Regisseur:innen umgeht, die im Zuge der „Strike Germany“-Kampagne Filme vom Festival zurückziehen, erklärte das Leitungsduo, dies sei in zwei Fällen bei der Reihe „Forum Expanded“ geschehen: Nach dem bereits gemeldeten Rückzug von „Atmospheric Arrivals“ durch Ayo Tsalithaba aus Ghana hat inzwischen auch Suneil Sanzgiri seinen Beitrag „Two Refusals (Would We Recognize Ourselves Unbroken) abgesagt. Im Hauptprogramm, so Chatrian, gebe es bislang keine Hinweise auf mögliche Absagen. Man respektiere die bisherigen Absagen und bedaure sie, da die Berlinale sich eben als Ort des Dialogs und der Inklusion versteht.

Apropos: Auf die Nachfrage, inwieweit der ausschließlich digitale Ticketverkauf Menschen vom Festival ausschließe, die weniger online-affin sind oder kein Smartphone besitzen, betont Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek, es gebe eigens eine Hotline für solche Besucherinnen und Besucher, auch am Potsdamer Platz werde es die Möglichkeit der Unterstützung durch Festival-Mitarbeiter:innen geben.

Und wie sieht nun die Bilanz nach „nur“ fünf Jahren Berlinale-Leitung aus? Auf die Verstimmungen zwischen dem Duo und Kulturstaatsministerin Claudia Roth vom letzten Sommer geht Chatrian nicht näher ein. Er meint nur nüchtern, es sei eben die Entscheidung gefallen, künftig keine Doppelspitze mehr haben zu wollen. Die alleinige Leitung des Festivals sei für ihn nicht in Frage gekommen. Rissenbeek weist nochmals daraufhin, dass sie das Festival mit eigens entwickelten Formaten gut durch die Pandemie navigiert hätten und die Publikumszahlen 2023 so hoch waren wie 2019. Diesmal, so versichert sie, sind die Platzkapazitäten nicht geringer als letztes Jahr.

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