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Die gereiften Blur, vorn Damon Albarn.

© Parlaphone

Blur und ihr neues Album „The Ballad of Darren“: Melancholie im Landhaus

Pop als Sedativum für unüberschaubare, disruptive Zeiten: Damon Albarn hat wieder einmal in den Spiegel geschaut und dieses Mal mit seiner Ur-Band Blur ein reifes, harmonisches Album produziert.

Es ist eine schöne Selbstauskunft, die Damon Albarn in „The Narcissist“ gibt, dem ersten, schon vor einigen Wochen veröffentlichten Song des neuen Blur-Albums „The Ballad of Darren“. Wie heißt es gleich zu Beginn, nach einigen zarten, dann etwas kräftigeren Gitarrenplingplings: „Looked in the mirror/So many people standing there/I walked towards them/Into the floodlights“.

Gut möglich, dass Albarn zwischen den vielen Damons, die er da im Spiegel sieht, dann und wann selbst durcheinanderkommt: Hat er nicht gerade erst ein Album mit seiner Comic- und Spaßband Gorillaz veröffentlicht, „Cracker Island“, im Februar dieses Jahres, um genau zu sein? Und mitten in der Corona-Pandemie Ende 2021 mit „The Nearer the Fountain, More Pure the Stream Flows“ ein Soloalbum? Und überhaupt: Hat er nicht auch Bands wie The Good, The Bad and The Queen und Rocket Juice & The Moon gegründet, um wegzukommen von dem Image des alternden Britpop-Musikers? Um der Welt und sich selbst zu zeigen, und das erfolgreich, wie beweglich und kreativ ein Damon Albarn ist, wie sehr ihn andere Spielarten des Pop von Dub bis Afrobeat interessieren.

Nun blickt also wieder der Blur-Albarn am vordergründigsten aus dem Spiegel zurück, und Albarn fragt sich: Wer bin ich, und wenn ja, wieviele? Vielleicht fragt er sich im Flutlicht stehend auch, ob es seine Blur-Ausgabe wirklich noch geben muss. In „The Narcissist“ beantwortet er diese Frage kurzerhand mit „Warum nicht?“. Er weiß, dass er mit sich im Reinen ist. Eben weil er so umtriebig war und ist und sich nie nur mit „Parklife“, „Coffee and TV“ und dem „Song 2“ begnügt hat; und weil es mit Blur nach dem ersten großen Split und dem bezeichnenderweise irrlichternden 2003er-Album „Think Tank“ immer irgendwie weiterging.

Blur gab es, Blur gab es nicht

Es gab sie, es gab sie nicht. Genau wusste man das nie, und so wichtig war das auch nicht mehr: Britpop hatte seine Zeit gehabt, der Pop wurde ein anderer, und das klassische Jungs- und Rock-Line-Up hat ausgedient. Damon Albarn und sein Gitarrist Graham Coxon jedoch waren sich nie so spinnefeind, als dass sie sich nicht wieder hätten vertragen können. Sie spielten hier mal ein paar umjubelte Konzerte mit ihren Blur-Gründungsmusikern, dem Bassisten Alex James und den Schlagzeuger Dave Rowntree, und sie nahmen dort neue Songs auf, die 2015 schließlich auf dem Album „The Magic Whip“ veröffentlicht wurden.

So reif und wenig retro „The Magic Whip“ klang, so klassisch modern, weckte es Begehrlichkeiten nach einer Weiterexistenz von Blur, gerade in unüberschaubaren, disruptiven Zeiten. In einer Zeit, in der es eine Sehnsucht zu geben scheint nach Bands für die ganze Familie, nach Bands, die in der Lage sind, für einen Grundkonsens zu sorgen. Blur bekamen immer mal wieder Angebote, auf großen Festivals zu spielen, und vor zwei Wochen traten sie gleich zweimal im Londoner Wembleystadion auf, vor jeweils 90.000 Menschen.

Albarn, Coxon und Co müssen sich vor diesen Auftritten schnell einig gewesen sein, nicht nur wieder die alten Britpop-Gassenhauer und ein paar „Magic-Whip“-Highlights zu spielen, sondern wollten lieber mit neuen Songs aufwarten. Also sammelte Albarn auf der letzen Gorrilaz-Tour Ideen, packte sie auf Demos, und ab damit ins Studio, auf dass es wieder eine kleine Blur-Mania gebe, zumindest ein nigelnagelneues Blur-Album.

Verheißungsvoll war schon eben jener Song „The Narcissist“, ein wunderschön melodiöser Midtempo-Song. Mit „St. Charles Square“ folgte vor der offiziellen Albumveröffentlichung an diesem Freitag ein zweites, völlig anderes, von Coxons krächzendem Gitarrenspiel dominiertes Stück. Es schien, als würde „The Ballad of Darren“ ein vielseitiges, komplexes, vielleicht auch disaprates Blur-Alterswerk werden.

Doch Pusteblur: Das Album ist mit seinen zehn Songs, von denen kaum einer länger dauert als vier Minuten, ein weitgehend in sich geschlossenes. „St. Charles Square“ ist tatsächlich ein Ausreißer, der sich der melancholischen, in Teilen gar elegischen Grundstimmung verweigert. „Seeing through the coma in our lives/Something to bright out there you can’t even see it“, heißt es in „The Heights“, dem zunächst leisen, dann zumindest mit einer heftigen Dissonant endenden Schlussstück: „Are we running out of time?/Something so momentary that you can only be it/So momentary“.

Melancholie im Country-House

Es beginnt mit der titelgebenden Ballade, ohne dass übrigens ein Darren darin auftaucht. Ein mutmaßlich Damon Albarn gleichender Ich-Erzähler schaut darin auf sein Leben und eine Liebe zurück, mit ein paar sachten Drummachine-Patterns, Klavierakkorden und einem Chor im Hintergrund („The Ballad comes to me“...). Diese Ballade gibt die wehmütige Gesamtstimmung vor, die Albarn mit seinem näselnden Lennon-Gesang sowieso am besten liegt.

Verlorene Gefühle

„I´ve lost the feeling that I thought I never lose“ singt Albarn in „The Barbaric“, dem nach „The Narcissist“ zwingendstem, vielleicht heitersten Song. Dabei wechselt er schön die Perspektiven, spricht ein imaginäres Du an, um schließlich gleich für eine ganze Generation die Stimme zu erheben. Sind wir nicht alle bestimmter Gefühle verlustig gegangen? Bedarf es nicht einer neuen Gefühlschoreografie? Es folgen Songs, die sich als Identifikationsangebote verstehen lassen für britische, aber auch gesamteuropäische Mittelschichtsexistenzen, allesamt ein Ausbund an Einfühlsamkeit und frei von Massenappeal. Konkrete Poesie für ein Publikum, das dem Pop noch nicht abgeschworen hat.

„The Russian String“ schwelgt an der Grenze zur gepflegten Langeweile in piano- und streicherumflorter Dramatik, das Leonard Cohen gewidmete „The Everglades“, getragen von einer gezupften Akustikgitarre, will nicht wirklich vom Fleck kommen, und auch „Goodbye Albert“ ist trotz seiner zuckenden Elektronik mehr ein Stück für ein schön eingerichtetes Landhaus, in dem es keine Drogen mehr gibt und die Joris-K.-Hysmans-Bände neben denen von Zadie Smith liegen.

Doch, ja, man braucht ein wenig Geduld und guten Willen mit „The Ballad of Darren“. Man darf sich an ein paar Beach-Boys- und Kinks-Anspielungen erfreuen, an einem Stück wie „Avalon“, dass noch einmal die „The Great Escape“-Atmosphäre der mittleren neunziger Jahre beschwört – und muss die Frage, die Damon Albarn in „Far Away Island“ stellt, „Are there new tunes to play?“ eher mit Nein beantworten. „The Ballad of Darren“ ist bewusst unoriginell, dafür inspiriert von einer Reife, die ihresgleichen sucht.

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