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Zwei Polizisten beobachten eine weinende Frau, die dem verstorbenen Kremlgegner Alexej Nawalny an einem Denkmal in St. Petersburg gedenkt.

© dpa/AP/Dmitri Lovetsky/Bearbeitung Tagesspiegel

Widerstand gegen den Kreml: Löst Nawalnys Tod eine neue Protestwelle aus?

Nach dem Tod des prominentesten Putin-Widersachers Alexej Nawalny will dessen Witwe Julia Nawalnaja seine Arbeit fortsetzen. Drei Experten schätzen die Aussichten der Opposition ein.

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Wenn Trauer bestraft wird: Mehr als 400 Menschen sind in rund 30 russischen Städten festgenommen worden, weil sie an öffentlichen Plätzen des toten Regimekritikers und Oppositionspolitikers Alexej Nawalny gedacht haben. Am Freitag hatten lokale Behörden den Tod des 47-Jährigen in einem Straflager nördlich des Polarkreises bekannt gegeben.

Inzwischen hat Nawalnys Witwe Julia Nawalnaja angekündigt, die politische Arbeit ihres Mannes fortsetzen zu wollen.

Doch wird sie die gespaltene und eingeschüchterte Opposition hinter sich vereinen können? Könnte daraus vielleicht sogar eine neue Protestbewegung entstehen? Drei Fachleute geben Antworten. Alle Folgen unserer Reihe „3 auf 1“ finden Sie hier.


Oppositionelle sind entweder inhaftiert oder fürchten um ihr Leben

Der Tod von Aleksej Nawalny durch das Putin-Regime war keine Überraschung. Vielmehr ist er ein logischer Schritt in einem politischen System, das von Tag zu Tag repressiver wird. Dennoch ist es eine Tragödie, nicht nur für diejenigen in der Russischen Föderation, die in ihm einen Leuchtturm der Hoffnung in einer sich schnell verdunkelnden Landschaft sahen, sondern für alle, die die Hoffnung auf ein friedliches und demokratisches Russland in der Zukunft hegen.

Kurzfristig dürfte das Ergebnis des Mordes kaum über eine Verbreitung und Vertiefung der Angst hinausgehen, die die Grundlage des Putin-Regimes bildet. Aktivisten und Oppositionelle sind entweder inhaftiert, fürchten um ihr Leben oder werden umgesiedelt. Der Repressionsapparat wird alles tun, damit in Russland jegliche Anzeichen von Trauer oder Protest unterdrückt werden.

Langfristig wird Alexej Nawalny jedoch als Märtyrer und als Symbol für furchtlosen politischen Widerstand, zivile Handlungsfähigkeit und Organisation dienen. Seine Witwe Julia Nawalnaja wird es vielleicht gelingen, die Last seines Erbes zu schultern und weiterentwickeln zu können. Sicher ist unterdessen schon jetzt: Die Erinnerung an Alexej Nawalny wird weiterleben.


Jetzt geht es um Koordination und Führung

Bei Nawalnys Tod handelt es sich um ein politisches Opfer für seine Befürworter und sogar für diejenigen in Russland, die – ohne Nawalny offen zu unterstützen – sich ein Ende des Krieges und des Putin-Regimes wünschen. Die unmittelbaren Reaktionen sind Schock, Angst und Empörung.

Derzeit scheinen Proteste äußerst unwahrscheinlich, da das Regime potenzielle Organisatoren präventiv daran hindert, die Öffentlichkeit zu mobilisieren, ganz zu schweigen von den Verhaftungen, Schlägen und Drohungen, denen Regimekritiker ausgesetzt sind. Je stärker die Repressionen sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen protestieren. Dennoch ist es für die russische Opposition entscheidend, sich zusammenzuschließen und durchzuhalten.

Sie muss eine Reihe von Herausforderungen meistern, darunter Führung und Koordination, ohne dabei das symbolische und moralische Kapital zu verspielen, das Alexej Nawalny hinterlassen hat. Die mutige Entscheidung von Julia Nawalnaja, die Führung der Opposition zu übernehmen, ist sowohl taktisch als auch strategisch klug.

Julia Nawalnaja war auf der Münchner Sicherheitskonferenz, als sie vom Tod ihres Mannes erfuhr.
Julia Nawalnaja war auf der Münchner Sicherheitskonferenz, als sie vom Tod ihres Mannes erfuhr.

© dpa/Sven Hoppe

Es ist schwer vorstellbar, welche Kraft und Ausdauer sie für eine solche Entscheidung aufbringen muss. Sie hat gute Chancen, die Bewegung zu unterstützen und zu verhindern, dass sich der politische Widerstand auflöst und demoralisiert wird.

Natürlich gibt es keine Garantie für einen mittelfristigen Erfolg, aber es ist wichtig, weiterzumachen, eine klare Botschaft über die Schuldigen zu vermitteln und sich für andere politische Gefangene in Russland einzusetzen.


Eine organisierte liberale Opposition gibt es nicht mehr

Es sind wenige Menschen, die in den Millionenstädten ihre Trauer und Wut auf den Staat durch das Niederlegen von Blumen zeigen. Gleichzeitig sind es auch viele, denn es ist mit großem Risiko behaftet, auf die Straße zu gehen.

Mit Nawalny ist die vorerst letzte Ikone der Hoffnung auf ein anderes Russland gestorben. Eine organisierte liberale Opposition gibt es nicht mehr. Viele andere liberale Aktivisten sind im Gefängnis; viele im Exil, aus Angst um ihr Leben.

Nichtregierungsorganisationen und liberale Medien sind verboten. Für eine neue Sammlung der liberalen Aktivisten fehlt also nicht nur die institutionelle Infrastruktur, sondern auch ein Anführer, der den Dissens in der Bevölkerung sammeln und artikulieren könnte.

Putin hat für die Liberalen in Russland eine Wüste geschaffen. Kaum zu sehen ist, dass sich auf diesem Wüstenboden wieder ein neuer Keim der Hoffnung und des Widerstandes zeigen wird. Das ist die Tragödie dieses Landes und seiner Bevölkerung.

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