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Eine Gesamtansicht zeigt die Sitzung des Sicherheitsrates im Hauptquartier der Vereinten Nationen.

© dpa/Yuki Iwamura

Update

US-Enthaltung mit Folgen: Weltsicherheitsrat fordert erstmals Waffenruhe und Freilassung aller Geiseln in Gaza

Durch den völkerrechtlich bindenden Beschluss steigt der internationale Druck auf Israel und die Hamas weiter. Netanjahu sagt aus Protest die Reise einer Delegation in die USA ab.

| Update:

Fast sechs Monate nach Kriegsbeginn hat der Weltsicherheitsrat erstmals eine „sofortige Waffenruhe“ im Gazastreifen gefordert. Zudem verlangt das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen die umgehende und bedingungslose Freilassung aller von der islamistischen Hamas festgehaltenen Geiseln. Die Vetomacht USA enthielt sich bei der Abstimmung am Montag und ermöglichte damit die Annahme der Resolution. Die 14 übrigen Mitglieder des Gremiums stimmten dafür.

Durch den völkerrechtlich bindenden Beschluss steigt der internationale Druck auf die Konfliktparteien Israel und die Hamas weiter. Es ist jedoch fraglich, ob oder inwieweit die Resolution Einfluss auf Entscheidungen der israelischen Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu oder der Hamas zum weiteren Kriegsverlauf haben wird.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sagte aus Protest gegen die Entscheidung die geplante Reise einer israelischen Delegation in die USA ab. Das teilte das Amt des Regierungschefs am Montag mit.

USA zeigen sich „perplex“

Die US-Regierung zeigte sich darüber offen irritiert. „Ich muss Ihnen sagen, (...), wir sind ziemlich perplex“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, am Montag im Weißen Haus mit Blick auf die Absage Netanjahus.

Kirby sagte, das Büro des Premierministers scheine durch seine öffentlichen Erklärungen anzudeuten, dass die US-Seite ihren Kurs gegenüber Israel geändert habe. „Das haben wir nicht.“ Es scheine auch so, als wolle das Büro des Premierministers den Eindruck erwecken, dass es Differenzen gebe, obwohl das gar nicht nötig sei.

Zugleich wies Kirby diverse Fragen dazu zurück, ob die Beziehung zwischen Israel und den USA – und konkret zwischen Netanjahu und US-Präsident Joe Biden – an einem neuen Tiefpunkt angelangt sei. Das sei nicht der Fall. „Natürlich stehen wir immer noch hinter Israel“, betonte er. „Israel ist nach wie vor ein enger Verbündeter und ein Freund.“ Er schob jedoch nach: „Das bedeutet nicht, dass wir in allem übereinstimmen, und meine Güte, das tun wir nicht.“

Hamas dankt dem UN-Sicherheitsrat

Als Freunde könnten beide Seiten aber über ihre Meinungsverschiedenheiten offen sprechen. Auf Nachfrage sagte Kirby, Biden und Netanjahu hätten am Montag nicht miteinander gesprochen. Er wisse auch nicht, wann sie das nächste Mal telefonieren würden.

Die Hamas dankte dem UN-Sicherheitsrat für seine Entscheidung und forderte einen dauerhaften Waffenstillstand und einen Rückzug Israels aus dem Küstenstreifen, wie die „Times of Israel“ berichtet.

In einer online veröffentlichten Erklärung erklärt die Terrorgruppe außerdem ihre Bereitschaft, sich auf einen "sofortigen Gefangenenaustausch einzulassen" und kündigt somit bereits an, die vom Sicherheitsrat geforderte sofortige Freilassung der Geiseln in ihrer Gewalt zu ignorieren.

USA verstärken Druck auf Israel

Bemühungen um eine Forderung des Weltsicherheitsrats nach einer Waffenruhe waren bislang vor allem am Widerstand der Vetomacht USA gescheitert. Seit Kriegsbeginn im Oktober vergangenen Jahres hatte Washington sich als engster Verbündeter Israels gegen eine Waffenruhe gewandt und drei Vetos gegen entsprechende Resolutionen eingesetzt. Allenfalls forderten US-Vertreter kürzere „Feuerpausen“.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock begrüßte die Forderung des Weltsicherheitsrats nach einer sofortigen Waffenruhe im Gazastreifen. Sie sei „erleichtert über die Verabschiedung der Resolution, weil es auf jeden Tag ankommt“, sagte die Grünen-Politikerin am Montag am Rande eines Besuchs in Jerusalem. Dies gelte sowohl für die hungernden Menschen in Gaza als auch für die weiterhin in der Gefangenschaft der islamistischen Hamas befindlichen Geiseln.

Baerbock lobte die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) und deren Präsidenten Mahmud Abbas für ihren Beitrag zur UN-Resolution. Mit der klaren Verurteilung der Gewalt der islamistischen Hamas gegen Zivilisten am 7. Oktober in Israel habe die PA von Abbas „einen wichtigen Beitrag“ zur Entscheidung in New York geleistet, sagte die Grünen-Politikerin am Montag in Ramallah nach einem Treffen mit Abbas.

Spitzenvertreter der Europäischen Union zeigten sich erfreut. „Die Umsetzung dieser Resolution ist für den Schutz aller Zivilisten von entscheidender Bedeutung“, schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag im sozialen Netzwerk X. Ähnlich äußerten sich auch EU-Ratspräsident Charles Michel und der Außenbeauftragte Josep Borrell.

„Ein Scheitern wäre nicht zu verzeihen“, mahnte UN-Generalsekretär António Guterres am Montag auf der Plattform X, vormals Twitter.

Angesichts der steigenden Zahl ziviler Opfer und einer drohenden Hungersnot in Teilen des abgeriegelten Küstenstreifens verstärkten die USA zuletzt aber den Druck auf Israel. Auch US-Präsident Joe Biden äußerte sich zunehmend kritisch, etwa mit Blick auf die von Israel geplante Bodenoffensive in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens. Dort haben Hunderttausende Binnenflüchtlinge Schutz vor den Kämpfen gesucht.

Am Freitag vollzog Washington die Kehrtwende und forderte in einer Resolution erstmals „eine sofortige und dauerhafte Waffenruhe“ im Gaza-Krieg verbunden mit einer Freilassung aller Geiseln. Doch Russland und China legten ihr Veto ein. Die Beschlussvorlage ging Moskau und Peking nicht weit genug.

Rat fordert auch sofortige Freilassung aller Geiseln

Der nun angenommene knappe Resolutionstext konzentriert sich auf die Forderung nach „einer von allen Seiten respektierten sofortigen Waffenruhe für den (islamischen Fastenmonat) Ramadan“. Dies solle zu einer „dauerhaften und nachhaltigen Waffenruhe“ führen, hieß es in dem Text. Zudem fordert die Beschlussvorlage die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln und betonte die „große Sorge angesichts der katastrophalen humanitären Lage im Gazastreifen“. Die Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung müssten ausgebaut werden.

Die Resolution war von nichtständigen Mitgliedern des UN-Gremiums eingebracht worden. Eine erste geplante Abstimmung am Samstag dazu war kurzfristig verschoben worden, um mehr Zeit für Verhandlungen zu gewinnen. Ein Diplomat erklärte vorab, insbesondere mit den USA sei intensiv verhandelt worden.

Eine Resolution im Weltsicherheitsrat braucht die Stimmen von mindestens neun der 15 Mitgliedsstaaten. Zudem darf es kein Veto der ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich oder Großbritannien geben. Beschlüsse des Sicherheitsrats sind völkerrechtlich bindend. Wenn ein betroffener Staat sie ignoriert, kann das Gremium Sanktionen verhängen - was im Falle Israels wegen der Vetomacht der USA nicht als wahrscheinlich gesehen wird.

Der Ramadan hatte um den 10. März begonnen. Hoffnungen, es könne bis zum Beginn des Fastenmonats ein Abkommen der Konfliktparteien zu einer Feuerpause und der weiteren Freilassung von Geiseln geben, erfüllten sich nicht.

Auslöser des Gaza-Kriegs war das beispiellose Massaker mit mehr als 1200 Toten, das Terroristen der Hamas und anderer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. (dpa, Tsp)

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