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Trump sitzt Biden in der Ukraine-Frage im Nacken.

© Gestaltung: Tagesspiegel|Kostrzynski / Picture Alliance, Getty Images

Trump sitzt Biden im Nacken: Führen Amerikaner und Russen bereits Geheimgespräche?

Was wird aus der Ukraine, wenn Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnt? Viele sagen: Das wäre fatal. Deshalb müssen irreversible Fakten geschaffen werden. Der Westen darf nicht auf Zeit spielen

Ein Kommentar von Malte Lehming

Eine kleine Meldung aus der vergangenen Woche ging fast unter. Laut einer Recherche des Nachrichtenportals „NBC News“ führte eine Gruppe hochrangiger amerikanischer Sicherheitsexperten im April und Mai mehrere Gespräche mit Russen, die dem Kreml nahestehen. „NBC News“ beruft sich auf ein halbes Dutzend Quellen, die allerdings, wie bei Geheimgesprächen üblich, anonym bleiben wollen.

Das zentrale Thema der Gespräche seien die Modalitäten einer möglichen Beendigung des Krieges gewesen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow habe im April in New York an einem der Gespräche ebenfalls teilgenommen.

Teilnehmer von US-Seite aus seien unter anderem Richard Haass gewesen, der scheidende Präsident des „Council on Foreign Relations“, sowie Europaexperte Charles Kupchan, Russland-Experte Thomas Graham und Mary Beth Long, eine ehemalige Vizeverteidigungsministerin. Die Regierung von US-Präsident Joe Biden sei über die Gespräche informiert gewesen, habe sie aber nicht angeordnet.

Gibt es Geheimgespräche zwischen Amerikanern und Russen?

Die Meldung passt in diese Zeit und lässt womöglich auch verstehen, warum Biden beim Nato-Gipfel in Vilnius auf die Bremse trat, als es um eine Mitgliedschaft der Ukraine ging. Am Tag vor seiner Abreise nach Europa gab Biden dem TV-Sender CNN ein Interview. Befragt wurde er vom Außenpolitik-Experten Fareed Zakaria.

Schon da war klar, dass Biden den Streit um eine Aufnahme der Ukraine in die Nato nicht eskalieren lassen wollte. „Ich glaube nicht, dass es unter den Nato-Staaten Einstimmigkeit gibt, ob die Ukraine jetzt, mitten im Krieg, in die Nato-Familie aufgenommen werden soll“, sagte er. Denn das würde aufgrund des kollektiven Beistandspakts, Artikel 5, einen Krieg aller Nato-Länder gegen Russland bedeuten.

Die mutmaßlichen Geheimgespräche zwischen Amerikanern und Russen sowie die Vorsicht Bidens in Bezug auf eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine deuten darauf hin, dass dem US-Präsidenten die Zeit im Nacken sitzt. Besser gesagt: Donald Trump sitzt Joe Biden im Nacken.

In 16 Monaten wird in den USA ein neuer Präsident gewählt

Je näher der amerikanische Wahlkampf rückt, desto intensiver wird in Washington offenbar über Strategien nachgedacht, wie sich in der Ukraine noch vor der Präsidentschaftswahl irreversible Fakten schaffen lassen. Die oberste Maxime lautet: Die Menge an Porzellan, das ein möglicher Präsident Trump zerdeppern kann, muss reduziert werden. Das wäre gut für die Ukraine, Europa, den Westen, die Welt.

Ein vereinter und geschlossener Westen werde die Ukraine unterstützen, „solange es notwendig ist“. Das ist Bidens Mantra, sein Leitmotiv. Doch am Horizont zeichnet sich eine bange Frage ab: Wenn Putin schon nicht auf Zeit spielen darf - kann es dann der Westen, allen voran die USA?

Trump eiert beim Thema Ukraine herum

In 16 Monaten wird ein neuer Präsident gewählt. Ex-Präsident Trump liegt in Umfragen etwa gleichauf mit Biden. Trump hält nur wenig von der Nato und prahlt damit, den Krieg Russlands gegen die Ukraine innerhalb von 24 Stunden nach Amtsantritt beenden zu können. Er sagt nicht wie und verschweigt, dass etwa die Krim-Halbinsel bereits zu seiner Präsidentschaftszeit von Russland besetzt war, ohne dass Trump irgendetwas dagegen unternommen hätte.

Außerdem sind seine Republikaner außenpolitisch gespalten. Interventionisten und Isolationisten befehden einander. „Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine dient der künftigen Sicherheit Europas und der Welt“, sagt Senator Lindsey Graham aus South Carolina. „Eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine würde die Welt in einen Atomkrieg führen“, warnt dagegen Vivek Ramaswamy, ein Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur.

Trump selbst eiert herum. Er kritisiert die finanzielle Unterstützung der Ukraine. „Wir werden niemals mehr unbegrenzt Geld in endlose Kriege pumpen“, verspricht er. Mit den eingesparten Summen solle lieber der Mauerbau an der amerikanisch-mexikanischen Grenze vorangetrieben werden. Empört zeigte sich Trump über die Entscheidung der westlichen Länder, der Ukraine Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen. „Erst kommen die Panzer, dann kommen die Atomwaffen“, warnte der 45. US-Präsident auf seinem Social-Media-Kanal „Truth“. „Beendet diesen verrückten Krieg, Jetzt! Es ist so einfach, das zu tun!“

Auf der einen Seite Zivilität und Demokratie, auf der anderen Seite die Barbarei

Auf dem Gipfel in Vilnius vermied das Bündnis symbolische Grenzüberschreitungen. Die Nato sieht nach wie vor davon ab, selbst der Ukraine Waffen zu liefern. Das Versprechen über langfristige Sicherheitsgarantien überließ sie den Vertretern der G7. Alles wird vermieden, was die russische Lesart untermauern könnte, dies sei ein Krieg Russlands gegen die Nato.

Insbesondere US-Präsident Joe Biden betont seit Beginn des Krieges die Wertedifferenz. Auf der einen Seite Zivilität, Demokratie, die Achtung von Menschenrechten und staatlicher Souveränität. Auf der anderen Seite die Barbarei. „Together and united“ – zusammen und geschlossen müsste der Westen diese Herausforderung annehmen. Das ist seine Vision, die weit mehr umfasst – Stichwort: China - als die aktuelle Auseinandersetzung mit Putins Russland.

Die Bilder aus Vilnius, von Nato und G7, von Zusammenhalt und Stärke – sie zwingen auch zu einem Nachdenken über die Frage, was wohl gewesen wäre, wenn Trump am 24. Februar 2022, dem Tag, der die Welt veränderte, amerikanischer Präsident gewesen wäre. Und, nach vorne gedacht: Was wird aus dem Westen und der Ukraine, wenn Trump ab dem 20. Januar 2025 erneut Präsident sein sollte?

Eine spontane Reaktion auf diese Frage heißt: Das wäre nicht auszudenken! In realpolitischer Perspektive ist es daher wohl sinnvoll, auf eine Entscheidung noch vor der Präsidentschaftswahl hinzuwirken. Das Szenario sieht so aus: Die Ukraine forciert ihre Gegenoffensive, befreit Teile des von Russland besetzten Landes und zwingt Putin an den Verhandlungstisch. Das Problem daran: Ein konkreter Zeitplan für die Aufnahme der Ukraine in die Nato hätte womöglich Moskaus Verhandlungsbereitschaft gen null sinken lassen. Das wollte Biden in Vilnius offenbar nicht riskieren.

Offiziell tut der Westen alles, um der Ukraine bei ihrer Verteidigung zu helfen. Inoffiziell werden Grenzen nicht überschritten, die eine Verhandlungslösung unmöglich machen könnten. In den kommenden Wochen und Monaten dürfte eine Einsicht reifen: Fatal wäre es – für die Ukraine, Europa und den Westen insgesamt -, diesen Krieg ohne Perspektive in die Hände eines potenziellen US-Präsidenten Trump zu übergeben.

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