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Bei den Umfragen zur griechischen Parlamentswahl liegt die Regierungspartei von Kyriakos Mitsotakis vorn.

© imago/ANE Edition/Sotiris Dimitropoulos/Eurokinissi

Parlamentswahl in Griechenland: Der alte Premier könnte der neue sein

Am Sonntag wählt Griechenland ein neues Parlament. Die Umfragen führt die konservative Regierungspartei an, gefolgt von der Koalition der Radikalen Linken. Entscheidend könnten die nur noch kleinen Sozialdemokraten werden.

Von Marco Fründt

Am 21. Mai wählt Griechenland ein neues Parlament. In den Umfragen kann sich die Nea Dimokratia (ND) von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis auf dem ersten Platz halten. Noch vor wenigen Wochen, nach dem verheerenden Zugunglück Ende Februar, sah es aus, als könnte sich die Nea Dimokratia einer Abwahl nicht entziehen.

Tausende Menschen protestierten wochenlang gegen die Regierungspartei, die, ebenso wie zuvor die sozialdemokratische Pasok, das zum großen Teil noch aus dem 19. Jahrhundert stammende Bahnnetz hatte verkommen lassen.

Der Volkszorn scheint mittlerweile verflogen – die Umfragewerte der ND blieben von ihm unbeeinflusst. 36,5 Prozent der Befragten wollen für sie stimmen. Nur wenige Prozentpunkte dahinter folgt die linke Syriza unter Alexis Tsipras mit 29,5 Prozent. Die sozialdemokratische Pasok, ehemals Volkspartei, kann sich demnach mit nur zehn Prozentpunkten lediglich an die dritte Stelle setzen. Sechs Millionen Menschen sind zum Wählen berechtigt, 500.000 davon gelten als Unentschiedene.

Linke Koalitionsregierung möglich

Nach aktuellen Rechnungen würden auch die Kommunistische Partei mit 7,0, die linke Splitterpartei von Ex-Finanzminister Varoufakis Mera25 mit 4,5 und die rechtspopulistische Griechische Lösung mit 3,5 Prozent ins Parlament einziehen.

Nikolas Pissis ist Professor für moderne Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ionischen Universität Korfu. Bis März 2023 lehrte er moderne griechische Geschichte an der Freien Universität Berlin
Nikolas Pissis ist Professor für moderne Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Ionischen Universität Korfu. Bis März 2023 lehrte er moderne griechische Geschichte an der Freien Universität Berlin

© privat

Eine linke Koalition unter Syriza, die man in Europa noch aus den Verhandlungen um die griechischen Sparprogramme fürchtet, wäre rechnerisch also möglich. Regierungsbündnisse sind in Griechenland jedoch eine Seltenheit. „Eine Tradition von Koalitionsregierungen gibt es hier nicht, es hat sie nur in Ausnahmesituationen gegeben“, sagt Professor Nikolas Pissis von der Ionischen Universität Korfu.

Seit den 1950er Jahren gilt in Griechenland mit wenigen Ausnahmen das einfache Mehrheitswahlrecht. Die stärkste Partei konnte so auch etwa mit 40 Prozent eine Einparteienregierung bilden. Regiert haben seit Ende der Diktatur in den 1970ern fast ausschließlich ND und Pasok.

500.000
Unentschlossene gibt es unter den etwa sechs Millionen Wahlberechtigten

Dieses Mal ist die Lage jedoch anders. Syriza führte, als sie seinerzeit an die Macht kam, das Verhältniswahlrecht ein. „Das war stets eine Forderung der Linken, schon vor der Diktatur, weil es als das gerechteste System galt.“

Nach Mitsotakis‘ Wahlsieg 2019 machte die Nea Dimokratia die Wahlrechtsänderung der Syriza von 2015 zwar wieder rückgängig. Für den Wahlgang am 21. Mai gilt jedoch das Wahlgesetz der Syriza. Seit 1989 die Pasok kurzfristig das Wahlgesetz geändert hatte, um ihre drohende Niederlage abwenden, gilt in Griechenland die Regel: Änderungen des Wahlgesetzes gelten nie unmittelbar, sondern werden erst für die übernächste Wahl wirksam.

Mitsotakis setzt alles auf zweiten Wahlgang

In der Praxis bedeutet dies, dass die kommende Wahl am 21. Mai nach Verhältniswahlrecht stattfinden wird. Sollte aber keine ausreichende Mehrheit zustande kommen und Neuwahlen nötig werden, würde für die wieder das Mehrheitswahlrecht gelten. „Mitsotakis hat deshalb verlauten lassen, auf einen zweiten Wahlgang im Juli zu zielen, um eine stabile Regierung zu bilden“, sagt Pissis.

Der Ruhe in den heutigen Beziehungen zwischen Griechenland und der Europäischen Union könnte unter Umständen ein an 2015 erinnerndes Sequel folgen.

Nikolas Pissis, Professor für moderne südosteuropäische Geschichte

Der Termin für einen möglichen zweiten Wahlgang steht mit dem 2. Juli bereits fest. Nea Dimokratia werde in diesem Fall alles auf die Karte populistischer Polarisierung setzen, um im zweiten Anlauf die nötigen Prozente für eine Mehrheit zu gewinnen.

Und diese Polarisierung könne es in sich haben und gegen die Europäische Union gehen. „In den nächsten Jahren wird es noch einmal schwierig“, sagt der Historiker. Viele Pflichten aus der Finanzkrise stehen Griechenland noch bevor. In den nächsten Jahren wird das Land wieder hohe Zahlungen an die Kreditgeber leisten müssen. „Der Ruhe in den heutigen Beziehungen zwischen Griechenland und der Europäischen Union könnte unter Umständen ein an 2015 erinnerndes Sequel folgen“, sagt Pissis.

Wirtschaftliche Sorgen sind schon im aktuellen Wahlkampf die Hauptthemen. Es gehe um „die alltäglichen Kosten wie Lebensmittel, Strom, Benzin, Energie. Und wie sich Griechenland kurzfristig, aber auch langfristig in diesem durch den Krieg in der Ukraine veränderten Sektor positionieren wird“. Syriza und die anderen linken Parteien stellen sich vehement gegen Öl- und Gasbohrungen im Ionischen und Ägäischen Meer, für die die Nea Dimokratia wirbt.

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Außenpolitische Themen spielten, sagt Pissis, bei dieser Wahl aber kaum eine Rolle. Wenn es um die traditionell schwierige Nachbarschaft mit der Türkei geht oder den russischen Krieg gegen die Ukraine, seien die drei großen Parteien sich mehr oder weniger einig. Anders sieht es mit Migration, Bürgerrechten und Demokratie aus. Griechenland belegt in der Rangliste von Reporter ohne Grenzen den letzten Platz innerhalb der EU.

Angriffe auf Journalist:innen häufen sich, Berichterstattung über illegale Pushbacks versuchen Regierung und Sicherheitskräfte zu verhindern. „Kritik von Nichtregierungsorganisationen und europäischen Institutionen wegen der Verletzung internationaler Gesetze“, so Pissis, „wird als eine voreingenommene, antigriechische oder eben linksgerichtete Kritik an der Regierung abgekanzelt“.

Orbanisierung Griechenlands unter Mitsotakis?

Eine Orbanisierung Griechenlands unter Mitsotakis sieht Geschichtsprofessor Pissis zwar nicht. „Das ist eine Parole der Opposition, um den Premier zu verleumden, der besonderen Wert darauf legt, als Musterschüler der Westallianz in Griechenland dazustehen.“ Viele der Entwicklungen, die mit diesem Vorwurf thematisiert werden, seien aber „tatsächlich beunruhigend“.

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Es sei peinlich, wie die Regierung und die regierungsnahen Medien auf Kritik von Seiten der EU und des Europäischen Gerichtshofs reagieren, wenn es um institutionelle Missstände oder Probleme der Demokratie geht. „Orbanisierung trifft so pauschal kaum zu. Aber das bedeutet nicht, dass es keine Tendenzen in der Nea Dimokratia in Richtung eines autoritäreren Regierungssystems gibt“.

Trotz dieser Befürchtungen wird die Nea Dimokratia auch die nächste Regierung stellen, vermutet Pissis. Eine Minderheitsregierung sei sehr unwahrscheinlich. Zum einen wegen der fehlenden gesellschaftlichen Akzeptanz von Bündnisregierungen. „Zum anderen haben die Parteien, die eine solche Minderheitsregierung der Syriza unterstützen würden, die Kommunistische Partei und Mera25, das ausgeschlossen“.

Dasselbe gilt für eine Minderheitsregierung der ND, sollte sie nicht stärkste Kraft werden – Nea Dimokratia hat ihrerseits ein solches Bündnis mit der Pasok und der rechtspopulistischen Griechischen Lösung ausgeschlossen.

Die sozialdemokratische Pasok sei Königsmacherin dieser Wahl. „Sie wird alles dafür tun, im ersten Wahlgang gut abzuschneiden, um eventuell als Juniorpartnerin in die Koalition zu gehen“. Denn Parteichef Nikos Androulakis wisse, dass die Pasok wegen des Mehrheitswahlrechts im zweiten Wahlgang das Nachsehen habe.

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