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Joe Biden auf dem Luftwaffenstützpunkt Dover.

© dpa/Alex Brandon

Nebenschauplätze des Gaza-Kriegs: Wenn keiner eine Eskalation will, und sie dennoch droht

Pro-iranische Milizen greifen US-Ziele an, woraufhin Gegenschläge folgen. Teheran und Washington wollen eine direkte Konfrontation vermeiden. Je länger der Krieg in Gaza dauert, desto eher könnte das aus dem Ruder laufen.

Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Niemand will einen großen Krieg im Nahen Osten – dennoch war man noch nie so kurz vor einer offenen Konfrontation zwischen den USA und Iran. Je länger der Krieg in Gaza dauert, desto größer ist die Gefahr.

Denn der Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas alimentiert mehrere Nebenschauplätze, die beim kleinsten Fehltritt außer Kontrolle geraten könnten.

Diesmal wurde eine Eskalation wohl noch vermieden. Die USA haben zwar jetzt auf den Tod von drei US-Soldaten auf einer Basis in Jordanien reagiert, die von einer irakischen Miliz, die Verbindungen zu Teheran hat, angegriffen worden war. Aber die 85 Ziele in Syrien und Irak waren so ausgesucht, dass Teheran nicht aus Gründen der Gesichtswahrung zurückschlagen muss: kein Ziel auf iranischem Boden und kein Angriff auf iranische Stellungen oder Iraner.

Biden will Regionalkrieg vermeiden

Teheran selbst hatte hohe Kommandeure aus Militärstützpunkten im Irak abgezogen, um genau das zu vermeiden. Auch hat Teheran erneut versichert, dass es keinen Krieg mit den USA will – man aber im Angriffsfall reagieren würde. Iranische Luftabwehrsysteme und Truppen waren aber wohl bereits in Alarmbereitschaft gesetzt worden. Dennoch ist es beunruhigend zu beobachten, wie Washington womöglich gegen seinen Willen in kriegerische Auseinandersetzungen in der Region gezogen wird.

Obwohl US-Präsident Joe Biden um fast jeden Preis eine größere regionale Auseinandersetzung vermeiden will. Er bemüht sich – teilweise auch ohne Unterstützung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu – um eine Freilassung der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln.

Israelische Frauen halten Plakate während einer Demonstration, die die Freilassung israelischer Geiseln in Gaza fordert.
Israelische Frauen halten Plakate während einer Demonstration, die die Freilassung israelischer Geiseln in Gaza fordert.

© dpa/Ilia Yefimovich

Der US-Gesandte Amos Hochstein betreibt eine Shuttle-Diplomatie mit Libanon, um einen echten Krieg zwischen der von Iran unterstützten Hizbollah-Miliz und Israel zu verhindern. In den ersten Tagen des Gazakriegs hat Washington laut US-Medien gerade noch einen israelischen Großangriff auf die Hizbollah in Libanon verhindert.

Die USA zahlen schon jetzt einen hohen Preis

Dann aber müssen die USA als Großmacht wieder militärisch auf die Angriffe der jemenitischen Huthi auf den Schiffsverkehr im Roten Meer reagieren. Oder wie jetzt auf Angriffe seiner Truppen in der Region.

Schon jetzt zahlen die USA einen hohen Preis. Zwar werden die staatlichen Truppen in Syrien und Irak nicht mit Angriffen auf amerikanische Ziele auf die Bombardierungen der vergangenen Nacht reagieren. Aber Irak ist ein Verbündeter der USA, etwa 2500 US-Soldaten sind im Rahmen der Anti-Terror-Allianz im Land stationiert.

Irak sieht eigene Sicherheit durch US-Truppen im Land gefährdet

Nun haben die USA dort mindestens 16 Menschen, darunter Zivilisten, getötet. Die Regierung in Bagdad ist erzürnt – sie war nach eigenen Angaben nicht über die Angriffe informiert.

Und sie stellt die Kooperation im Anti-Terror-Kampf infrage: Die Präsenz der US-geführten Militärkoalition in der Region sei „zu einem Grund für die Bedrohung der Sicherheit und Stabilität im Irak und zu einer Rechtfertigung für die Einbeziehung des Iraks in regionale und internationale Konflikte geworden“, hieß es aus dem Büro von Ministerpräsident Mohammed Schia al-Sudani.

Iraks Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani
Iraks Ministerpräsident Mohammed Shia al-Sudani

© REUTERS/THAIER AL-SUDANI

All das widerspricht den Interessen der USA – und denen eines US-Präsidenten, der schon fast im Wahlkampf ist. Die Eskalation auf den Nebenschauplätzen ist eine indirekte Folge der seit vier Monaten andauernden israelischen Militäroffensive gegen die Hamas in Gaza, die durch den brutalen Überfall auf Israel am 7. Oktober ausgelöst wurde.

Was passiert, wenn die rote Linie überschritten wird?

Auch aus diesem Grund hoffen die USA auf ein schnell möglichstes Ende des Krieges in Gaza – aber Netanjahu hat andere Ziele. Selbst Bidens Ermahnungen, weniger „willkürlich“ palästinensische Zivilisten zu bombardieren, verhallen ungehört.

Auf die Forderung nach einem Waffenstillstand oder dem Einsatz echter Druckmittel gegen die nationalistisch-religiöse Regierung Netanjahu verzichtet Biden bisher. Das Selbstverteidigungsrecht Israels steht dem im Wege.

In dieser volatilen Lage will Israel nun seine Militäroffensive im südlichen Zipfel des Gazastreifens, in Rafah an der Grenze zu Ägypten, intensivieren. Dort, wohin ein Großteil der palästinensischen Bevölkerung von 2,3 Millionen Menschen geflohen ist.

Als „gefährliche Phase“ des Krieges stufen US-Beobachter das ein. Damit steigt die Gefahr noch höherer ziviler Opfer – und auch der Druck auf das Grenztor zum ägyptischen Sinai.

Niemand weiß, was passiert, sollten doch die ersten Palästinenser aus Gaza vertrieben werden. Das ist eine rote Linie – das haben auch die USA immer wieder klargemacht. Wie würden die Palästinenser im Westjordanland reagieren? Wie die Hizbollah und andere Milizen? Was tun dann die USA?

Die jetzige militärische Antwort Washingtons auf den Angriff seiner Soldaten war sorgfältig kalibriert. Die Botschaft: Wir wollen keine Eskalation.

Aber es ist unheimlich, mitanzusehen, wie die Angriffe der mit Iran verbündeten Milizen und die Gegenschläge an Intensität zunehmen. Und wie viel die weitere Entwicklung von der Kriegsführung und den Zielen des israelischen Premiers Netanjahu sowie von den nicht immer vollständig von Teheran kontrollierten Milizen abhängt.

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