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Am 1. März stimmten die Iranerinnen und Iraner auch über ein neues Parlament ab. Viele blieben der Wahl fern.

© AFP/ATTA KENARE

Irans Regime verliert mehr und mehr an Rückhalt : Wie eine Wahl für die Machthaber zum Fiasko wurde

Es sollte eine Bestätigung für Irans Herrscher werden. Doch die Wahlen haben gezeigt: Die Ablehnung des Systems ist groß. Hilft das der Protestbewegung?

Ein Gastbeitrag von Ali Fathollah-Nejad

„Es ist eine Schande für eine Nation mit so hehren Ansprüchen, eine Wahlbeteiligung von 35 oder 40 Prozent zu haben. Es ist klar, dass die Menschen weder Vertrauen noch Hoffnung in ihr politisches System haben.“ Diese Worte stammen von Ali Chamenei, dem Obersten Führer der Islamischen Republik Iran, aus dem Jahr 2001 und bezogen sich auf die Wahlen in den USA und im Westen insgesamt.

Nach Bekanntgabe der Ergebnisse der jüngsten Abstimmung im eigenen Land 23 Jahre später ging das Video mit seiner damaligen Rede viral. Denn der hämische Spott des Ajatollahs auf Amerika und den Westen insgesamt fiel auf ihn selbst und das politische System zurück, dem er vorsteht: Die Doppelwahlen zum Parlament und Expertenrat am 1. März endeten in einem weiteren Fiasko, die Beteiligung erreichte mit staatsoffiziellen 41 Prozent einen historischen Tiefpunkt.

Dennoch ließ es sich Chamenei nicht nehmen, stoisch eine „epische Wahlbeteiligung“ zu propagieren, einen „Dschihad“ des Volkes, das damit alle „Feinde“ besiegt hätte, die es von der Stimmabgabe abhalten wollten.

Aber selbst die 41 Prozent sind mit großer Vorsicht zu genießen. Es ist die Zahl, die unmittelbar nach Schließen der Wahllokale von der Nachrichtenagentur der Revolutionsgarden Fars verkündet worden war – also eine Quote, die vom Machtzentrum vorgegeben schien.

15
Prozent soll nach einer von einem staatlichen Institut durchgeführten Umfrage die Wahlbeteiligung in Teheran lediglich betragen haben.

Doch die gesellschaftliche Realität ist eine gänzlich andere. Angesichts der weitverbreiteten Desillusionierung der Bevölkerung dürfte die tatsächliche Wahlbeteiligung deutlich unter den offiziell verkündeten 40 Prozent liegen.

Nach einer von einem staatlichen Institut durchgeführten Umfrage lag die Wahlbeteiligung bei 30 Prozent, in der Provinz Teheran bei 22 und in der Millionenstadt selbst – wo jeder neunte Iraner lebt – bei nur 15 Prozent.

Weil sie angeblich die Kopfbedeckung „unislamisch“ trug, wurde Masha Amini festgenommen. Als ihr Tod bekannt wurde, begann der Aufstand gegen das Regime.
Weil sie angeblich die Kopfbedeckung „unislamisch“ trug, wurde Masha Amini festgenommen. Als ihr Tod bekannt wurde, begann der Aufstand gegen das Regime.

© AFP/KENZO TRIBOUILLARD

Diese Zahlen spiegeln die soziale und politische Realität wider. Während der „Frau- Leben-Freiheit“-Proteste 2022 enthüllte ein durchgesickertes Regime-Memo, dass die Behörden davon ausgingen, dass 80 Prozent mit dem revolutionären Aufstand sympathisierten.

Entscheidung zwischen kleinerem und größerem Übel

Überhaupt: Noch nie waren Wahlen in der Islamischen Republik frei oder fair. Der ultrakonservative Wächterrat filtert im Vorfeld die Kandidaten nach ihrer Systemtreue. Bei den Urnengängen in Iran war oft zwischen dem kleineren (sogenannte Reformer) und größeren Übel (ideologische Hardliner) zu entscheiden.

Das Regime unter Führung von Ali Chamenei verliert dramatisch an Rückhalt.
Das Regime unter Führung von Ali Chamenei verliert dramatisch an Rückhalt.

© IMAGO/ZUMA Wire/IMAGO/Iranian Supreme Leader'S Office

Doch diese von oben oktroyierte autoritäre Demokratiesimulation hat seit Winter 2017/2018 ihre Ausstrahlkraft verloren. Bei landesweiten Protesten wurde „Weder Reformer noch Hardliner! Das Spiel ist aus!“ skandiert – eine klare Absage an die als Teil des Problems statt der Lösung wahrgenommenen Reformer, die selbst Teil einer ausnahmslos islamistischen Elite sind.

Diesmal verlief die noch mehr als Farce wahrgenommene Wahl zwischen Vertretern des Hardliner-Lagers, das sowohl die alte Regimegarde als auch eine junge, oft noch radikalere Generation umfasst. Dabei geht es nicht zuletzt um Verteilungskämpfe zwischen oligarchischen Clans innerhalb eines hochkorrupten und kleptokratischen Systems.

Probleme auch an der Basis des Regimes

Aber auch innerhalb der verbliebenen Basis des Regimes brodelt es. Dort macht sich Frustration breit. Zum einen kollidiert der ideologische Anspruch der Islamischen Republik nach sozialer Gerechtigkeit mit der grassierenden Korruption und der Unfähigkeit der jetzigen Hardliner-Regierung die großen wirtschaftlichen Nöte zu mindern.

Zum anderen gibt es eine Kluft zwischen der Rhetorik Teherans zur bedingungslosen Unterstützung der Palästinenser und seiner merklichen Zurückhaltung im Nahost-Krieg, sich direkt mit Israel oder den USA anzulegen.

Die Revolutionsgarden sind Irans schlagkräftigste Truppe.
Die Revolutionsgarden sind Irans schlagkräftigste Truppe.

© dpa/AP/Vahid Salemi

Innenpolitisch ist die stetig sinkende Wahlbeteiligung ein deutliches Zeichen für die wachsende Ablehnung des politischen Systems. Eine solche Legitimitätskrise ist in einer so dynamischen und politisch bewussten Gesellschaft wie der iranischen besonders bedeutsam. Ob sich daraus besser koordinierte und breitere Proteste entwickeln, bleibt abzuwarten.

Während sich die Machthaber traditionell auf ihren Sicherheitsapparat stützen, stellt die fortschreitende Erosion ihrer Legitimität mittelfristig allerdings eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für sie dar.

Auch nach außen hin hat Irans Bevölkerung sowohl durch landesweite Proteste als auch durch Wahlboykotte eine klare Botschaft der Unzufriedenheit und des Wunsches nach Veränderung zum Ausdruck gebracht. Für den Westen besteht nun die Herausforderung darin, diese Signale richtig zu interpretieren und seine Iran-Politik dahingehend neu zu justieren. Denn immer deutlicher zeigt sich, dass sich Staat und Gesellschaft auf Kollisionskurs befinden.

Dabei steht ein zunehmend auf Repression und Machtmonopolisierung ausgerichtetes autoritäres Regime einer Zivilbevölkerung gegenüber, die sich vollends bewusst ist, dass die Elite des Landes Ziele verfolgt, die ihren eigenen Interessen diametral gegenüberstehen. Eine hochexplosive Mischung, die vor Augen führt, dass in Iran seit der Niederschlagung der Proteste 2022 nur eine Scheinruhe eingekehrt ist.

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