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Grenzanlage zwischen Ahlbeck und Swinemünde.

© Imago

Deutsch-polnisches Verhältnis: Feinde, Freunde, Fremde?

Deutschland und Polen waren lange verfeindet. Das änderte sich erst nach 1989. Dennoch ist das deutsch-polnische Verhältnis alles andere als vertraut. Was muss sich verbessern?

Ein Gastbeitrag von Rolf Nikel

Deutsche und Polen stehen heute auf der gleichen Seite der Geschichte – im Kontrast zu den Jahrzehnten vor der Wende 1989. Und doch vergeht kaum ein Tag ohne schlechte Nachrichten über die deutsch-polnischen Beziehungen. Sind wir uns immer noch fremd?

Auf beiden Seiten erschweren Stereotype die Verständigung. Was Deutsche oft irrtümlich für rein innenpolitische Entscheidungen halten, hat Auswirkungen auf die Nachbarn. Das ist Deutschen oft nicht bewusst. Unsere Kenntnisse über Polen, insbesondere über die Leiden im Zweiten Weltkrieg sind – höflich gesagt – ausbaufähig. Manche Zeitgenossen in Deutschland reden über Polen, als gehe es um ein Lehrer-Schüler-Verhältnis.

Einen deutschen Führungsanspruch in der EU lehnt die Regierung in Warschau ab. Sie wehrt sich gegen die Kritik an der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Da könnte sich immerhin ein Kompromiss abzeichnen. Deutschland steht im Fokus des polnischen Wahlkampfs.

Polens Imagewandel und der „polnische Moment“

Der russische Krieg direkt vor der Haustür hat viele Polen zutiefst verunsichert. Zugleich bewirkt die Hilfsbereitschaft, mit der die polnische Gesellschaft ukrainische Flüchtlinge versorgt, dass viele Europäer Polen neu wahrnehmen, mit Respekt und Bewunderung. Wird die Regierung in Warschau diesen „polnischen Moment“ in der EU klug nutzen?  

Deutsche und Polen waren über Jahrhunderte hinweg Feinde. Der deutsche Angriff auf Polen 1939 und die schrecklichen Verbrechen in seinem Gefolge markieren den Tiefpunkt dieser Entwicklung. Erst der Sieg der Gewerkschaft Solidarnosc und die deutsche Einheit haben uns zu Verbündeten in Nato und EU werden lassen.

Die Grundlagen der heutigen Beziehungen sind solide. Der wirtschaftliche Austausch boomt. Polen ist Deutschlands viertgrößter Import- und fünftgrößter Exportpartner. Seit 1991 haben drei Millionen junge Menschen am deutsch-polnischen Jugendaustausch teilgenommen. Zahllose Städte und Universitäten sind Partnerschaften eingegangen. Ein enges Verhältnis über die Grenze hinweg ist heute gelebte Realität.

1,3
Billionen Euro fordert Polen als Reparationen für die durch die Nationalsozialisten angerichteten Schäden.

Deutsche und Polen stellen sich gemeinsam der russischen Aggression entgegen. Deutschland muss freilich ein dreifaches Scheitern in den Jahren zuvor eingestehen: das Scheitern seiner Russland-, seiner Ukraine- und seiner Energiepolitik.

Polen jedweder politischer Couleur hatten immer wieder vor den Gefahren einer zu großen Energieabhängigkeit von Moskau gewarnt. Und ebenso vor einer naiven Sicherheitspolitik, die die Gefahren eines revisionistischen Russlands unterschätzt. Wir haben die Warnungen in den Wind geschlagen. Und haben nun den Schaden.

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Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende hat große Erwartungen in Warschau geweckt. Unter den Ländern, die die Ukraine unterstützen, nimmt Deutschland mittlerweile den zweiten Platz ein.

Polen ist Frontstaat zwischen dem Westen und Russland

Diese Anstrengungen werden in Polen jedoch nicht gebührend wahrgenommen, weil es Pannen in der Kommunikation gab und Berlin als zögerlich bei der Militärhilfe wahrgenommen wird. Das hat das Misstrauen gegen die deutsche Außenpolitik in Polen sowie bei anderen Partnern in Ostmitteleuropa verstärkt.

Polen ist heute ein Frontstaat im systemischen Konflikt zwischen dem Westen und Russland, wie es die Bundesrepublik früher war. Ist dies den Deutschen bewusst?

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Die Regierung in Warschau macht es der Koalition in Berlin freilich auch nicht leicht. Sie kritisiert die Bundesregierung öffentlich massiv und fordert Entschädigung in Höhe von 1,3 Billionen Euro für die von Deutschland verursachten Schäden während des Zweiten Weltkriegs.

Sie tut dies zu einem Zeitpunkt, in dem westliche Geschlossenheit im Krieg in der Ukraine von besonderer Bedeutung wäre.

Zweifellos besteht die moralische Verantwortung für die deutschen Verbrechen fort. Höchste Repräsentanten unseres Staates haben sich immer wieder dazu bekannt. Das Konzept einer deutsch-polnischen Expertenkommission zum „Ort des Erinnerns und der Begegnung mit Polen“ sollte jetzt schnellstmöglich umgesetzt werden.

Die polnischen Entschädigungsforderungen lehnt die Bundesregierung aber aus rechtlichen Gründen ab. Ungeachtet dessen haben unterschiedliche Bundesregierungen immer wieder Zahlungen geleistet. Solche Gesten bleiben auch in Zukunft möglich, jedoch kaum unter öffentlichem Druck.

Beide Nachbarn stehen jetzt vor der Aufgabe, das angeknackste Vertrauen neu zu stärken. Dazu gehört in erster Linie eine proaktive Sicherheitspolitik.

Deutschland darf keinen Zweifel an der Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr und der Zuverlässigkeit im Bündnis aufkommen lassen und muss verlässlich eine führende Rolle bei der wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung der Ukraine. Es muss kooperativ führen und sich das Vertrauen jeden Tag neu verdienen.

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