zum Hauptinhalt
Erstmalig wurde ein Gesetz des schottischen Parlaments aus London blockiert.

© afp/Jessica Taylor

„Angriff auf Schottlands Demokratie“: Britische Regierung blockiert Schottland bei Transgender-Reformgesetz

Schottland-Minister Alister Jack will ein Transgender-Reformgesetz des schottischen Parlaments verhindern. Die Neuerung könne zu Ungleichheit im Königreich führen, hieß es.

Auf beinahe allen Politikfeldern, allen voran bei der Frage eines weiteren Unabhängigkeitsreferendums, geraten die schottischen Nationalisten mit der konservativen Zentralregierung in London unter Premier Rishi Sunak regelmäßig aneinander.

Doch ausgerechnet über die Rechte einer kleinen Minderheit kommt es dieser Tage zur konstitutionellen Machtprobe: Am vergangenen Dienstag blockierte Schottland-Minister Alister Jack ein Transgender-Reformgesetz des Parlaments in Edinburgh mit der Begründung, es laufe gesamtbritischen Gleichheitsgesetzen zuwider.

Die Edinburgher Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon von der Nationalpartei SNP nannte den beispiellosen Schritt einen „Angriff auf Schottlands Demokratie“ und kündigte gerichtliche Schritte an.

262.000
Menschen über 16 in England und Wales sind transsexuell.

Anders als seine Vorgänger Boris Johnson und Liz Truss, die sich gern herablassend über Sturgeon geäußert hatten, betont Premier Sunak stets den Wunsch nach guter Zusammenarbeit mit den Regierungen aller Regionen des Vereinigten Königreiches. Erst vor zwei Wochen war er ins schottische Inverness geflogen, um sich bei einem informellen Abendessen mit Sturgeon auszutauschen.

Der Wunsch nach schottischer Unabhängigkeit sorgt weiterhin für Streit

Inhaltlich liegen die beiden Regierungschefs weit auseinander. Nicht zuletzt blockiert Sunak wie alle seine Vorgänger Sturgeons Vorhaben, die Schotten zum zweiten Mal seit 2014 über die Unabhängigkeit abstimmen zu lassen.

Zur Begründung verweist Sturgeon auf die veränderte Lage durch den Brexit; hingegen halten die Konservativen an der einst auch von der SNP vertretenen Meinung fest, die Abstimmung zugunsten der Union (55 zu 45 Prozent) solle „für eine Generation gelten“.

Erst im November hatte der Londoner Supreme Court unter Vorsitz eines Schotten eine „konsultative“ Volksabstimmung ohne Zustimmung durch die Zentralregierung für unrechtmäßig erklärt.

Das entsprechende Gesetz war damals noch nicht vom schottischen Parlament verabschiedet, anders als das Transsexuellen-Reformgesetz. Dieses erhielt im Dezember nach langer, kontroverser Debatte eine Zweidrittel-Mehrheit; dabei gab es in allen großen Parteien, auch in der straff geführten SNP, Abweichler von der Fraktionslinie.

24.000
Transsexuelle über 16 Jahren gebe es in Schottland.

Für den rechtlich gültigen Wechsel aus dem bisherigen Geschlecht müssen Transsexuelle nach gültiger britischer Gesetzeslage 18 Jahre alt sein, ein ärztliches Attest sowie eine Übergangszeit von zwei Jahren nachweisen können. Hingegen erlaubt das schottische Gesetz allen Menschen über 16 Jahren die Neueinstufung nach sechs Monaten und ohne ärztliche Beteiligung.

Erstmalige Gesetzes-Blockade seit 1999

Internationale Organisationen haben unterschiedliche Meinungen zum schottischen Vorhaben mitgeteilt. Die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatovic, nannte das Gesetz „international vorbildlich“ (best practice); hingegen warnte die UN-Menschenrechtskommission, die Selbsteinstufung sei „nicht notwendigerweise fairer oder effizienter“.

In der jüngsten Volkszählung des Statistikamtes ONS identifizierten sich 262.000 Menschen über 16 Jahre in England und Wales als Transsexuelle, verneinten also die Frage, ob ihr Geschlecht mit der Angabe auf der Geburtsurkunde übereinstimme. Umgerechnet auf die Bevölkerung beträgt die Zahl der Betroffenen in Schottland demnach rund 24.000.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Minister Jack begründete seine rechtlich mögliche, aber seit der Neueinrichtung des Edinburgher Parlaments 1999 noch nie angewandte Blockade des schottischen Gesetzes mit der Ungleichheit, die dadurch in unterschiedlichen Teilen des Vereinigten Königreiches geschaffen werde.

Zudem äußerte er Bedenken, was den Betrieb von Schulen, Clubs und Vereinen angeht, die nur einem Geschlecht zur Verfügung stehen. Andere britische Politiker wie Labour-Oppositionsführer Keir Starmer wenden sich vor allem gegen die Anwendung der neuen Regelung auf Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren.

Ähnliche Argumente sind seit Jahren in der Transgender-Debatte zu hören, die auf der Insel wie anderswo mit erbitterter Härte ausgefochten wird. Zu den Skeptikern der Selbsteinstufung gehört ausgerechnet eine der prominentesten Schottinnen, Schriftstellerin Joanne K. Rowling.

Die Schöpferin und Chefin des Harry-Potter-Universums schrieb vor Jahren in einem langen Essay, dass sie in jungen Jahren zum Opfer sexualisierter Gewalt geworden sei; sie sprach auch von jugendlichen Zweifeln an ihrem Geschlecht: „Ich glaube, man hätte mich dazu überreden können, mich zu dem Sohn zu machen, den mein Vater stets ganz offen als seine Präferenz bezeichnete.“ Seither gehört Rowling zu den Hassfiguren der radikalen Transgender-Community.

Sturgeon beschuldigt die Konservativen, sie würden die Rechte einer ohnehin marginalisierten Minderheit politisieren, ja einen „Kulturkampf“ anstreben.

Die Londoner Regierung vermied zuletzt ähnlich schrille Rhetorik; hinter vorgehaltener Hand hieß es aber, der Vorwurf lasse sich ebenso gut umgekehrt machen. In jedem Fall wird der verfassungsrechtliche Konflikt früher oder später erneut vom Supreme Court entschieden werden müssen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false