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Vor dem Roten Rathaus wird jedes Jahr zum Pride Month die Regenbogenfahne gehisst.

© imago images/Christian Spicker

Queere Bilanz vor Berliner Wahl: Engagiert – aber kein Plan gegen Hasskriminalität

Vor der Wahl gibt es in der queeren Community Wohlwollendes über die Berliner Regierung zu hören. Doch ausgerechnet bei einem entscheidenden Thema gibt es harte Kritik.

Berlin gibt sich gerne als „Regenbogenhauptstadt“, die rot-grün-rote Koalition betont das immer wieder gerne. Justizsenatorin Lena Kreck (Linke), die für den Bereich Antidiskriminierung zuständig ist, macht das regelmäßig sichtbar, indem sie die Regenbogenfahne hisst, oder die Flagge der trans oder inter Community. Ein anspruchsvolles queerpolitisches Programm hat sich die Koalition ohnehin gegeben.

Doch wie sieht das im Alltagsgeschäft aus? Folgen der Symbolik und den warmen Worten Taten – wie ist die Bilanz von R2G nach einem Jahr, kurz vor der Wiederholungswahl?

Hört man sich in der queeren Community um, ist bei vielen ein ähnliches Fazit zu vernehmen: Ja, im vergangenen Jahr sei viel passiert, die neue Senatorin und die Verwaltung gut erreichbar und engagiert – aber es gebe dennoch Lücken in der Queerpolitik, die dringend geschlossen werden müssen.

Einige Projekte auf der Habenseite

Christopher Schreiber, Geschäftsführer und Pressesprecher des LSVD Berlin-Brandenburg, sieht auf der Habenseite, dass bereits vier wichtige Projekte aus dem Koalitionsvertrag angegangen und ausgeschrieben wurden. Zwei davon – Projekte zum Thema LSBTI und Behinderung sowie Wohnungslosigkeit – seien sogar bereits vergeben. Der Prozess zur Einrichtung einer vom LSVD seit langem geforderten zweiten Krisenwohnung für queeren Menschen und ein spezielles Beratungsangebot für TIN sei im Gange.

Aber ausgerechnet bei einem Großthema, das viele queere Menschen umtreibt, müsste der Senat mehr tun, sagt Schreiber – und zwar bei der Hasskriminalität gegen queeren Menschen. Die registrierten Übergriffe nehmen auch in Berlin kontinuierlich zu. „Der Berliner Senat weiß aber nicht, wie er konkret etwas dagegen machen kann“, sagt Schreiber: Er vermisse eine kohärente Strategie gegen LSBTI-Feindlichkeit.

Ein vorgelegtes Monitoring solcher Taten sei zwar wertvoll, „aber daraus folgt nichts“, sagt Schreiber. Das Thema müsse wissenschaftlich aufgearbeitet und begleitet werden. Schreiber schlägt zum Beispiel vor, eine Kommission aller queeren Träger einzurichten, die gemeinsam einen Plan gegen Hasskriminalität erarbeitet. „Da erwarte ich von der neuen Regierung mehr, egal welche Farben sie hat.“

„Große Sorge“ wegen Gewaltvorfällen

„Mit großer Sorge“ blickt auch Olaf Möller vom Regenbogenfonds der schwulen Wirte auf die steigende Zahl von Gewaltvorfällen gegen die queere Community. „In diesem Bereich muss mehr passieren“, sagt er. Möller wünscht sich ebenfalls, dass der neue Senat hier aktiver wird und neue Strategien und Schutzkonzepte erarbeite.

Ansonsten ist Müller wie Schreiber zufrieden mit der Arbeit von Rot-Grün-Rot. Der Regenbogenfonds organisiert seit 30 Jahren das Lesbisch-schwule Stadtfest rund um die Schöneberger Motzstraße. 2020 und 2021 musste es wie viele andere queere Veranstaltungen wegen Corona abgesagt werden. „Die Pandemie, aber auch steigende Sicherheitskosten, waren für das Stadtfest, aber auch Folsom oder die Fetisch-Woche zu Ostern, existenzbedrohend“, sagt er.

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Gemeinsam mit den anderen queeren Vereinen hatte sich der Regenbogenfonds deshalb an den Senat gewandt – und schließlich anteilig eine finanzielle Förderung für die Veranstaltungen bekommen. Ohne diese hätte etwa das Stadtfest im vergangenen Jahr so nicht stattfinden können, sagt Möller. Auch in diesem Jahr soll es Hilfe geben. „Im Koalitionsvertrag ist sogar festgeschrieben, dass die Koalition queere Veranstaltungen im öffentlichen Straßenraum unterstützt“, sagt Möller. Dies erwarte er auch von einer möglichen neuen Regierung.

Wenn es hier keine Unterstützung gibt, werden Safe Spaces verschwinden.

Olaf Möller, Vorstand Regenbogenfonds der schwulen Wirte

Mehr Unterstützung erhofft sich Möller für queere Bars und Shops, etwa rund um den Nollendorfplatz. Ihnen fehlen Gäste: „Viele davon haben nach Corona Auslastungs-Probleme, vor allem außerhalb von queeren Wochenenden wie CSD oder dem Stadtfest“, sagt er. „Wenn es hier keine Unterstützung gibt, werden Safe Spaces verschwinden“. Diese Schutzräume seien für die queere Community in Berlin jedoch immens wichtig. 

Constanze Körner von Lesben Leben Familie (LesLeFam) sagt, vor allem die erste Hälfte des vergangenen Jahres sei wegen der Haushaltssperre für viele Projekte „holprig“ verlaufen. Seitdem habe sich die Lage aber gebessert. Sie verspüre „viel Aufbruch“, auf der Landes- wie auf der Bezirksebene. So würden wie versprochen lesbische Projekte stärker unterstützt, „auch wenn Parität noch lange auf sich warten lässt“.

Ein Schwerpunkt der aktuellen Koalition soll der Ausbau der „Initiative geschlechtliche und sexuelle Vielfalt“ (IGSV) sein, die mehr als 90 Projekte zusammenfasst. 2023 soll die IGSV aktualisiert werden – es ist also nicht so einfach, den Senat schon jetzt daran zu messen. Körner sagt, die Vorarbeit dazu laufe gut an: Die verschiedenen queeren Träger seien bereits zu gemeinsamen Runden zusammengerufen worden, um Maßnahmen zu beschreiben. Ihr fehlt dabei noch ein ausführlicher Diskussionsprozess, ein Abgleichen der Pläne: „Was damit passiert, wissen wir noch nicht.“

Laut Justizverwaltung hat es für die IGSV seit vergangenen September insgesamt 15 Fachrunden zu verschiedenen Themen gegeben, neu seien etwa Bisexualität, prekäre Lebenslagen sowie Obdach- und Wohnungslosigkeit. In einem nächsten Schritt sollen die Ergebnisse aus den Fachrunden geprüft werden. Es bleibe dabei, dass 2023 ein aktualisierter und ressortübergreifender LSBTIQ-Aktionsplan vorgelegt werden solle. Der finanzielle Rahmen könne noch nicht festgelegt werden. 

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