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Schauspieler Colman Domingo in dem Netflix-Film „Rustin“.

© David Lee/Netflix

„Kommunist, schwul – und aus den Büchern getilgt“: Colman Domingo über seine Rolle als Bürgerrechtler Bayard Rustin

Der US-Aktivist Bayard Rustin organisierte einst den Marsch auf Washington mit. Jetzt erzählt ein Netflix-Biopic seine Geschichte. Verkörpert wird er von Colman Domingo. Ein Gespräch.

Von Patrick Heidmann

Selbst wer sich ein bisschen auskennt mit der Geschichte der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung oder bewandert ist, was LGBTI-Aktivist*innen des 20. Jahrhunderts angeht, kennt womöglich den Namen Bayard Rustin nicht.

Doch das ändert nun das Biopic „Rustin“, das seit kurzem bei Netflix zu sehen ist und die Geschichte dieses schwulen Afroamerikaners erzählt, der ein enger Wegbegleiter Martin Luther King jrs war und zu den Initiatoren des legendären Marsches auf Washington 1963 gehörte.

Die Hauptrolle hat der schwule Schauspieler Colman Domingo übernommen, der nach Filmen wie „Ma Rainey’s Black Bottom“ oder „Candyman“ und Serien wie „Euphoria“ oder „Fear the Walking Dead“ hier seinen bislang größten Auftritt hat und sogar als Anwärter auf eine Oscar-Nominierung gilt.

Mr. Domingo, erinnern Sie sich noch daran, wann Ihnen zum ersten Mal der Namen Bayard Rustin unterkam?
Da war ich 19 Jahre alt und hatte mich an der Temple University der African American Student Union angeschlossen. In einer Diskussion über die Bürgerrechtsbewegung tauchte plötzlich sein Name auf und ich wurde hellhörig. Ein junger Kommunist aus meinem Heimatstaat Pennsylvania, der den Marsch auf Washington organisiert hatte und offen schwul war?

Ich war fasziniert – und konnte vor allem gar nicht fassen, dass ich noch nie von ihm gehört hatte. Natürlich fing ich sofort an, mich mit ihm zu beschäftigen. Ein spannender, komplexer, leidenschaftlicher, alles andere als unauffälliger Mann, der trotzdem aus den Geschichtsbüchern getilgt worden war. Das war mir eine erste Lektion, dass man sich nie damit begnügen sollte, was in Überlieferungen aller Art geschrieben steht.

Denken Sie, dass vor allem Homophobie der Grund dafür ist, dass er in den Geschichtsbüchern kaum vorkam?
Dafür gibt es sicherlich verschiedene Gründe, aber ich denke schon, dass Homophobie letztlich der entscheidende ist. Wir sprechen immerhin von den 1960er Jahren. Rustin war innerhalb der Bürgerrechtsbewegung ein Außenseiter, der ein anderes Image und eine andere Stellung hatte als Dr. King und viele andere. Er war als Homosexueller bekannt und diesbezüglich auch schon verhaftet worden. Das brachte nicht nur ihn selbst in Gefahr, sondern hätte natürlich auch gegen die Bewegung insgesamt verwendet werden können.

Am Ende war ihm die Sache, für die er kämpfte, also auch wichtiger als der eigene Ruhm?
Natürlich stand das Anliegen für ihn an erster Stelle, seine Arbeit und sein Engagement waren für ihn das wichtigste. Aber nach allem, was ich inzwischen über Bayard Rustin weiß, war er durchaus auch ein echter Showman. Der Mann hat Laute gespielt und ein Album mit elisabethanischen Liebesliedern aufgenommen. Und zum Ensemble eines Broadway-Musicals gehörte er auch mal.

Da gab es also durchaus ein Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Rampenlicht. Er hat sich nur eben keine Illusionen gemacht, in was für einer Gesellschaft und Zeit er lebte und sich selbst entsprechend ein wenig zurückgezogen, um die Prioritäten auf anderes zu legen.

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Hatten Sie denn das Gefühl, ihm nahe genug kommen zu können, obwohl er nicht in jedem Geschichtsbuch vorkommt?
Es gab zum Glück mehr Material über ihn, als man meinen würde. Ich hatte fünf Monate Vorbereitungszeit, habe alle seine Aufsätze und andere Schriften gelesen und war in Museen, in denen man unter anderem Dinge aus seinem Nachlass findet. Besagtes Album habe ich mir natürlich auch angehört.

Ich glaube, sein Gegenüber zu inspirieren und Lehrer zu sein, das war Rustins größte Leidenschaft.

Colman Domingo

Und YouTube erwies sich als wunderbarer Fundus, denn es gibt etwa eine unglaubliche Debatte, die er sich mit Malcolm X geliefert hat, diverse Interviews, aber auch Aufnahmen von ihm, wie er mit Kindergruppen singt. Ich kam ihm als Akademiker und Aktivist nahe, aber durchaus auch als Mensch. Gerade in der Interaktion mit anderen Menschen, speziell mit Kindern, blühte er auf. Ich glaube, sein Gegenüber zu inspirieren und Lehrer zu sein, das war seine größte Leidenschaft.

Rustin starb 1987, was die Vermutung nahelegt, dass Sie auch noch Wegbegleiter*innen sprechen konnten, die ihn persönlich kannten.
Das habe ich mir für die letzte Phase meiner Vorbereitung aufgespart. Ich habe mit Rachelle Horowitz gesprochen, die aus der Gewerkschaftsbewegung kam und auch in „Rustin“ vorkommt. Aber auch mit Walter Naegle, der zehn Jahre und bis zu seinem Tod sein Lebensgefährte war.

Das waren dann Konversationen, in denen es mir vor allem darum ging, die kleinen, ganz simplen Feinheiten meiner Performance zu justieren. Was hat er gerne gegessen? War er ein Spaßvogel? Jemand, der sein Gegenüber beim Reden angefasst oder umarmt hat? Ich wollte, dass diese Menschen, die ihn so gut kannten, ihn in der Filmfigur wirklich wiedererkennen. Denn am Ende des Tages wollte ich nicht eine historische Persönlichkeit zum Leben erwecken, sondern den Bayard, wie ihn sein Umfeld kannte und liebte.

Colman Domingo (rechts) mit Johnny Ramey als Elias Tayloin dem Netflix-Film „Rustin“. Er habe sich für Rustins Lebensgeschichte begeistert, sagt der Schauspieler.
Colman Domingo (rechts) mit Johnny Ramey als Elias Tayloin dem Netflix-Film „Rustin“. Er habe sich für Rustins Lebensgeschichte begeistert, sagt der Schauspieler.

© David Lee/Netflix

War es für Sie im Sinne der Authentizität wichtig, dass nicht nur Sie selbst – wie Rustin – ein schwuler Schwarzer Mann sind, sondern mit George C. Wolfe ein schwuler Schwarzer Mann Regie geführt hat?
Essentiell war das nicht. Aber sicherlich ein Bonus. Entscheidend beim Filmemachen ist nicht nur Authentizität, sondern Offenheit und Leidenschaft. Viel wichtiger als die Tatsache, dass George und ich schwul sind, war bei „Rustin“, dass wir ihn und seine Intelligenz bewundern und uns für seine Lebensgeschichte begeistern. Dass unser eigener Hintergrund seinem hier und da ähnelt, kam natürlich mit ins Spiel und uns zugute. Aber das war nicht das, was uns antrieb.

Zu den Bewunderern von Rustin gehört Präsident Obama, der ihm 2013 auch posthum die Presidential Medal of Freedom verlieh. Und tatsächlich gehört die Firma der Obamas nun zu den Produzenten von „Rustin“. Wie involviert waren sie tatsächlich in die Entstehung des Films?
So sehr wie es alle guten Filmproduzent*innen sind. Sie lasen alle Drehbuchfassungen, standen in regem Austausch mit dem Regisseur und hatten auch im Schnitt viele wichtige und gute Anmerkungen. Aber vor allem merkte man, wie sehr ihnen das Projekt selbst am Herz lag, weswegen sie wirklich sicherstellten, dass wir immer alle Mittel zur Verfügung hatten, um bestmögliche Arbeit abzuliefern.

Für Sie selbst ist der Film die erste Hauptrolle in einem Spielfilm dieser Größenordnung. Setzte Sie das unter Druck? Hatte das Einfluss auf Ihre unmittelbare Arbeit?
Das sind berechtigte Fragen, denn natürlich war mir zu jeder Zeit bewusst, dass diese Rolle nicht nur eine große Herausforderung, sondern auch eine große Verantwortung bedeutet. Im ersten Augenblick, von außen betrachtet, dachte ich da durchaus: Wie kriege ich das hin? Aber dann muss man sich daran erinnern, was für jede Rolle gilt. Nämlich dass man einfach einen Fuß vor den nächsten setzen muss, sich Schritt für Schritt die Figur erarbeitet und dann jeden Drehtag nimmt, wie er kommt.

Also war’s am Ende einfach eine Rolle unter vielen?
Nein, das natürlich nicht. Was neu für mich war, war das Gefühl, dass es nicht reicht, einfach nur gut vorbereitet zu sein und 14-Stunden-Tage zu bewältigen. Ich musste auch die Seele dieser Produktion sein. Ich musste wie Bayard Rustin jemand sein, der mit gutem Beispiel vorangeht und die Leute mitzieht. Dafür musste ich einerseits den Kern dessen finden, was ihn als Person ausmachte, und gleichzeitig die richtige Arbeitsmoral an den Tag legen.

Aber darauf haben das Leben und meine bisherige Karriere gut vorbereitet. Es ist ja nicht so, dass ich frisch aus der Ausbildung komme und man mir diese Rolle auf dem Silbertablett serviert hat. Sondern ich habe mich über 30 Jahre lang in dieser Branche abgerackert, habe Jahre auf Provinz- und anderen Bühnen gestanden, habe mir eigene Geschichten ausgedacht, habe mich mit Nebenjobs in Bars und als Lehrer über Wasser gehalten und immer alles gegeben, um meine Kunst auszuüben und meiner Leidenschaft nachzugehen. Darin sind Rustin und ich uns vielleicht gar nicht unähnlich. Und womöglich kommt es nicht von irgendwo, dass er 51 Jahre alt war, als er den Marsch auf Washington organisierte, und ich nun das exakt gleiche Alter hatte, als ich diesen Film gedreht habe.

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