zum Hauptinhalt
„Fellow Travellers“ mit Matt Bomer und Jonathan Bailey.

© Paramount +

Schwule Serie „Fellow Travellers“: „Ich will komplizierte Männer zeigen, die mit ihren Dämonen kämpfen“

Autor Ron Nyswaner wurde mit „Philadelphia“ berühmt. Jetzt erscheint seine Serie „Fellow Travellers“, die die Beziehung zweier Männer von der McCarthy-Ära bis zur Aids-Krise erzählt.

Von Patrick Heidmann

Unter den schwulen Drehbuchautoren Hollywoods ist Ron Nyswaner ein echtes Urgestein. Bereits in den Achtziger Jahren schrieb er Filme wie „Flucht zu dritt“ mit Mel Gibson und Diane Keaton oder „Swing Shift“ mit Goldie Hawn, bevor er schließlich für „Philadelphia“ für den Oscar nominiert wurde. Das Justizdrama mit Tom Hanks und Denzel Washington war 1993 der erste amerikanische Mainstreamfilm, der Aids und Homophobie in den Fokus nahm.

Nun zeichnet er als Autor und Produzent für „Fellow Travelers“ verantwortlich. Die achtteilige Miniserie, die von der in den 50er Jahren beginnenden und sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden Beziehung zweier von Matt Bomer und Jonathan Bailey gespielter Männer erzählt, ist ab dem 28. Oktober beim Streamingdienst Paramount+ zu sehen.

Mr. Nyswaner,  „Fellow Travelers“ basiert auf dem gleichnamigen Roman von Thomas Mallon, der 2007 erschien. War Ihnen damals gleich klar, dass das ein Stoff ist, den Sie gerne verfilmt sehen wollen?
Ich bekam das Buch erst ein paar Jahre später in die Hände, aber dachte dann tatsächlich direkt beim Lesen über eine Adaption nach. Abgesehen von den Fällen, wo ich mal wieder zu Klassikern wie Henry James greife, geht mir das eigentlich immer so. Da kann ich nicht aus meiner Haut, also habe ich immer schon eine Verfilmung vor Augen.

Bei Mallons Roman war das aber auch zu naheliegend. Seine Geschichte einer heimlichen schwulen Liebe in den 1950er Jahren, auf der Höhe des McCarthyismus, war einfach zu packend, schon allein aufgrund der ihr innewohnenden Fallhöhe und Gefahren. Und vor allem waren die Figuren faszinierend und komplex. Nicht einfach nur leidende Opfer, sondern dreidimensionale, komplizierte Männer, die mit ihren jeweils eigenen Dämonen kämpfen.

Vor 30 Jahren war „Philadelphia“ in Sachen Homosexualität im Mainstreamkino bahnbrechend. Trotzdem blieb es über Jahre schwierig, queere Geschichten in dieser Größenordnung zu erzählen. Eine Serie „Fellow Travelers“ wäre selbst vor 15 Jahren vielleicht noch nicht denkbar gewesen, oder?
So pauschal würde ich das gar nicht sagen. Bereits 2003 etwa schrieb ich das Drehbuch zu einem viel beachteten Fernsehfilm namens „Soldier’s Girl“, in dem es um die wahre Geschichte eines Soldaten ging, der sich in eine trans Frau verliebte. Es kam also immer schon auf die richtige Story und den richtigen Zeitpunkt an, ob und was man erzählen konnte. Bei „Fellow Travelers“ wusste ich einfach, dass ich mich dieser Geschichte annehmen musste. Also blieb ich beharrlich am Ball, bis schließlich alles so weit war, das Projekt umzusetzen. Und nun zeigt sich ja, dass das Timing kaum besser hätte sein können.

Die Freiheit in der amerikanischen Gesellschaft erscheint mir dieser Tage so sehr in Gefahr wie seit den Fünfzigern nicht mehr.

Ron Nyswaner 

In welchem Sinn?
Die Parallelen, die sich gerade auftun zwischen dem, was aktuell in den USA und wohl der ganzen Welt passiert, und dem, worum es damals in der McCarthy-Ära ging, sind ja erschreckend. Die Geschichte bekommt mit einem Mal eine ungeahnte Aktualität, denn die Freiheit in der amerikanischen Gesellschaft erscheint mir dieser Tage so sehr in Gefahr wie seit den Fünfzigern nicht mehr.

Anders als die Romanvorlage beschränken Sie sich mit der Serie nun nicht auf die 1950er, sondern erzählen die Geschichte weiter bis in die Aids-Krise hinein. Warum?
Das Buch hatte bereits ein Vorwort, das 1991 spielte und meine Neugier weckte. Die Vorstellung, den Protagonisten Hawk auch im Quasi-Rentenalter zu erleben, fand ich reizvoll. Außerdem bot sich mit dieser Erweiterung der Geschichte für mich ganz persönlich natürlich auch die Gelegenheit, auf mein eigenes Leben zu blicken. Die Fünfziger habe ich nicht als Erwachsener erlebt, aber ich hatte mein Coming-out in den Siebzigern und habe die AIDS-Jahre aus nächster Nähe miterlebt. Das waren entscheidende Dekaden in der LGBTQ-Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und mir erschien es interessant und wichtig, unsere Figuren durch diese Zeit zu begleiten.

Machen es der persönliche Bezug und die eigenen Erinnerungen mitunter schwieriger, eine Geschichte zu erzählen?
Ach, wissen Sie, eigentlich suche ich in jeder Geschichte irgendeinen autobiografischen Bezug. Anders kann ich gar nicht schreiben, schließlich muss ich die Figuren doch verstehen können. Dieses Mal war der Bezug natürlich ein anderer und vieles deutlich näher dran an meinem Leben als sonst. Das hat mir die Arbeit aber nur noch leichter gemacht. All die Erfahrungen, die ich selbst mit Drogen- und Alkoholsucht in den Siebziger Jahren gemacht habe, konnte ich zum Beispiel direkt in die Drehbücher einfließen lassen.

„Fellow Travellers“ startet in den 1950ern: Als nicht nur auf Kommunisten, sondern auch auf Homosexuelle in den USA Jagd gemacht wurde.
„Fellow Travellers“ startet in den 1950ern: Als nicht nur auf Kommunisten, sondern auch auf Homosexuelle in den USA Jagd gemacht wurde.

© Paramount +

Aber allein die erneute Auseinandersetzung mit der Aids-Krise und der Gedanke an all die Wegbegleiter und Freunde, die Sie damals verloren haben, wäre für andere vielleicht eher re-traumatisierend…
Für mich hatte das vielmehr etwas sehr Erfüllendes. Schließlich will ich doch, dass sich an all die Menschen, die wir verloren haben, erinnert wird. Ich wünsche mir, dass die gemeinsame Trauer von uns als Community nicht vergessen wird. Und erst recht nicht all der Aktivismus, der ja auch aus der AIDS-Krise hervorgegangen ist. Meine eigenen Erfahrungen, die natürlich längst nicht so spannend sind wie die unserer Serien-Figuren, mit dem Vermächtnis der Schwulenbewegung zu kombinieren und in ein fiktionales Historiendrama einfließen zu lassen, war ein sehr befriedigender künstlerischer Prozess.

Sehen Sie „Fellow Travelers“ auch als eine Art Geschichtsstunde für junge queere Menschen, die womöglich von vielem, worum es in der Serie geht, noch nie gehört haben?
Unbedingt. Und nicht nur für junge Menschen. Auch wir Älteren wissen vielleicht nicht alles. Als ich damals die Romanvorlage las, war das das erste Mal, dass ich bewusst vom sogenannten Lavender Scare gehört habe. Mit McCarthys antikommunistischen Kampagnen war ich bestens vertraut, aber dass er es genauso auf Homosexuelle abgesehen hatte und damit letztlich sogar mehr Karrieren und Leben zerstörte als mit seiner Kommunistenjagd, war mir nicht klar. Und das als Schwulenaktivist!

Aber um Ihre Frage zu beantworten: ja, ich finde es enorm wichtig, dass wir innerhalb der LGBTQ-Community unser Wissen und unsere Erfahrungen von einer Generation an die nächste weitergeben. So wie ich bei meinem Coming-out in den späten Siebzigern auf den Schultern von Männern wie Frank Kameny stand, die die Schwulenbewegung begründet haben, hoffe ich, dass auch viele Menschen auf meinen Schultern stehen können. Ob ihnen das nun bewusst ist oder nicht.

Die aufklärerische Kraft einer Geschichte liegt in ihren Figuren und ihrer Wahrhaftigkeit, nicht darin, dass jemand politische Anliegen postuliert.

Ron Nyswaner 

War Ihre künstlerische Arbeit immer auch Teil Ihres Aktivismus und andersherum? War also zum Beispiel das Drehbuch zu „Philadelphia“ für Sie auch ein politischer Akt?
Zunächst einmal war das damals vor allem die sehr emotionale Reaktion auf Dinge, die in meinem eigenen Leben passierten. Der Regisseur Jonathan Demme rief mich an, weil einer seiner besten Freunde an Aids erkrankt war und er unbedingt einen Film darüber drehen wollte. Damit rannte er bei mir offene Türen ein und gemeinsam erdachten wir dann eine Geschichte, mit der wir unseren Gefühlen Ausdruck verleihen konnten.

An das politische Potential eines solchen Films dachten wir erst in zweiter oder dritter Instanz. Klar war allerdings schon damals das gleiche, was nun auch für „Fellow Travelers“ galt: in meinen Geschichten trägt niemand eine Botschaft vor sich her oder buchstabiert aus, worum es geht. Die aufklärerische Kraft einer Geschichte liegt in ihren Figuren und ihrer Wahrhaftigkeit, nicht darin, dass jemand politische Anliegen postuliert.

Zur Wahrhaftigkeit dieser Protagonisten gehört, wie schon angesprochen, auch die Tatsache, dass sie weniger klassische Helden oder makellose Identifikationsfiguren sind als viel mehr abgründig und fehlerhaft…
Sorry, dass ich Ihnen ins Wort falle, aber ist es nicht fürchterlich, dass genau das überhaupt der Rede wert ist? Ich finde es wirklich fürchterlich, wie viele queere Filme und Serien es in letzter Zeit gab, in denen man den Eindruck hatte, dass die Protagonist*innen unbedingt als makellos und sympathisch dargestellt werden musste. Auch bei einigen Projekten, an denen ich beteiligt, aber nicht hauptverantwortlich war, kam es vor, dass die Ansage lautete: eine positive Darstellung der LGBTQ-Figuren ist oberstes Gebot!

Da waren negative Eigenschaften geradezu verboten, was natürlich zur Folge hatte, dass diese Figuren letztlich schrecklich langweilig waren. Wenn quasi darum gebettelt wird, vom Publikum geliebt oder bemitleidet zu werden, ist das einfach nur uninteressant. Deswegen wollte ich in „Fellow Travelers“ Figuren zeigen, die – auf jeweils eigene Weise – Geheimnisse ebenso haben wie Macht, Entscheidungsgewalt und innere Verletzungen.

Sex haben sie auch, und zwar nicht zu wenig. Auch das ist ein Bestandteil queerer Geschichten, der dieser Tage oft zu kurz kommt, oder?
Nicht in „Fellow Travelers“. Da war meine Regel, dass wir keinen Sex-Akt in der gleichen Variante zweimal zeigen wollen, was sich dann bei insgesamt acht Stunden Serie als erstaunlich schwer erwies, so viele Sexszenen gibt es. Allerdings nie um ihrer selbst willen. Sex ist definitiv ein wichtiger Bestandteil queerer Alltagsrealität, aber für mich muss eine entsprechende Szene auch erzählerisch einen Sinn haben und die Handlung vorantreiben. Oder etwas über die Dynamik zwischen zwei Personen zutage bringen. Mein Leitmotto am Set war immer das Zitat von Oscar Wilde: Alles auf der Welt dreht sich um Sex, außer Sex. Da geht es um Macht. Und genau diese zwischenmenschlichen Machtverhältnisse wollte ich zeigen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false