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Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Bundesregierung.

© imago/Christian Spicker/IMAGO/Christian Spicker

„Hausrechtsparagraf löst Ängste aus“: Queerbeauftragter will Änderungen an Selbstbestimmungsgesetz

Der Gesetzentwurf für die vereinfachte Änderung des Geschlechtseintrags ist umstritten. Sven Lehmann, Queerbeauftragter des Bundes, fordert im Interview Änderungen, etwa beim Hausrecht.

Herr Lehmann, wie beurteilen Sie als Queerbeauftragter der Bundesregierung das Selbstbestimmungsgesetz, das die Änderung des Geschlechtseintrags vereinfachen soll?
Viele Menschen haben sehr lange darauf gewartet. Ich auch. Es ist sehr, sehr gut, dass mit dem Gesetz die psychiatrische Zwangsbegutachtung von transgeschlechtlichen Menschen abgeschafft wird.

Bisher waren zwei Gutachten für eine Korrektur des Geschlechtseintrags nötig. Künftig reicht eine Selbstauskunft auf dem Standesamt.
Das ist der Kern des Gesetzes und ein Meilenstein nach über 40 Jahren Transsexuellengesetz. Erstmals überhaupt geht eine Bundesregierung entschlossen diesen Schritt. Es gibt aber auch Passagen, die sich irritierend lesen. Sie lösen bei vielen Menschen nachvollziehbarerweise Fragen und auch Kritik aus. Es ist ein erster Entwurf und der wird jetzt in das weitere Verfahren gehen.

Das Gesetz hing monatelang im Streit zwischen Justiz- und Familienministerium fest, die dafür federführend sind. Inwieweit waren Sie eingebunden?
Es ist ein Gesetzentwurf der beiden Minister:innen Lisa Paus und Marco Buschmann. Als Parlamentarischer Staatssekretär war ich natürlich eingebunden und habe immer wieder die Perspektive der Community eingebracht. Das werde ich weiterhin tun.

Hadern Sie manchmal mit Ihrer Position, weil Ihre Befugnisse beschränkt sind?
Zunächst: Im ersten Jahr dieser Koalition haben wir queerpolitisch schon viel erreicht. Etwa die Abschaffung der Diskriminierung bei der Blutspende, der erste bundesweite Aktionsplan „Queer Leben“ der Bundesregierung und ein Gesetzentwurf gegen Hasskriminalität.

Bei dem Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz ist aber für mich nochmal deutlich geworden, dass das Amt des Queer-Beauftragten durchaus spannungsgeladen ist. Auf der einen Seite sind die Erwartungen aus der Community sehr groß, was ich teile – ich bin ja selber Teil der Community. Auf der anderen Seite bin ich natürlich eingebunden in die Kompromissfindung in einer Regierung mit drei Partnern, die zusehends schwieriger miteinander arbeiten. Umso mehr freue ich mich, dass wir bei dem Selbstbestimmungsgesetz nun wieder einen Schritt weiter sind.

Nicht nur diejenigen, die einen vereinfachten Geschlechtseintrag schon immer abgelehnt haben, sind empört. Auch die trans Community, deren Leben eigentlich erleichtert werden soll, hat teils mit massiver Kritik auf den Entwurf reagiert: Er würde transfeindliche Diskurse festschreiben und staatlich legitimieren, heißt es etwa. Können Sie das nachvollziehen?
Ich beschäftige mich intensiv mit dieser Kritik und nehme sie sehr ernst. Man muss aber unterscheiden zwischen zwei Formen von Kritik. Die eine kommt sehr brachial daher und behauptet zum Beispiel, dass dieser Gesetzentwurf schlechter sei als das Transsexuellengesetz. Das kann ich in keiner Weise nachvollziehen.

Warum nicht?
Das Selbstbestimmungsgesetz wäre eine massive Stärkung der Grund- und Menschenrechte und die Anerkennung von transgeschlechtlichen, intergeschlechtlichen und nicht-binären Menschen durch den Staat, ohne Fremdbestimmung. Staatliche Diskriminierung durch entwürdigende Verfahren wird dadurch beendet. Auf der anderen Seite ist die Erwartung sehr groß, dass mit diesem Gesetzentwurf auch gesellschaftliche Diskriminierung beendet wird. Das kann ein Gesetz aber leider nicht alleine leisten. Auch die Ehe für alle hat nicht verhindern können, dass es gesellschaftlich weiterhin Diskriminierung gegenüber Lesben und Schwulen gibt.

Dann wiederum gibt es Kritikpunkte an einzelnen Passagen in dem Gesetzentwurf, die ich teile. Ich werde durch eine eigene Stellungnahme als Queer-Beauftragter hier versuchen, auf Verbesserungen hinzuwirken.

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Der Ärger entzündet sich an zahlreichen Ausnahmen, die vorgesehen sind – etwa im Sport, fürs Militär oder bei Quotierungen. Ein markantes Beispiel: Im Kriegsfall sollen trans Frauen ihren Geschlechtseintrag nicht mehr ändern dürfen. Warum gehört das in das Gesetz?
Grundsätzlich kann man sehr darüber streiten, ob überhaupt Menschen zum Dienst an der Waffe gezwungen werden sollten in einem Spannungs- und Verteidigungsfall. Der Paragraf versucht einen Fall zu regeln, den es hoffentlich niemals geben wird. Man kann infrage stellen, ob das notwendig ist. Der Paragraf zwingt aber transgeschlechtliche Frauen nicht zum Dienst an der Waffe, das ist teilweise falsch berichtet worden.

Es wird weiterhin verboten bleiben, trans Menschen wegen ihrer Transgeschlechtlichkeit von Einrichtungen auszuschließen. 

Sven Lehmann

Was würden Sie am Gesetzentwurf ändern wollen?
Ich habe sehr stark wahrgenommen, dass der Hausrechtsparagraf Ängste auslöst. Im Gesetz steht, dass sich am Hausrecht bei privaten Einrichtungen wie zum Beispiel Schwimmbädern oder Saunen sowie am Diskriminierungsschutz im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nichts ändert. Das bedeutet konkret: Es wird weiterhin verboten bleiben, transgeschlechtliche Menschen wegen ihrer Transgeschlechtlichkeit von Einrichtungen auszuschließen. Richtigerweise!

Tatsächlich scheint der Gesetzentwurf hier eher zu verwirren. Denn es wird auch festgehalten, dass beim Zugang etwa zu Umkleiden oder Saunen im Einzelfall „differenziert“ werden darf.
Man muss leider intensiv suchen, um diese Klarstellung zu finden, dass sich an der derzeitigen Rechtslage nichts ändern wird. Das Hausrecht darf nie willkürlich ausgeübt werden, sondern immer im Rahmen des Diskriminierungsschutzes. Sollte die Bundesregierung an diesem Paragrafen festhalten, muss diese wichtige Klarstellung aus meiner Sicht ins Gesetz. Vor allem wenn dieser Teil des Gesetzentwurfs Angst bei denen auslöst, die er schützen soll. Da sich an der bestehenden Rechtslage wie gesagt nichts ändert, halte ich den Verweis auf das Hausrecht im Gesetz für nicht notwendig.

Würde der Paragraf so bleiben sind dann nicht zahlreiche Gerichtsverfahren zu erwarten, in denen geklärt werden muss, wie das Gesetz ausgelegt wird?
Der Gesetzentwurf versucht ja eben in der Begründung, alle möglichen lebenspraktischen Situationen zu beschreiben, um eben nicht klageanfällig zu sein. In der Realität haben wir aber gar nicht dieses Problem. Es hat in 17 Jahren AGG meines Wissens nach keine Rechtsstreitigkeiten zwischen transgeschlechtlichen Frauen und Frauensaunen gegeben. Im Übrigen sind transgeschlechtliche Frauen ja Frauen.

Ein weiterer Punkt, der für die kleinteilige Regelung steht: Im Sportunterricht sollen Leistungen unabhängig von dem aktuellen Geschlechtseintrag bewertet werden können. Bildung ist aber Ländersache.
Einige Regelungsbereiche, die jetzt in dem Gesetz rein deklaratorisch aufgeführt werden, liegen in den Zuständigkeiten der Länder. Dazu gehört neben Bildung zum Beispiel die Zuständigkeit für Haftanstalten. Das Gesetz soll hier vor allem darauf hinweisen, dass sich an dieser Hoheit nichts ändert.

Warum gehören „rein deklaratorische“ Sachen in einen Gesetzentwurf?
Das war vor allem dem Justizministerium wichtig. Wie gesagt: Es ist ein Entwurf. Jetzt sind Fachverbände gefragt, ihre Stellungnahmen abzugeben und dem möchte ich nicht vorgreifen. Sie werden die Punkte artikulieren, die aus ihrer Sicht verändert werden sollen.

Mich befremdet bei der öffentlichen Debatte eine Sache sehr.

Sven Lehmann

Zum Schluss schien sich in der Debatte um das Gesetz fast alles nur noch darum zu drehen, wie der Zutritt zu Frauensaunen geregelt werden soll. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Es hat sich gezeigt, dass die Ministerien sehr unterschiedlich an den Entwurf herangegangen sind. Das Familienministerium hat einen stark menschenrechtlichen Ansatz verfolgt. Dem Justizministerium war es darüber hinaus wichtig, alle möglichen Fälle von möglichem Missbrauch auszuschließen, mögen sie noch so absurd und fernliegend erscheinen. Mich befremdet bei der öffentlichen Debatte eine Sache jedoch sehr.

Welche?
In der ganzen Debatte wird oft so getan, als ob Gewalt gegen Frauen vor allem von transgeschlechtlichen Menschen, explizit transgeschlechtlichen Frauen, ausgeht. Das ist absurd und komplett an der Realität vorbei. Wir haben ein gesellschaftliches Problem mit Gewalt, die mehrheitlich von Männern ausgeht, die eben nicht transgeschlechtlich sind. Die finden leider ihre Wege, übergriffig zu sein gegenüber Frauen, in Partnerschaften, in der Familie, auf der Straße. Das nun ausgerechnet transgeschlechtlichen Frauen in die Schuhe schieben zu wollen, ist perfide und menschenfeindlich. Das stellt eine vulnerable Gruppe unter Generalverdacht, und dieses Geschäft sollte niemand betreiben.

Auch Interessensverbände werden nun zum Gesetzentwurf angehört. Werden Einwände zu Änderungen führen?
Das ist das normale Verfahren: Bevor die Regierung einen Gesetzentwurf beschließt, sind erstmal die Verbände dran. Dort ist die fachliche Expertise. Wir haben eine breite Community und Verbändelandschaft, dazu gehören auch Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände, Einrichtungen wie der Deutsche Frauenrat, der Kinderschutzbund oder die Kirchen. Eine Bundesregierung tut immer gut daran, deren Expertise ernst zu nehmen.

Wann wird das Gesetz in Kraft treten?
Mittlerweile tue ich mich schwer damit, Zeitpläne zu versprechen, vor allem wenn es nicht von mir abhängt, ob sie gehalten werden können. Ich kann sagen, was der aktuelle Plan ist: Die Bundesregierung soll im Sommer zu einem Beschluss kommen. Im zweiten Halbjahr findet dann das parlamentarische Verfahren im Bundestag statt. Ich finde es nach wie vor richtig und wichtig und auch möglich, dass das Gesetz in diesem Jahr beschlossen wird.

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