zum Hauptinhalt
Seit Jahren kämpfen trans Personen für die Abschaffung des diskriminierenden „Transsexuellengesetzes“.

© IMAGO / USA TODAY Network / Meg Potter

„Man fühlt sich erschlagen von dem ganzen Misstrauen“: Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz löst Kontroverse aus

Das Transsexuellengesetz soll durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt werden. Einige sehen in dem Gesetzentwurf einen Meilenstein, andere kritisieren das Schüren von Vorurteilen.

Das Justiz- und das Familienministerium haben am Donnerstagabend einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamen im Personenstandsregister vereinfachen soll. Bereits im Vorhinein gab es heftige Diskussionen über den potenziellen Missbrauch des Gesetzes, etwa bei sogenannten „Frauenschutzräumen“, wie Saunen - wobei diese Ängste von Menschenrechtsverbänden als unbegründet zurückgewiesen wurden.

Ähnlich kontrovers sind nun auch die Reaktionen auf den Gesetzentwurf, der im nächsten Schritt in die Ressortabstimmung und danach in die Verbändeanhörung durch die Ministerien gehen soll.

„Als trans* Person fühlt man sich beim Lesen erst einmal erschlagen von dem ganzen Misstrauen, das im Text enthalten ist“, sagt Julia Monro, Beraterin und Aktivistin. „Ich finde es zutiefst irritierend, wie viel Terf-Rhetorik da zu finden ist.“ Unter den Begriff „Terf“ werden Personen gefasst, die sich als Feministinnen bezeichnen, aber trans Personen von ihrem Feminismus-Verständnis ausschließen. Sie hatten immer wieder Stimmung gegen ein Selbstbestimmungsgesetz gemacht.

Problematisch findet Monro vor allem den Aspekt der „zusätzlichen Versicherung“. So sieht der Entwurf vor, dass neben der Erklärung über die Änderung des Geschlechtseintrags auch eine Eigenversicherung notwendig ist. „Wir haben beim Gesetz zur Dritten Option gesehen, wie willkürlich Standesämter mit solchen unklaren Regelungen umgegangen sind.“ Hinzu kommt, dass im Absatz zum Offenbarungsverbot Ausnahmen für Angehörige vorgesehen sind. „Damit bekommt eine nichtakzeptierende Verwandtschaft anscheinend einen Freibrief den Deadname, also den abgelegten Vornamen, zu offenbaren“, kritisiert Monro.

Innerhalb der Ampelkoalition gestaltete sich die Entscheidungsfindung in den vergangenen Monaten herausfordernd. „Als Abgeordneter weiß ich, wie schwierig es oft sein kann, mit dem Koalitionspartner Verhandlungen zu queeren Themen zu führen“, berichtet Adrian Hector, Sprecher für geschlechtliche Vielfalt bei den Grünen Hamburg. „Dabei müssen leider immer wieder Kompromisse eingegangen werden.“

Er freut sich über den Wegfall von Begutachtung und Gerichtsverfahren, kritisiert allerdings die Sonderregeln in Alltagssituationen. „Für intergeschlechtliche Menschen bedeutet die dreimonatige Karenzzeit eine Verschlechterung. Weder im Gesetz zur Dritten Option, noch im Transsexuellengesetz war eine solche Regelung zuvor enthalten.“

In den sozialen Medien wurde insbesondere der Aspekt der Wehrpflicht kritisiert. So sieht der Gesetzentwurf im Verteidigungsfall vor, dass die Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen bleibt, wenn „in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang“ der Geschlechtseintrag von männlich zu weiblich oder divers geändert wird.

Kathrin Vogler, queerpolitische Sprecherin der Linken-Bundestagsfraktion bezeichnete es als „erschreckend“, dass ein Kriegsfall überhaupt mitgedacht werde. „Damit wird ein ganz neuer Grad der Militarisierung der Gesellschaft erreicht.“

Gesetz könnte noch vor der Sommerpause verabschiedet werden

Sven Lehmann, Queerbeauftragter der Bundesregierung, hingegen sagte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa, man sei durch den Entwurf einen entscheidenden Schritt weiter.  „Damit ergreift erstmals eine Bundesregierung aktiv die Initiative, das diskriminierende Transsexuellengesetz nach über 40 Jahren zu ersetzen.“ Er äußerte zudem die Hoffnung, dass das Gesetz noch vor der Sommerpause im Bundeskabinett auf den Weg gebracht werden könnte.

Verbesserungen für trans Eltern

Der Gesetzentwurf sieht auch in Hinblick auf die Elternschaft einige Änderungen vor. „Für trans Eltern bietet der bisherige Entwurf wichtige Verbesserungen, die es zum Beispiel trans Vätern, die ein Kind auf die Welt bringen, endlich ermöglichen würden, in der Geburtsurkunde als ‚Elternteil‘ statt wie bisher als ‚Mutter’ bezeichnet zu werden“, erklärt die Juristin Lea Beckmann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte.

An der Zuordnung von Kindern zu ihren Eltern würde der Entwurf jedoch nichts ändern, sodass weiterhin nur ein Mann zum Zeitpunkt der Geburt zweites Elternteil werden könnte, nicht aber Frauen, Menschen ohne Geschlechtseintrag oder nicht-binäre Personen. „Dieser Missstand muss dringend in der überfälligen Reform des Abstammungsrechts beseitigt werden.“

Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* zeigte sich erfreut, dass der Entwurf nun endlich in die Ressortabstimmung gehe. „Das sind sehr gute Neuigkeiten für alle, die sich für den Schutz der Grundrechte von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen einsetzen oder persönlich auf diese Neuregelung warten.“

Justizminister Marco Buschmann und Familienministerin Lisa Paus.
Justizminister Marco Buschmann und Familienministerin Lisa Paus.

© IMAGO/Jürgen Heinrich

Leider bleibe in diesem Moment aber ein fader Beigeschmack, so Hümpfner. Denn in den vergangenen Wochen sei in der Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz wiederholt das Thema Hausrecht im Zusammenhang mit geschlechtergetrennten Räumen aufgetaucht. „Diese Diskussionen waren sehr schmerzhaft: An verschiedenen Stellen wurde das diskriminierende Narrativ von trans* Frauen als mögliche Sexualstraftäterinnen bedient. Gleichzeitig wurde eine missbräuchliche Änderung des Geschlechtseintrags in den Vordergrund gestellt und die Bedeutung des Gesetzes für trans*, intergeschlechtliche und nicht-binäre Personen in den Hintergrund gerückt.“

Diskussionen zum Hausrecht

Die Diskussion spiegele sich Hümpfner zufolge nun auch im Gesetzentwurf wider. So wird in Bezug auf das Hausrecht festgehalten, dass dieses bei bestimmten Einrichtungen „unberührt“ bleibe. Es soll etwa zum Schutz der Intimsphäre oder aus Gründen der persönlichen Sicherheit möglich sein, „beim Zugang zu Saunen oder Fitnessstudios für Frauen oder zu Umkleidekabine im Einzelfall zu differenzieren“, heißt es im Entwurf. Der Bundesverband Trans* will diesen Punkt prüfen und klären, ob er den Diskriminierungsschutz womöglich verwässert.

Es sei jedoch wichtig zu festzuhalten, dass das Selbstbestimmungsgesetz das Versprechen eines Paradigmenwechsels einhalte, sagt Hümpfner. „Das Selbstbestimmungsgesetz wird Hürden bei der Änderung des Vornamens und Geschlechtseintrag deutlich abbauen.“ Zum ersten Mal wäre die Erklärung der volljährigen Person selbst für eine Änderung ausreichend. „Das ist ein Meilenstein, um die Gleichberechtigung und Teilhabe aller Geschlechter voranzubringen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false