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Momentaufnahme am Rande des CSDs in Berlin 1997. „Zu dritt im Park“ nannte Trautsch dieses Bild.

© Rüdiger Trautsch

Chronist der Queers: Schwules Museum ehrt Rüdiger Trautsch

Ob CSD, Folsom oder Dragshow – Rüdiger Trautsch war mit seiner Kamera dabei. Jetzt ehrt ihn das Schwule Museum mit einer Werkschau unter dem Titel „Photography as a Way of Life“.

Mit konzentriertem Blick durch die große Brille zupft Reinhold das Kleid einer Schaufensterpuppe zurecht. Ebenso sorgfältig gestaltet der Dekorateur eine Damenschuh-Auslage des großen Kaufhauses, für das er tätig ist. Sein Arbeitsalltag ist auf zwei über 40 Jahre alten Schwarz-Weiß-Fotografien festgehalten, die jetzt im Schwulen Museum zu sehen sind.

Aufgenommen hat sie Rüdiger Trautsch, der Reinhold 1981 zum Protagonisten seiner Examensarbeit an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg macht. Dafür dokumentiert er nicht nur dessen unauffälliges Tagesleben, sondern auch sein dazu komplett konträres Nachtleben. Dann verwandelt sich Reinhold in Reinhilde, trägt eine blonde Perücke, lange künstliche Wimpern und viel Schminke. Trautsch schaut ihr beim Zurechtmachen zu und im Club, setzt sie in einer glamourösen Nahaufnahme in Szene.

Die Arbeit mit dem Titel „Aus Liebe hat es kaum einer gemacht“ umfasst zudem Interviews mit Reinhold, in denen er etwa von seinen Klappenbesuchen erzählt oder darüber reflektiert, wer ihn wann als Tunte wahrnimmt. Zusammen mit Fotos, die ihn in seiner Freizeit im Park oder beim Austausch von Zärtlichkeiten zeigen, entsteht das facettenreiche Porträt eines älteren Schwulen in der BRD zu Beginn der Achtziger.

Das Schwule Museum hat die Examensarbeit an den Beginn ihrer Werkschau von Rüdiger Trautsch gestellt, die eigentlich 2021 zu dessen 75. Geburtstag eröffnet werden sollte, was Corona verhinderte. Inzwischen ist Trautsch gestorben, doch Kurator Peter Rehberg konnte die Ausstellung assistiert von Dragan Simicevic und Jessica Walter nach den Vorstellungen des Fotografen einrichten, denn die Vorbereitungen waren schon weit gediehen.

„Aus Liebe hat es kaum einer gemacht“ wird nun erstmals überhaupt ausgestellt, was Trautsch sehr wichtig war. Die Arbeit markiert einen Neuanfang in seinem Leben, bis dahin war er Grafiker tätig gewesen.

Der Fotograf Rüdiger Trautsch (1946-2021).
Der Fotograf Rüdiger Trautsch (1946-2021).

© Eckhard Bühler

Nun fand er seine Rolle als Chronist der schwulen, später auch der queeren Bewegung und Kultur. So war er etwa bei der legendären Pfingstdemo 1973 in West-Berlin dabei, später immer wieder auf CSD-Demonstrationen sowie bei Fetischtreffen oder Filmfestivals. Sein Interesse galt den Schwulen im öffentlichen Raum, ein Raum, den sich die lange kriminalisierte und stigmatisierte Minderheit erst langsam zu erschließen begann.

Gerade aus der frühen westdeutschen Emanzipationsgeschichte gehören Trautschs Bilder zu den wenigen, die es überhaupt aus dieser Zeit gibt. Sieht man etwa die von ihm festgehaltenen kleinen Demos auf dem Ku’damm, könnte der Kontrast zu dem riesigen CSD-Spektakel, das nächste Woche durch die Hauptstadt rollen wird, kaum größer sein. Dasselbe gilt für die Bilderflut, die dabei entstehen wird.

Lebensfreude und Clubkultur

Die Fotos sind im Schwulen Museum größtenteils in schwarzen Rahmen auf regalartigen weißen Brettern aufgereiht, was der Ausstellung eine nahbare, fast häusliche Anmutung verleiht. Das passt insofern, als Fotografie für Rüdiger Trautsch immer ein Medium war, um Freundschaften zu schließen oder zu pflegen. Sehr schön zeigt das seine Serie „Paare“, für die er befreundete Paare in deren Wohnungen besuchte. Mal scheu, mal selbstbewusst schauen sie in seine Kamera, immer sind es liebevolle Aufnahmen. Hier gibt es auch einige Frauen zu sehen, sonst stark unterrepräsentiert bei Trautsch, dessen Schwarz-Weiß-Fotos meist ausdrucksstärker sind als seine Farbbilder.

Den Freundschaftsaspekt, auf den auch der Ausstellungstitel „Photography as a Way of Life“ verweist, hat der Kurator zudem mit einer feinen Idee visualisiert: Auf einem Bild ist die wilde Collage aus Bildern von Freund*innen zu sehen, die eine Wand in Trautschs Wohnung zierte. Daneben gibt es nun eine neue Collage an der Museumswand, an die Besucher*innen Bilder mit Bezug zu Trautsch pinnen können. Es ist schon einiges an Selfies und Schnappschüssen aus verschiedenen Zeiten zusammengekommen.

Eine auffällige Leerstelle im Werk von Rüdiger Trautsch ist das Thema HIV/Aids. Obwohl er die schlimmste Zeit der Epidemie hautnah miterlebte und auch sein Partner, mit dem er in den Achtzigern ein Fotostudio betrieben hatte, damals starb, gibt es dazu von ihm offenbar wenig und in der Ausstellung gar nichts. Vielleicht war es einfach zu schmerzhaft. Vielleicht fand Trautsch keinen fotografischen Zugang, zumal sein Interesse immer der lebensfreudigen, stolzen und widerstandsfähigen Seite der queeren Kultur galt.

Das spiegelt sich auch in den Schwarz-Weiß-Bildern aus dem Hamburger Club Front vom Beginn der Achtziger, die zu seinen stärksten gehören: küssende Männerpaare, lachende Menschen auf der Tanzfläche, verschwitzte Männeroberkörper, kunstvoll gestylte Frauen – die Euphorie und die Erotik in diesem frühen House-Club werden so anschaulich, dass man zum eingespielten DJ-Set glatt anfangen möchte mitzutanzen.

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