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Alte Normen? Die Arbeit von Männern und Frauen im Haushalt ist weiterhin ungleich verteilt.

© picture alliance , Westend 61 / Irina Heß

Geschlechterrollen und Arbeitswelt: „Männer müssen sich im Haushalt mehr engagieren“

Natalia Danzer, Professorin für Empirische Wirtschaftsforschung und Gender an der Freien Universität Berlin, im Interview über Stereotype bei der Studienwahl, Kinderbetreuung während der Pandemie und Unterschiede zwischen Ost und West.

Von Dennis Yücel

Frau Professorin Danzer, inwiefern prägen konservative Vorstellungen über Geschlechterrollen weiter die Arbeitsaufteilung zwischen Frauen und Männern?
Vorstellungen beispielsweise über erwerbstätige Mütter werden beinahe kontinuierlich progressiver. Das sehen wir in einer unserer Studien anhand von Daten seit dem Jahr 2008. Heute ist der Großteil der Frauen und Männer in Deutschland der Überzeugung, dass berufstätige Mütter ein genauso herzliches und vertrauensvolles Verhältnis zu ihren Kindern haben können wie Mütter, die nicht berufstätig sind. Interessanterweise konnten wir allerdings in der Hochphase der Corona-Pandemie einen Rückgang in der Zustimmung zu derartigen Positionen verzeichnen. Plötzlich waren konservative Ansichten wieder auf dem Vormarsch. Besonders unter Männern mit Kindern.

Wie erklären Sie sich diesen Rückgang?
Wir denken, dass die externe Kinderbetreuung, die während des Lockdowns komplett weggebrochen war, ein zentraler Faktor ist. Krippen, Kindertagesstätten, Schulen und Horte waren geschlossen. Die gesamte Care-Arbeit musste im eigenen Haushalt erbracht werden, wo oftmals zeitgleich im Homeoffice gearbeitet wurde. Das war ein Umbruch. Der Staat nimmt mit einer institutionellen Kinderbetreuung nicht nur Arbeit ab, sondern sendet auch ein gesellschaftliches Signal: Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist gesellschaftlich erwünscht. In dem Moment, in dem nicht nur die Unterstützung, sondern auch das positive Signal fehlte, haben sich die Menschen wieder an Mustern der Vergangenheit orientiert.

Hält dieser Rückwärtstrend an?
Nein, inzwischen nähern sich die Werte wieder stark denjenigen vor der Pandemie an. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass damit konservative Vorstellungen über Rollenmuster in Ausbildung und Beruf aus der Welt wären. Gender-Normen sind komplexe gesellschaftliche Konstrukte, die sich teilweise nur sehr langsam verändern. Sie haben auch heute noch einen großen Einfluss auf die Ausbildungs- und Berufsentscheidungen von Menschen in Deutschland.

Inwiefern?
Wir sehen beispielsweise nach wie vor, dass junge Frauen und Mädchen in technischen Studiengängen und entsprechenden Berufen unterrepräsentiert sind. Man könnte natürlich sagen, das hat einfach etwas mit persönlichen Interessen und Präferenzen zu tun. Sie könnten ja einfach entsprechende Studiengänge wählen. Allerdings muss man sich fragen, auf welcher Grundlage sich diese Interessen entwickeln und mit welchem Wissen über die späteren Konsequenzen die Entscheidungen getroffen werden. Psychologische Studien zeigen, dass stereotypisch geprägte Rollenmuster hier eine starke Rolle spielen. Technische Berufe werden häufig mit Männlichkeit assoziiert, soziale und künstlerische Berufe mit Weiblichkeit. Solche Stereotype prägen die Identität und Selbstwahrnehmung von Mädchen und jungen Frauen. Unbewusste Vorurteile können zudem sowohl bei Lehrkräften als auch bei Schülerinnen zu einer subjektiv verzerrten Einschätzung der tatsächlichen Leistung führen. Mädchen halten sich dann etwa für untalentiert in naturwissenschaftlichen Fächern, obwohl sie es gar nicht sind. Aus ökonomischer Sicht ist es wichtig zu verstehen, welchen Einfluss soziale Normen und Identitäten im Vergleich zu anderen Faktoren, zum Beispiel dem potenziellen Lohn, auf Bildungs- und Arbeitsmarktentscheidungen haben.

Noch immer sind Frauen in Deutschland seltener in Führungspositionen zu finden als Männer, verdienen aber durchschnittlich weniger – bei gleicher Qualifikation. Spielen Normen hier auch eine Rolle?
Die Gründe dafür sind vielfältig. Mit Sicherheit kann man aber sagen, dass die Geburt eines Kindes und die ungleiche Verteilung der Betreuungsleistung zentral sind. Und hier spielen natürlich Normen eine sehr starke Rolle. Wir sehen, dass Männer und Frauen in der Karriere-Entwicklung lange Zeit gleichauf sind. Dann, bei Geburt des ersten Kindes, kommt es bei vielen Frauen zu einem Karriereknick. Frauen treten beruflich ab diesem Zeitpunkt viel häufiger zurück als Männer. Um sich um Kinder und Haushalt zu kümmern, nehmen sie eine berufliche Auszeit oder arbeiten in Teilzeit. Damit sammeln sie weniger Arbeitserfahrung, sind weniger präsent, können weniger berufliche Netzwerke aufbauen. Oft schlagen sie auch Karrierewege ein, die eine größere Vereinbarkeit mit der Kinderbetreuung versprechen: Jobs mit mehr Flexibilität, geringerer Pendelzeit oder weniger Überstunden. Das sind oft Berufe, die von vornherein weniger gut bezahlt werden.

Welchen Einfluss können staatliche Institutionen auf die Geschlechterverhältnisse nehmen?
Die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt wird durch staatliche Instrumente beeinflusst und kann auch Einstellungen prägen. Besonders deutlich sieht man das bei einem Blick auf die ehemaligen sozialistischen Regionen Europas. In Ostdeutschland oder in Polen sind erwerbstätige Mütter schon viel länger eine Selbstverständlichkeit. Die Berufstätigkeit von Frauen wurde in sozialistischen Ländern über Jahrzehnte staatlich gefördert und gefordert. In diesen Ländern waren mehr Frauen in den sogenannten technischen Berufen und Studiengängen etabliert. Dieser Einfluss wirkt bis heute nach. In Ostdeutschland und osteuropäischen Ländern gibt es im Vergleich zum Westen verhältnismäßig mehr erwerbstätige Frauen und kleinere Gehaltsunterschiede zu den Männern. Diese Unterschiede werden wir uns in einem neuen Forschungsprojekt mit Schwerpunkt auf einen Ländervergleich zwischen Deutschland und Polen genauer ansehen.

Wie ist die Situation bei den Männern? Was verändert sich da?
Bisher konzentrierte sich die Debatte über Geschlechterverhältnisse am Arbeitsmarkt in der Forschung und der Gesellschaft vor allem auf die Erwerbstätigkeit von Müttern. Hingegen wurde die Frage, inwieweit es gesellschaftlich akzeptiert oder gewünscht ist, dass Väter mehr Verantwortung in der Familie und im Haushalt übernehmen, wenig beachtet. Wir sehen, dass sich die sozialen Normen und vor allem die Praxis bei Männern viel langsamer wandeln. Noch immer übernehmen vergleichsweise wenige Männer die gleiche Verantwortung im Haushalt und in der Kinderbetreuung wie Mütter. Zwar gehen immer mehr Väter in Deutschland in Elternzeit. Allerdings nehmen nur wenige Männer mehr als zwei Monate in Anspruch – was gerade der Minimalanforderung entspricht, um von dem finanziellen Anreiz zu profitieren, den ihnen der Gesetzgeber ermöglicht.

Sieht man Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland oder Deutschland und Polen?
Mehr berufstätige Frauen und zunehmend egalitäre Einstellungen hinsichtlich der Berufstätigkeit von Müttern gehen nicht automatisch einher mit mehr egalitären Normen hinsichtlich der Care-Arbeit von Vätern und kinderbetreuenden Männern. Tatsächlich hat es den Anschein, als seien die sozialen Normen und die Bereitschaft unter Männern, Verantwortung im Haushalt zu übernehmen oder sich um kleine Kinder zu kümmern, in Polen sogar noch geringer als in Deutschland. Viele Frauen sowohl in Ost- als auch in Westeuropa leben mit einer Doppelbelastung. Sie übernehmen mehr Verantwortung im Beruf, ohne dass die Männer mehr Verantwortung zu Hause übernehmen. Um von einer wirklichen Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt sprechen zu können, müssten sich mehr Männer im Haushalt und in der Kinderbetreuung engagieren. 

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