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Ein Überwachungsturm der Justizvollzugsanstalt in Berlin-Tegel.

© Paul Zinken/dpa

Debatte um Ausgang von inhaftiertem Mörder: Zahl der Fluchten von Frei- und Ausgängern in Berlins Vollzug geht zurück

Mit der Flucht eines Mörders aus dem Hells-Angels-Umfeld befasst sich der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses. Dabei werden solche Fälle seltener.

Ein bekannter Häftling, ein unbegleiteter Ausgang und eine Flucht – im politischen Berlin führte die Fahndung nach einem verurteilten Mörder zu Aufregung. Dabei sind solche Vorfälle nicht nur äußerst selten, sie wurden in den letzten Jahren auch immer seltener. Die Zahl von Fluchten nach Hafturlaub, Aus- und Freigängen lag zuletzt bei weniger als 100 Fällen pro Jahr. Noch in den Neunzigern gab es bis zu 400 solcher Vorfälle pro Jahr.

Auslöser der aktuellen Debatte ist die Flucht eines Mörders aus dem Umfeld eines Rocker-Netzwerks: Koray T. hatte 2016 am Kottbusser Tor in Kreuzberg einen 32-Jährigen nach einem Streit erschossen. T. und sein Schwager wurden dem Umfeld der Hells Angels zugerechnet.

Am 26. August dieses Jahres kehrte T. nach einem unbegleiteten, genehmigten Ausgang nicht in die Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel zurück, in der er seine achtjährige Haftstrafe im geschlossenen Vollzug absaß, den er nur ausnahmsweise und vor dem Fluchttag auch nur mit Bewachung verlassen konnte.

Dem Tagesspiegel liegen konkrete Zahlen zu ähnlichen Fällen für den offenen und geschlossenen Vollzug der letzten 30 Jahre vor. So kehrten in Berlin nach fast 64.000 Vollzugslockerungen 1992, also Hafturlauben sowie Aus- und Freigängen, insgesamt 364 Insassen nicht in die jeweilige JVA zurück; 2002 waren es nach circa 105.700 Vollzugslockerungen noch 152 und 2012 nach knapp 270.000 Lockerungen 113 Häftlinge.

Wegen der Corona-Maßnahmen sind die Zahlen zu 2020 und 2021 wenig aussagekräftig, im Präpandemie-Jahr 2019 kamen 76 Häftlinge nicht freiwillig in die jeweilige Anstalt zurück, bei fast 180.000 Vollzugslockerungen.

Pannen gibt es bei 0,05 Prozent der Vollzugslockerungen

Die meisten der geflohenen Gefangenen, ob aus dem offenen oder geschlossenen Vollzug, stellten sich nach einer Flucht selbst oder wurden von Fahndern gefunden. Die Zahl der "Nichtrückkehrer" in den Berliner JVA schwankt über die Jahre, weil auch die Zahl der genehmigten Vollzugslockerungen zwischenzeitlich zu- und abgenommen hat.

Der Trend jedoch ist klar: Weniger Inhaftierte nutzen Lockerungen für eine Flucht. In den Neunzigern war im Schnitt nach fast 0,5 Prozent aller Urlaube sowie Aus- oder Freigänge ein Gefangener geflohen. In den Nullerjahren sank die Quote auf weniger als 0,1 Prozent. Seit 2010 übersteigt sie kaum 0,05 Prozent.

Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) reagierte am Mittwoch auf entsprechende Vorwürfe aus der Opposition, Schwerkriminelle erhielten zu schnell Hafterleichterungen. Gefangene hätten ein Recht auf Resozialisierung, sagte Kreck dem Tagesspiegel: "Bestandteil dieser Arbeit sind auch Vollzugslockerungen, über deren Gewährung nach intensiver Prüfung in einem geregelten Verfahren entschieden wird. Selbstverständlich wird der aktuelle Fall eines Nicht-Rückkehrers in die JVA Tegel umfassend überprüft werden." Sie hoffe, sagte die Senatorin, dass die Fahndung nach dem geflohenen 28-Jährigen schnell zur Festnahme führe.

"Warum kam ausgerechnet dieser Häftling in den Genuss von Lockerungen?"

Nach Koray T. fahnden Berliner Polizisten, befürchtet wird, der Gesuchte habe sich ins Ausland abgesetzt. Der Opposition geht es zwar auch darum, den Druck auf Justizsenatorin Kreck zu erhöhen. Dennoch wissen die Rechtsexperten aller Fraktionen, dass Fluchten selten sind – und insbesondere in jenen Jahren häufiger waren, in denen die CDU den Justizsenator stellte.

"Wir wollen im Rechtsausschuss vor allem klären lassen, wie ausgerechnet dieser Häftling in den Genuss von Lockerungen gekommen ist", sagte der CDU-Justizexperte Alexander J. Herrmann. "Es handelt sich um einen Mörder, der mit einer Schusswaffe getötet hat und nach der Tat in die Türkei geflohen war. Dass dieser Mann unbegleiteten Ausgang erhielt, während dies selbst Dieben nicht immer zugestanden wird, muss die Senatorin gut begründen können."

Auch die Zahl der tatsächlichen Ausbrüche aus einem Gefängnis, also Fluchten aus einem geschlossenen und bewachten Gebäude, sind gering: Je nach Jahr entweichen null bis vier Insassen, fast immer Männer. Noch 1994 waren in Berlin mehr als 4000 Männer und Frauen inhaftiert. Die Stadt wuchs, 2007 waren knapp 5300 Menschen in Haft. Seitdem sank die Zahl der Gefangenen wieder, sie liegt derzeit bei 3500.

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