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© imago images/Emmanuele Contini

Verdächtige nicht selten polizeibekannt: In Berlin werden immer mehr homophobe Attacken gemeldet

Fast täglich berichtet die Polizei von queerfeindlichen Übergriffen. Welche Bezirke besonders betroffen sind und warum es so schwierig ist, Täter klar zu benennen. Ein Lagebild.

Berlin ist eines der queeren Zentren Europas. Der Christopher Street Day zog in der Vergangenheit über eine Million Teilnehmer an, ein Großteil der Hauptstadt-Clubs ist dafür bekannt, dass hier Menschen verschiedener sexueller Orientierungen willkommen sind. Der Regenbogen als Symbol der Community ist vor allem im sogenannten „Pride Month“ Juni überall im Stadtgebiet präsent.

Gleichzeitig gehören Übergriffe auf queere Menschen in Berlin nach wie vor zur Tagesordnung. Seit Jahren nehmen die gemeldeten Taten sogar zu. Aus einer schriftlichen Anfrage der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus vom vergangenen Herbst geht hervor, dass sich die Zahlen homophob motivierter Kriminalität im Vierjahresvergleich von 2021 zu 2018 sogar verdoppelt haben. Andere Statistiken gehen zwar von keiner Verdopplung aus, bestätigen aber einen stetigen Zuwachs an Vorfällen.

Die Situation ist komplex. Das hat vor allem damit zu tun, dass in der deutschen Hauptstadt viele unterschiedliche Zahlen, Daten und Auswertungen zu dem Thema existieren. Kaum anderswo in der Bundesrepublik gibt es so viele verschiedene Akteure, bei denen politisch motivierte Übergriffe oder Beleidigungen aufgrund der sexuellen Orientierung gemeldet werden können – von eigens installierten Ansprechpersonen bei Polizei und Staatsanwaltschaft bis hin zu unabhängigen Beratungsstellen wie „Maneo“ oder „ReachOut“, die teilweise auch queerfeindliche Vorfälle sammeln, die nicht von strafrechtlicher Relevanz sind.

Berlin als Vorreiter im Kampf gegen Hasskriminalität

Den Versuch, all diese Zahlen zu bündeln, unternimmt der Monitorringbericht der Berliner Polizei zu trans- und homophober Gewalt, der einmal jährlich vorgestellt wird und sich auf Zahlen von Behörden und Beratungsstellen beruft. Die jüngste Statistik aus dem Jahr 2021 vermeldete einen neuen Höchststand von 456 Straftaten gegen sexuelle Minderheiten. Berlin verfügt mit dem mehr als 300 Seiten langen Bericht als einziges Bundesland über ein Instrument, queerfeindliche Hassgewalt detailliert zu untersuchen.

Grundsätzlich gibt es in Berlin im bundesweiten Vergleich mit Abstand die meisten Ermittlungen infolge von queerfeindlichen Delikten. Experten erklären das zum einen damit, dass in der Hauptstadt die Bereitschaft offenbar größer ist, Straftaten dieser Art zur Anzeige zu bringen. Zum anderen seien auch die Ermittlungsbehörden wie das Landeskriminalamt seit einigen Jahren deutlich sensibilisierter in dem Bereich. Das führt dazu, dass die Berliner Zahlen regelmäßig im Lagebild des Bundesinnenministeriums ein bis zwei Drittel der bundesdeutschen Daten ausmachen.

456
Straftaten gegen sexuelle Minderheiten gab es im Jahr 2021 in Berlin

Ein Großteil der Delikte aus dem Monitorringbericht von 2021 sind Beleidigungen. Mehr als die Hälfte aller Vorfälle ereignete sich während der Abend- und Nachtstunden zwischen 18 und 6 Uhr. Geografisch liegen vor allem die Bezirke im Fokus, die gleichzeitig als queere Szenehotspots gelten. Also beispielsweise Mitte, Tempelhof-Schöneberg und Friedrichshain-Kreuzberg. Orte, an denen queeres Leben also besonders sichtbar ist. Schlüsselt man die Statistik jedoch nach Stadtteilen auf, führt Kreuzberg, dicht gefolgt von Neukölln.

In Bezug auf das Täterklientel sind sich fast alle Auswertungen einig. Die Tatverdächtigen sind fast ausnahmslos männlich, immer häufiger unter 20 Jahre alt und nicht selten polizeibekannt. Wie bei politisch motivierter Kriminalität üblich werden die Delikte unterschiedlichen Subkategorien der Motivation zugerechnet. Im Jahr 2022 meldete das Bundesinnenministerium deutschlandweit 639 Fälle aus dem Feld „nicht zuzuordnen“ – mit Abstand die höchste Zahl. Es folgen 321 Delikte aus dem Bereich politisch motivierter Kriminalität von rechts und lediglich 20 Fälle, bei denen das Ministerium eine „religiöse Ideologie“ ausmachte.

An der hohen Zahl jener Delikte, die angeblich nicht zuzuordnen sind, gibt es immer wieder Kritik. So ermordete im Oktober 2020 ein syrischer Islamist in Dresden einen Mann und verletzte seinen Partner schwer. Trotz erster Anzeichen für ein homosexuellenfeindliches Tatmotiv wurde das queere Hassverbrechen erst durch Medienrecherchen öffentlich. Zur allgemeinen Kritik an der mangelnden Einordnung vieler homophober Delikte kommt eine hohe Dunkelziffer an Vorfällen, die von offizieller Seite teilweise sogar mit bis zu 90 Prozent angegeben wird.

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