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Die Rudower Pfarrerin Beate Dirschauer bei einer Kundgebung gegen Nazis im Februar 2018.

© imago/Carsten Thesing

Update

Untersuchungsausschuss zu Rechtsextremismus in Berlin-Neukölln: Rudower Pfarrerin beschreibt „Klima der Angst“

Erneut hört der Untersuchungsausschuss zum Neukölln-Komplex Betroffene an. Diese sprechen über das anhaltende Bedrohungsgefühl.

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Beate Dirschauer nimmt sich ein in ihre Kritik. „Ich habe das selbst lange als lapidar wahrgenommen“, sagt die Rudower Pfarrerin über die Reihe rechtsextremer Vorfälle, die ihre Kirchengemeinde im Süden Berlins getroffen haben. Beim parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln wurden am Freitag erneut Betroffene im Abgeordnetenhaus angehört.

Dirschauer schilderte, wie sie bereits bei ihrem Antritt als Pfarrerin 2016 vor dem Klima in Rudow gewarnt worden sei. Als sie etwa ein Banner mit einer gegen Rechts gerichteten Parole am Pfarrhaus aufhängen ließ, habe der damalige Hausmeister geäußert: „Mal sehen, wie lange das dort hängt.“ Auch vor ihrem Amtsantritt habe es mehrfach Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremen und Gemeindemitgliedern gegeben, sagte sie.

Das entsprechende Banner wurde dann tatsächlich im Winter 2016 abgerissen und zerstört. In der gleichen Nacht hatte es auch einen Angriff auf die Rudower Buchhandlung Leporello gegeben: Dort waren die Scheiben eingeschmissen worden. Der Vorfall habe sie schockiert, sagte Dirschauer den Abgeordneten.

Reifen des Autos zerstochen

Tatsächlich bedroht gefühlt habe sie sich dann aber einige Wochen später: Im Januar 2017 seien bei ihrem Auto, das auf dem Gemeindeparkplatz parkte, alle vier Reifen zerstochen worden. „Da hatte ich das Gefühl, dass sich das direkt gegen mich richtet und nicht allgemein gegen die Gemeinde“, sagte sie. Nach wie vor habe sie ein latentes Gefühl der Bedrohung, den Eindruck, dass jederzeit etwas passieren könnte.

Innerhalb der Gemeinde und auch der Rudower Bevölkerung seien die einzelnen Vorfälle oft abgetan worden. Nach den Brandanschlägen auf die Autos des Buchhändlers Heinz Ostermann und des Linke-Politikers Ferat Kocak habe sich das Bild aber gewandelt. „Auch ich sehe erst im Rückblick das ganze Ausmaß und den Zusammenhang der einzelnen Vorfälle“, sagte Dirschauer.

Auch bei der Polizei beobachtete sie ab 2018 eine neue Sensibilisierung. Als in der Nacht zum 6. Dezember 2020 der Briefkasten vor dem Gemeindehaus angezündet wurde, habe die Polizei das sofort in einen rechtsextremen Kontext gestellt. Das Haus habe da bereits als gefährdet gegolten - auch, weil immer wieder Hakenkreuze und ausländerfeindliche Parolen an die Wände geschmiert worden seien.

„Dass die Beamtin das sofort als möglichen rechten Anschlag bewertet hat, sehe ich im Nachhinein als positive Entwicklung“, sagte Dirschauer, die den Behörden zuvor vorgeworfen hatte, lange den Seriencharakter der Anschläge ignoriert zu haben.

Im Anschluss schilderte Karin Wüst von der Betroffeneninitiative „Basta“, dass sie und ihre Mitstreiter:innen regelmäßig jeden Donnerstag Demonstrationen vor dem Landeskriminalamt (LKA) abhalten würden. Damit will die Initiative die Aufklärung der rechten Straftatenserie fordern und auf die Vermutung hinweisen, dass es innerhalb der Polizeibehörden rechte Netzwerke gebe.

Betroffene werfen Behörden mangelnde Transparenz vor

Bei diesen Kundgebungen würden sie regelmäßig von Menschen, die das LKA verlassen oder betreten, abfällige Kommentare erhalten. „Es ist für mich erschreckend, wie wir dort betitelt werden: wir seien linkes Gesocks, sollten doch lieber arbeiten gehen oder ähnliches“, sagte Wüst. In einem spezifischen Fall soll ein Beamter in Uniform sich minutenlang rassistisch geäußert und dann gesagt haben: „Den rechten Arm zum Hitlergruß zu heben tut doch niemandem weh.“

Wüst kritisierte, dass nach einer Anzeige der Initiative kein Strafverfahren gegen den Beamten eingeleitet worden sei, auch ein entsprechendes Disziplinarverfahren sei wohl im Sande verlaufen. Insgesamt sei die Kommunikation mit den Behörden schwierig, Fragen würden nicht beantwortet, kritisierte Wüst.

Zudem würden Mitarbeiter:innen ihnen immer wieder schildern, dass sie innerhalb des LKA nicht äußern könnten, dass sie sich gegen Rassismus engagieren - dafür würden sie gemobbt. „Wenn es rechte Verbindungen und Verknüpfungen der Beamten gibt, kann es nach meiner Auffassung keine Ermittlungsergebnisse geben“, sagte Wüst.

Polizeistreifen sorgen auch für latentes Gefühl der Gefahr

Auch Jürgen Schulte von der Initiative „Hufeisern gegen Rechts“ schilderte ein konstantes Bedrohungsszenario. Er selbst sei zwar bislang nicht Betroffener direkter Anschläge oder Gewalt geworden, habe aber immer wieder diskriminierende Äußerungen und Auseinandersetzungen erlebt. 2014 sei sein Name auf der Seite der Neuköllner NPD aufgeführt worden mit dem Hinweis, dass er „mal etwas härter angefasst werden sollte“.

Nach mehreren Gefährdeten- und Sicherheitsgesprächen habe es auch in der Siedlung Bedrohungsgefühle gegeben. So seien etwa die regelmäßigen Polizeistreifen „zweischneidig“, sagte Schulte. Einerseits würden sie das Sicherheitsgefühl erhöhen. „Durch die Streifen wird aber auch die Gefahr latent demonstriert, das führt bei Nachbarn zu Unsicherheiten und Ängsten“, sagte Schulte. Eine Zeit lang hätten Nachbar:innen ihn dann gemieden, um nicht selbst als Aktivist:innen zu gelten - und rund um sein Auto hätte niemand sein eigenes Auto parken wollen aus Angst vor Brandanschlägen.

Auch als 2017 Stolpersteine in der Siedlung gestohlen wurden, sei er wegen möglicher Anschläge besorgt gewesen. „Wir hatten eine Zeit lang Angst, dass wir die wiederbekommen - und zwar durch die Fensterscheibe“, sagte Schulte. Er sprach von „Terror“ gegenüber der Bevölkerung, der viele Menschen und auch Engagierte demoralisieren würde.

Der Untersuchungsausschuss soll mögliche Pannen und Ermittlungsfehler in einer Serie rechtsextremer Anschläge in Neukölln aufdecken. Dieser Serie werden 72 rechte Straftaten seit 2013 zugerechnet, darunter auch 23 Brandanschläge. Die beiden Hauptverdächtigen, der frühere NPD-Kreisvorsitzende Sebastian T. und der frühere AfD-Kreisvorstand Tilo P., stehen derzeit wegen einiger der Vorfälle vor Gericht.

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