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Ferat Kocak

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Update

„Meine Eltern hätten sterben können“: Linke-Politiker Kocak berichtet im Neukölln-Ausschuss über Brandanschlag

Auf Ferat Kocak wurde 2018 ein Brandanschlag verübt. Nun wurde er im Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Anschlagsserie in Berlin-Neukölln angehört.

| Update:

Beim Untersuchungsausschuss zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln sind am Freitag erneut Betroffene angehört worden – darunter auch der Linke-Politiker Ferat Kocak. Über Kocaks Doppelrolle als Betroffener, Zeuge und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss hatte es zuvor Debatten gegeben.

Auf Kocak wurde in der Nacht zum 1. Februar 2018 ein Brandanschlag verübt: Sein Auto wurde mutmaßlich von Rechtsextremisten angezündet, als es in einem Carport direkt neben dem Haus seiner Eltern geparkt war. Wie sich später herausstellte, griff das Feuer nur knapp nicht auf die angrenzende Gasleitung und das Haus über.

Kocak, der das Feuer in der Nacht entdeckt hatte, sagte im Ausschuss: „Meine Eltern hätten sterben können, weil ich mich politisch gegen Rechts engagiere.“

Zu Beginn der Vernehmung betonte der Ausschussvorsitzende Florian Dörstelmann (SPD) noch einmal, dass Kocak als Privatperson und nicht als Abgeordneter angehört werde – und daher auch keine Indemnität, also Sicherheit vor Strafverfolgung, für seine Aussagen in dieser Rolle gelte.

Auch Kocak selbst nahm darauf Bezug und bat die übrigen Abgeordneten in dieser Rolle, einen Wunsch der Betroffenen zu erfüllen: Diese hatten am Donnerstag in einem offenen Brief gefordert, dass Presse und Öffentlichkeit im selben Raum der Sitzung folgen können wie die Abgeordneten.

Pandemiebedingt muss die Öffentlichkeit derzeit den Ausschuss per Livestream aus einem anderen Raum des Abgeordnetenhauses verfolgen. Dass die Zeug:innen den Abgeordneten alleine gegenübersitzen müssten, sei angesichts der retraumtisierenden Effekte der Schilderungen psychisch eine Zumutung, sagte Kocak.

Kritik an Ermittlungsbehörden

Er kritisierte in seinen Aussagen die Ermittlungsbehörden. Zwar habe es viele Gespräche gegeben und auch die Betreuung durch die Kontaktbeamten der sogenannten „OG Rex“ sei gut gewesen. „Sobald ich eine Frage gestellt habe, bin ich aber gegen eine Wand gerannt“, sagte Kocak.

Zudem beschrieb er einen großen Vertrauensverlust gegenüber den Behörden, da er sowohl im Vorfeld des Anschlags – als der Verfassungsschutz bereits Hinweise darauf hatte, dass zwei verdächtige Neonazis ihn intensiv ausspionierten – als auch später, als ein Drohbrief des rechtsextremen sogenannten „NSU 2.0“ an das Berliner Landeskriminalamt ging, nicht gewarnt worden war. „Es gab viele Schattenseiten, aber auch Sonne, wenn in einigen Momenten dann die Betreuung da war, die ich gebraucht habe“, sagte Kocak.

Scharfe Kritik äußerte Kocak auch an der AfD-Fraktion, die Mitglied des Ausschusses ist. Zum AfD-Abgeordneten Antonin Brousek hin sagte Kocak: „Es macht mir Angst, dass ich als Opfer einer rechtsextremen Anschlagsserie jetzt von Vertretern einer Partei mit Faschisten in ihren Reihen verhört werde.“ Er verwies auf mögliche Verbindungen zu einem der beiden Hauptverdächtigen in der Anschlagsserie, Tilo P. Dieser war zum Zeitpunkt des Anschlages Beisitzer im Kreisvorstand der AfD Neukölln.

Insbesondere dankte er zudem Opferberatungsstellen wie „Reachout“ und „OPRA“, die Opfer rechter Gewalt psychologisch betreuen. „Ohne deren Arbeit würde ich heute nicht hier sitzen“, sagte Kocak. „Das Problem ist, dass die Bilder heute noch sehr lebendig sind“, beschrieb er und verwies vor allem auf die Schuldgefühle gegenüber seinen Eltern.

Gewerkschaftler Fendt hatte vor dem Brandanschlag gegen die NPD demonstriert

Am Nachmittag wurde der Gewerkschafter Deflef Fendt befragt, auf dessen Auto im Januar 2017 ein Brandanschlag verübt worden war. Fendt beschrieb, dass er im Rahmen der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 mit anderen Gewerkschafter:innen zusammen gegen einen Info-Stand der NPD demonstriert hatte. Dort hatte er auch sein Auto geparkt, das dann wenige Wochen später brannte.

Fendt beschrieb, wie ihn der Umgang der Polizist:innen zum Teil erschüttert habe. So sei ihm nach dem Brandanschlag auf sein Auto von einem Beamten gesagt worden, dass er sich ja nicht wundern müsse, dass sein Auto angezündet worden sei. Zudem habe ein Beamter suggeriert, dass man eben vorsichtig sein müsse und ihn gefragt: „Herr Fendt, seit wann stören Sie denn NPD-Veranstaltungen?“

 Ich lebe mit dem Gedanken, das ich beobachtet werde. Die erinnern mich regelmäßig daran, dass die noch da sind.

Detlef Fendt, Betroffener der Anschlagsserie

Die Kommunikation mit der Polizei insgesamt beschrieb er als schwierig, ihm sei auch nie konkret gesagt worden, dass es sich bei dem Anschlag auf ihn mutmaßlich um einen rechtsextremen Angriff handele. Er habe später aus Polizeikreisen einen Hinweis bekommen, dass es zwei Wochen vor dem Brandanschlag eine Halteranfrage für sein Auto gegeben habe. Dem Hinweis sei er aber nie nachgegangen.

Auch Fendt beschrieb, dass die Folgen des Anschlags nachwirkten. Bis heute habe er regelmäßig Sticker rechter Gruppen am Gartenzaun oder am neuen Auto, erst kürzlich brannte vor dem Wohnhaus einer jüdischen Familie in der direkten Nachbarschaft ein Auto. Fendt sagte: „Ich lebe mit dem Gedanken, dass ich beobachtet werde. Die erinnern mich regelmäßig daran, dass die noch da sind.“ 

Der Untersuchungsausschuss soll mögliche Pannen und Ermittlungsfehler in einer Serie rechtsextremer Anschläge in Neukölln aufdecken. Dieser Serie werden 72 rechte Straftaten seit 2013 zugerechnet, darunter auch 23 Brandanschläge. Die beiden Hauptverdächtigen, der frühere NPD-Kreisvorsitzende Sebastian T. und der frühere AfD-Kreisvorstand Tilo P., stehen derzeit wegen einiger der Vorfälle vor Gericht.

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