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© picture alliance / Maja Hitij/dp/Maja Hitij

„So viele wie nie zuvor“: Berliner Projekte gegen Antisemitismus berichten von Anfragenflut

Viele Institutionen seien auf das Thema kaum vorbereitet, berichten die Projektträger. Es brauche eine Ausweitung der Prävention – und verlässlichere Finanzierung.

Projekte zur Prävention von Antisemitismus in Berlin berichten von einer dramatischen Zunahme der Beratungsanfragen seit dem Angriff der Hamas auf Israel Anfang Oktober. „Wir haben seit dem 7. Oktober so viele Beratungsanfragen wie nie zuvor seit unserer Gründung 2017“, sagte Marina Chernivsky, Vorständin von Ofek, der Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung, am Donnerstagnachmittag im Fachausschuss des Abgeordnetenhauses. In sechs Wochen seien so viele Anfragen eingegangen wie sonst in zwei Jahren.

Ähnliches berichtete Rabbiner Elias Dray vom Bildungsprojekt „meet2respect“. Über das Projekt werden etwa gemeinsame Unterrichtsbesuche von Imamen und Rabbinern angeboten. Normalerweise hätten sie zwei bis drei Anfragen pro Tag, aktuell seien es 20, sagte Drey. Er, Chernivky und weitere Vertreter aus der Präventionsarbeit waren am Donnerstag im Ausschuss für Vielfalt und Antidiskriminierung im Abgeordnetenhaus eingeladen, um über Wirkung und Bedarf der Antisemitismusprävention in Berlin zu sprechen.

Dass Präventionsprojekte jetzt überlaufen seien und so viele Anfragen wie nie zuvor hätten, zeuge davon, dass die Strukturen – etwa das System Schule – nicht vorbereitet seien auf den Umgang mit diesem Thema, sagte Chernivsky während der Anhörung. Die meisten Institutionen in Deutschland betrachteten Antisemitismus immer noch als Einzelfall. Dabei sei es dringend notwendig, ihn als strukturelles Problem zu begreifen.

Die Muslime in Deutschland haben ein großes Problem mit Antisemitismus. Und die Nicht-Muslime haben es auch.

Dervis Hizarci von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus

„Wir müssen wirklich in die Professionalisierung investieren“, sagte Chernivsky. Oft seien es gerade die Entscheidungsträger, die von einem sehr limitierten Antisemitismusbegriff ausgingen. Die Ofek-Vorständin forderte, stärker in den Schulen anzusetzen. Aber auch jede Institution müsse dazu gebracht werden, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Derzeit sei man von allen Seiten umgeben von „antisemitischen Grunddispositionen“, jüdische Menschen trauten sich etwa nicht mehr, Taxi zu fahren und dabei Hebräisch zu sprechen. Mehrere anwesende Experten sprachen am Donnerstag von einer Zunahme vor allem des israelbezogenen Antisemitismus.

Mit Blick auf die Frage aus der CDU-Fraktion, aus welchen Gruppen heraus der Antisemitismus komme, sagte Chernivsky: „Natürlich haben wir ein Problem von Antisemitismus in den muslimischen und migrantischen Communitys.“ Aber es gebe ebenso ein massives Problem mit Antisemitismus in der „deutsch-deutschen Gesellschaft“. So ordnete es auch Dervis Hizarci von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (KiGa) ein: „Die Muslime in Deutschland haben ein großes Problem mit Antisemitismus. Und die Nicht-Muslime haben es auch“, sagte er.

Er verwies auf die prekäre Struktur für Förderprojekte wie der KiGa: „Unsere Finanzierungsstruktur ist immer fragil, wir stehen von Jahr zu Jahr auf wackeligen Füßen.“

Carl Chung vom Jüdischen Bildungswerk für Demokratie gegen Antisemitismus plädierte für eine langfristig ausgerichtete Bildungsarbeit mit Jugendlichen, aber auch für Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer. Mit Blick auf die Jugendarbeit dürfe man Fehler aus den 1990er-Jahren nicht wiederholen, bei denen man die Akzeptanz auf extremistische, demokratie- und menschenfeindliche Handlungen ausgeweitet habe.

Chung sagte, man müsse durchaus fragen, ob alle Projekte in der Vergangenheit den hohen Anforderungen von Prävention gerecht geworden seien. Auch er forderte eine bessere, dauerhaftere und verlässlichere Förderung der Präventionsarbeit.

Samuel Salzborn, der als Antisemitismusbeauftragter des Landes ebenfalls bei der Ausschusssitzung anwesend war, sprach mit Blick auf die Entwicklungen seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober von einer bedrückenden Situation in ganz Deutschland, insbesondere aber auch in Berlin: „Die Realität momentan ist, dass jüdisches Leben frei in Berlin meines Erachtens sehr wenig, in manchen Teilen der Stadt vielleicht auch gerade gar nicht möglich ist“, sagte Salzborn etwa mit Blick auf das Tragen eines Davidsterns oder einer Kippa.

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