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© Imago/Metodi Popow

Härtere Linie gegen „Letzte Generation“: Berlin führt Schnell-Prozesse gegen Klimaaktivisten ein

Klimaaktivisten sollen künftig in einfachen Fällen binnen kurzer Zeit vor Gericht gestellt werden können. Das Amtsgericht Tiergarten stockt nun auf.

| Update:

Die Berliner Staatsanwaltschaft will Klimaaktivisten der Gruppe „Letzte Generation“ künftig nach Blockaden vermehrt in beschleunigten Verfahren anklagen. Deshalb stockt das Amtsgericht Tiergarten laut einem Präsidialbeschluss nun auf. Das erfuhr der Tagesspiegel aus Justizkreisen. Auch die „taz“ berichtete darüber.

Klimaaktivisten sollen künftig in einfachen Fällen binnen weniger Tage oder Wochen vor Gericht gestellt werden können. Möglich ist für Urteile im Eil-Verfahren ein Strafmaß von maximal einem Jahr Freiheitsstrafe. Bereits rund ein Dutzend Anträge auf beschleunigte Verfahren soll es bereits geben.

Laut dem beschlossenen neuen Geschäftsverteilungsplan des Amtsgerichts werden sich künftig allein fünf Einzelrichter mit Verfahren gegen die Klimaaktivisten befassen. Bislang sind erst zwei Richterstellen besetzt, bei Bedarf sollen weitere Richter für derlei Verfahren abgeordnet werden.

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Schnellprozesse nach Sofortanklagen

Bislang gab es solche Stellen nicht. Lediglich am Tempelhofer Damm beim Bereitschaftsgericht in unmittelbarer Nähe zur Polizei saßen zwei Richter für beschleunigte Verfahren der Amtsanwaltschaft, die für leichtere Fälle zuständig ist.

Dort laufen nach Sofortanklagen Schnellprozesse, „die sich gegen auf frischer Tat vorläufig festgenommene Personen ohne festen Wohnsitz richten, in denen die Beweislage klar und nicht mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe zu erwarten ist“. So heißt es offiziell von der Justiz.

Die Anklagen dort werden spätestens einen Tag nach der Festnahme verhandelt. In diesem Verfahren „folgt die Strafe auf dem Fuß“. Es gehe meist um Laden- oder Taschendiebstähle, aber auch um Wohnungseinbrüche und Urkundenfälschungen. Angeklagt würden Personen, „die sich nur vorübergehend in Berlin aufhalten“ und daher nicht ohne weiteres greifbar seien.

Klimaaktivisten würden wie Kleinkriminelle behandelt, sagt ein Richter

Dass derlei nun auch für Klimakleber gelten soll, sorgt auch am Amtsgericht Tiergarten für Aufsehen. „Das gab es noch nie“, sagte ein Richter dem Tagesspiegel. Die Justizverwaltung prüfe, ob die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung sei, in Bayern werde wegen dieses Vorwurfs ermittelt, aber nun würden die Klimaaktivisten wie Kleinkriminelle behandelt. „Das passt nicht zusammen“, sagt der Richter.

Eine mögliche Nötigung bei einer Blockade, um die es bei den bisherigen Anklagen gehe, müsse umfangreich im Prozess ermittelt und im Urteil differenziert begründet werden, heißt es von Richtern. Erst jüngst hatte das Kammergericht entschieden, dass Blockaden nicht von der Versammlungsfreiheit gedeckt seien, doch für den Vorwurf der Nötigung sei eine „fallbezogene Abwägung“ nötig. Berücksichtigt werden müssten Dauer der Blockade, ob sie bekannt gegeben wurde, ob es Ausweichwege und einen Bezug zwischen der Blockadedemo und den Blockierten gibt.

Das ist aufwendig. Deshalb ist denkbar, dass Klimaaktivisten in den Eil-Verfahren weniger Nötigung vorgeworfen wird, weil die Polizei Blockaden ohnehin immer schneller auflösen kann. Es könnte vor allem um Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gehen.

Dieser Vorwurf hat sich auch in den meisten Urteilen durchgesetzt. Der Widerstandsvorwurf ist erfüllt, weil Polizisten das Ende oder eine Verlegung der Blockadeversammlungen anordneten, die auf der Straße Festgeklebten dem aber nicht folgen konnten.

Die Ladungsfrist beträgt 24 Stunden

Generell gilt laut Gesetz für beschleunigte Verfahren: Zwischen dem Eingang des Verfahrens beim Gericht und dem Prozess dürfen maximal sechs Wochen vergehen. Die Angeklagten werden geladen, ohne dass ihnen eine Anklage vorgelegt werden muss.

Nur mit der Ladung zum Prozess wird Beschuldigen mitgeteilt, was ihnen zur Last gelegt wird. Die Ladungsfrist ist äußerst kurz: 24 Stunden. Dann verhandelt das Gericht. Wenn eine Strafe von mehr als sechs Monaten zu erwarten ist, wird den Angeklagten ein Verteidiger gestellt, falls sie noch keinen haben.

Die Richter können in jedem Einzelfall bis zum Ende entschieden, ob sich der Fall überhaupt für einen Eil-Prozess eignet, ob im beschleunigten Verfahren oder in normaler Hauptverhandlung ein Urteil fällt.

Ich hoffe sehr, dass es hier keine politische Einflussnahme gegeben hat.

Sebastian Schlüsselburg, Rechtsexperte der Berliner Linksfraktion

Sebastian Schlüsselburg, Rechtsexperte der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, spricht von einer Kehrtwende der Staatsanwaltschaft und einer neuen Sonderjustiz gegen Klimaaktivisten. „Wenn jetzt beschleunigte Verfahren gegen Demonstranten der Letzten Generation durchgeführt werden, stellt sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft politisch instrumentalisiert wird“, sagte Schlüsselburg dem Tagesspiegel.

Noch im September habe der Leiter der Staatsanwaltschaft Jörg Raupach im Rechtsausschuss dargelegt, warum in diesen Fällen die gesetzlichen Voraussetzungen für solche Verfahren fehlten. Schlüsselburg will nun Akteneinsicht nehmen. „Ich hoffe sehr, dass es hier keine politische Einflussnahme gegeben hat“, sagte Schlüsselburg.

Alexander J. Herrmann, CDU-Sprecher für Rechtspolitik im Abgeordnetenhaus, begrüßte die neue Linie der Staatsanwaltschaft. „Mit der Durchführung beschleunigter Verfahren folgt die Strafe zügig auf die Tat, wie zum Beispiel die Entscheidungen des Amtsgerichts Heilbronn nur wenige Tage nach den Silvesterkrawallen und jüngst auch kurz nach Aktionen der Klimakleber zeigen“, sagte Herrmann. „Die Entscheidung, in Berlin nun weitere drei Abteilungen für beschleunigte Verfahren einzurichten, stärkt unseren Rechtsstaat.“

SPD-Rechtsexperte Jan Lehmann sagte der „B.Z.“: „Beschleunigte Verfahren haben sich in der Vergangenheit bewährt, wenn vielfach vergleichbare Taten begangen wurden und man eine schnelle Rechtssicherheit haben will. Damit nicht erst nach 20 Taten ein Urteil fällt.“

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