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In der Justizvollzugsanstalt in Moabit sitzen hauptsächlich Untersuchungshäftlinge ein.

© Mike Wolff

Gefängnis in Moabit: U-Häftlinge verklagen Berlin

Frühere Insassen der Anstalt in Moabit sprechen von menschenunwürdigen Haftbedingungen. Sie wollen das Land verklagen, so wie es Strafgefangene aus dem Großgefängnis Tegel bereits getan haben.

Auf Berlin kommen erneut Entschädigungsklagen wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen zu. Wie der Tagesspiegel aus Justizkreisen erfuhr, klagen ehemalige Untersuchungshäftlinge aus dem Gefängnis in Moabit, teilweise fordern sie jeweils mehrere 10 000 Euro Entschädigung. Derzeit werden bereits Fälle verhandelt, in denen verurteilte Insassen der Justizvollzugsanstalt Tegel entschädigt werden wollen. Sie klagen wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen in einigen Zellen. Hintergrund ist ein Urteil des Berliner Verfassungsgerichtshofs von 2009, wonach etwa Zellen im inzwischen geschlossenen Haus I von 5,3 Quadratmeter Größe gegen die Menschenwürde verstoßen haben.

In den neuen Fällen geht es nicht um Strafgefangene, sondern um Untersuchungshäftlinge – die Klagen aber sind ähnlich: Die Bedingungen in Moabit seien menschenunwürdig, auch weil die Verdächtigen bis zu 23 Stunden in Zellen eingesperrt gewesen seien. Nicht unwahrscheinlich ist, dass Gerichte den Klägern eine Entschädigung zusprechen, wenn auch nicht in der geforderten Höhe: In einem aktuellen Fall hat das Kammergericht einem Antrag auf Prozesskostenhilfe eines früheren Untersuchungshäftlings stattgegeben – und diese Hilfe wird nur bei hinreichender Aussicht auf Erfolg gewährt. Dem Antrag zufolge hatte der Mann mehr als 900 Tage in Einzelzellen in Moabit eingesessen, 23 Stunden täglich. Das Urteil zu menschenunwürdigen Haftbedingungen 2009 habe – so die vorläufige Einschätzung des Kammergerichts – „Maßstäbe aufgestellt, deren Anwendung dazu führen könnte, die von dem Antragsteller geschilderten Haftbedingungen als menschenunwürdig anzusehen.“ Aus dem aktuellen Beschluss geht auch hervor, dass die Richter nicht die geforderten 90 800 Euro als angemessene Entschädigung ansehen, sondern 25 100 Euro. Sollten solche Summen letztinstanzlich bestätigt werden, könnten sich viele (frühere) Untersuchungshäftlinge zu Klagen entschließen.

„Allein bei mir haben sich in den vergangenen Wochen zehn Mandanten gemeldet, einige Klagen haben wir schon eingereicht“, sagte die Anwältin Diana Blum. Dabei sei unerheblich, ob die Betroffenen nach der Untersuchungshaft verurteilt wurden.

Eine Sprecherin von Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) sagte am Montag, zu laufenden Verfahren könne man sich nicht äußern, zumal das Land ja Partei in den Prozessen sei. Kritische Stimmen kamen aus der Opposition im Abgeordnetenhaus. Womöglich werde auf die Justiz eine große Anzahl von Entschädigungsforderungen zukommen, sagte Dirk Behrendt, Rechtsexperte der Grünen. Seine Partei habe bei den Haushaltsberatungen darauf hingewiesen, dass das Land darauf nicht vorbereitet sei. „Damals meinte der Justizsenator, darauf verzichten zu können. Das könnte sich nun bitter rächen“, sagte Behrendt.

Die Gefängnisse in Tegel und Moabit sind um 1900 entstanden. Mit den beengten Verhältnissen in Tegel wird sich demnächst der Bundesgerichtshof (BGH) befassen. Klagen von drei Häftlingen auf Schadensersatz waren im August 2012 in Berlin in zweiter Instanz zunächst gescheitert: Die Richter folgten der Auffassung, die Unterbringung habe gegen die Menschenwürde verstoßen. Doch das Land könne wegen der seinerzeit fehlenden Regelungen nicht haftbar gemacht werden. Außerdem hätten die Betroffenen sofort eine Verlegung beantragen sollen. Rechtspolitiker Behrendt und Anwältin Blum räumen den Klägern vor dem BGH aber Chancen ein.

Unabhängig vom Streit um die Haftbedingungen muss Berlin ehemalige Sicherungsverwahrte entschädigen. Am Mittwoch hatte das Landgericht entschieden, vier ehemaligen Langzeithäftlingen stünden je zwischen 26 000 und 40 000 Euro zu. Nach einem viel beachteten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 2009 wurden die Männer freigelassen: Das Gericht in Straßburg hatte die seinerzeit in Deutschland übliche Praxis der Sicherungsverwahrung für unrechtmäßig erklärt.

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