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„Voicing Bethanien“ ist ein Projekt zum 50-jährigen Jubiläum des Bethanien in Kooperation mit dem Stadtmuseum Berlin.

© Kunstraum Kreuzberg/Bethanien

50 Jahre Kunstraum Bethanien in Berlin-Kreuzberg: „Man kommt sich langsam vor wie eine letzte Bastion“

Bei der Jubiläumsausstellung werden im Bethanien 40 Zeitzeugen-Interviews gezeigt, die den Ort geprägt haben. Einer von ihnen ist Stéphane Bauer, Leiter des Kunstraumes. Ein Gespräch.

Es hat eine gewisse Imposanz, dieses hufeisenförmige Gebäude mit den zwei markanten Türmen außen, den Säulen und langen Gängen innen. Direkt am Kreuzberger Mariannenplatz gelegen, befindet sich das Bethanien – einst Krankenhaus, nun einer der wichtigsten soziokulturellen Orte Berlins.

Mit der Ausstellung „Voicing Bethanien“, die am 1. September eröffnet wird, soll das 50-jährige Jubiläum des Kunstraumes Bethanien gefeiert werden. Bis zum 5. November können Interessierte die „vielstimmige und individuell erlebbare Erzählung“ besuchen. Diese besteht aus einer Installation der Künstlerin Sonya Schönberger in Form von 40 Videointerviews mit Zeitzeug:innen. Einer von ihnen ist Stéphane Bauer, seit 2002 Leiter des Kunstraumes.

Seine erste Begegnung mit dem Gebäude beschreibt er als „gespenstisch“, das Haus habe eine lange Geschichte, sagt er, und spielt damit auf die Vergangenheit als Krankenhaus an. In den langen Fluren und den großen Krankenräumen wurden Arbeitsunfälle und während des Krieges Verletzte behandelt. „Zum Teil ohne Narkose“, ergänzt Bauer.

Seit 2002 ist Stéphane Bauer Leiter des Kunstraumes Kreuzberg/Bethanien und seit 2016 Leiter des Fachbereichs Kultur und Geschichte im Bezirksamt.

© Voicing Bethanien/Sonya Schönberger/Berliner Zimmer

Mehr als 100 Jahre war das Bethanien ein Diakonissenkrankenhaus (1847-1970), dann wurde es als Kunst- und Bildungszentrum neu erfunden. Um diese fast 200-jährige Geschichte geht es im 2022 erschienenen Buch von Dietlinde Peters und Michael Dewey, das vor Ort ausliegt und den Titel „Die Diakonissenanstalt Bethanien 1847-1970. Eine stille Insel im Häusermeer“ trägt.

Bei der zwischenzeitlichen Besetzung des Georg-von-Rauch-Hauses 1971 mag es allerdings nicht ganz still gewesen sein. Im Vorwort bezeichnet Stéphane Bauer den „Rauch-Haus-Song“ der Band Ton Steine Scherben als „Hymne für die Ära der Hausbesetzungen und politischen Auseinandersetzungen in Kreuzberg“. Im Song heißt es: „Das Bethanien wird besetzt“.

Den Wandel Kreuzbergs beschreibt der in Frankreich aufgewachsene Stéphane Bauer als „frappant“: In seiner Studienzeit zwischen Bonn und Berlin sei der Bezirk noch „sehr wild und rau“ gewesen, mittlerweile aber viel bürgerlicher. „Der Mariannenplatz war lange einer der ärmsten sozialen Stadträume der ganzen Bundesrepublik“, erinnert sich Bauer, der gleichzeitig noch einen Job im Bezirksamt hat. Seit 2016 ist er auch Leiter des Fachbereichs Kultur und Geschichte und berät etwa das Straßen- und Grünflächenamt, wenn Anträge auf Kunst im öffentlichen Raum gestellt werden.

Die kleinen Gewerberäume sind jetzt Start-ups.

Stéphane Bauer, Leiter des Kunstraumes Bethanien über die Kreuzberger Oranienstraße

Er spricht von der Adalbertstraße 9, wo diesen Juni 40 Künstler:innen ihre Ateliers verlassen mussten. Der Gebäudekomplex wurde veräußert und die neue Immobiliengesellschaft wollte es leer haben. Und auch in der Oranienstraße habe es früher hunderte Künstler:innen-Ateliers gegeben, die nun verdrängt wurden. Und „die kleinen Gewerberäume sind jetzt Start-ups“, sagt Bauer.

Die Videoinstallation, die es bis zum 5. November im Bethanien zu sehen gibt, besteht aus 40 Interviews mit Menschen, die diesen Ort geprägt haben.

© Kunstraum Kreuzberg/Bethanien

Am Morgen vor dem Interview hatte er mit Annette Maechtel, der Geschäftsführerin der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst Berlin (nGbK), Kaffee getrunken. Vorher musste sie die Schlüssel für die Räume in der Oranienstraße 25 abgegeben. Unter derselben Adresse muss auch das Museum der Dinge bald ausziehen und der Traditionsbuchladen „Kisch & Co.“ schon vor zwei Jahren. Ein luxemburgischer Fonds wollte es so.

„Man kommt sich langsam vor wie eine letzte Bastion“, sagt Bauer. Der 60-Jährige versucht zuweilen zu vermitteln oder Künstler:innen zu unterstützen, die im Bethanien temporär günstig Räume für Ausstellungen mieten können.

Es sei ihm wichtig, dass das Bethanien als öffentliche Einrichtung mit immer wechselnden Künstler:innen und Kurator:innen arbeite – „um den Ort lebendig zu halten und kommunale Themen und Fragestellungen aufzugreifen“. Mit der Verwendung öffentlicher Gelder stehe das Bethanien natürlich gleichzeitig unter kritischer Beobachtung der Besucher:innen und medialer Berichte. „Wir waren die ersten, die Street Art in einem White Cube gezeigt haben“ – und das in einer Zeit, als der Innensenator versucht habe, Graffiti zu verhindern. Ähnlich sei es bei einer Ausstellung über Adbusting gewesen, also dem Verändern von Werbebotschaften im öffentlichen Raum.

Neben dem Gespenstischen betont Bauer explizit die Lebendigkeit des Bethanien. „Es gibt hier Kunstproduktion und -präsentation von jung bis alt. Im Sommer trifft man Kollegen aller möglicher Sparten von überall her“, erzählt er begeistert. 200 Besucher:innen gingen täglich ein und aus und das Besondere: Es ist vor allem auch ein „Nicht-Kunst-Publikum“.

Auch zum 50-Jährigen können alle kommen und die Geschichte des Bethaniens anschauen. Zum Jubiläum erscheint eine Chronologie aller Ausstellungen und das sind laut Bauer etwa 4000.

Die 40 Zeitzeugen-Interviews werden zudem Bestandteil des Videoarchivs des Stadtmuseums Berlin. Seit 2018 spricht Sonya Schönberger mit Berliner:innen unterschiedlicher Herkunft und Generationen (online unter www.berliner-zimmer.net). Sie erzählen, was sie bewegt.

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