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Symbolfigur einer Epoche. Marlene Dietrich.

© imago/United Archives Internatíonal

Tag 10 der Berlinale: Marlene Dietrich rastet aus

Bei der Berlinale kann man auf den Spuren der Goldenen Zwanziger wandeln – damals war Berlin Film- und Partyhauptstadt der Welt. Unser Autor muss die Tanzschritte im Ballhaus aber noch üben.

Eine Kolumne von Robert Ide

Rechtes Bein nach vorne kicken, rechtes Bein nach hinten stretchen, linkes Bein ums rechte Bein rum, Drehung, in die Hocke, mit den Knien wackeln, Arme zwischen den Beinen wedeln – „ist doch ganz einfach“, ruft Claire.

Beim dritten Schritt verknote ich mich im Ballhaus Berlin. Hier im traditionsreichsten Tanzlokal der Stadt gibt es noch Tischtelefone; nach einem Klingeln kommt Claire im Glitzerkleid von der Empore herunter, um zu zeigen, wie man Charleston tanzt. Als Berlin vor 100 Jahren Film- und Tanzhauptstadt der Welt war, haben sich hier viele Arme und Knie geküsst.

Im Ballhaus kann man Kondome an den Tisch bestellen

Die Berlinale ist eine Zeitreise, nicht nur wegen ihrer gut ausgesuchten Retroperspektive, bei der man noch einmal mit E.T nach Hause telefonieren kann. Rund ums Festival gibt es Ausstellungen und Touren, und so wandle ich nun mit dem Historiker Arne Krasting von „GetYourGuide“ auf den Spuren der Zwanziger Jahre. Arne hat in der Sehnsuchtsserie „Babylon Berlin“ mitgemacht. „Ich war zehn Drehtage dabei und eine Minute im Bild“, lacht Arne. Die Zwanziger gingen einfach zu schnell rum.

Der einzige Tanzkurs meines Lebens war Lindy Hop, ein wilder Swingtanz für Paare. Wir waren ein wildes Paar, aber tanzen konnte ich nicht. „Du musst mehr mit den Beinen bouncen“, rät mir nun Claire, während sie mit ihren Händen meine Beine entknotet. Tja, ich bin auch nicht mehr in den Zwanzigern.

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„Das soll Musik sein? Was für ein Dreck! Dussel!“ Marlene Dietrich kriegt sich beim Casting nicht ein. Die Berliner Göre – frech, aber als Schauspielerin und Tänzerin eher erfolglos – kriegt nach ihrem spontanen Ausraster die Hauptrolle im „Blauen Engel“ und wird Deutschlands Star von Welt. Berlin ist nun von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.

Frauen fahren Autos und küssen Frauen, im Ballhaus Resi an der Hasenheide kann man per Rohrpost Kondome an den Tisch ordern. In den Verbrecher-Kaschemmen am Nordbahnhof wird in Häftlingskleidung bedient und im Hinterzimmer haufenweise Koks gezogen. Für die Filme nehmen sie „Schneeweiß“, Traubenzucker mit Pfefferminz. „Das macht auch ziemlich high“, weiß Arne.

Asta Nielsen war der erste Weltstar des Kinos.
Asta Nielsen war der erste Weltstar des Kinos.

© Filmmuseum Potsdam

In der Pension Funk hinterm Ku‘damm steht noch der Schellackplattenspieler – hier hat Asta Nielsen, der erste Weltstar des Kinos, ihren Ruhm verdudelt und verdaddelt. Im Ersten Weltkrieg hing das Bild der Berlinerin aus Dänemark in den Schützengräben verfeindeten Länder; mit dem Tonfilm endete ihre große Zeit, sie starb einsam und verarmt.

„Berühmtheit ist ein Wort im Sande“ – Asta Nielsens Spruch prangt noch am alten Haus an der Fasanenstraße. Berühmt wurde sie mit einem Film, in dem sie einen Cowboy fesselt und um ihn herumtanzt. Rechtes Bein vor, rechtes Bein zurück, linkes Bein ums rechte Bein, Drehung um Drehung. Bis der Cowboy in Ohnmacht fällt.

Beim Tanzen lässt man das Leben fallen. Vielleicht sollte ich es noch einmal versuchen mit Lindy Hop. „Komm mal in meine Stunde“, sagt Claire. Meine armen Beine.

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