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Der Flur in der Klinik für Psychiatrie im Krankenhaus am Urban.

© imago/Christian Ditsch

Exklusiv

„Unmenschliche Zustände“ für Psychiatrie-Patienten: Personal einer Berliner Vivantes-Klinik formuliert Hilferuf

In der geschlossenen Psychiatrie des Klinikums am Urban in Berlin soll es diverse Missstände geben. Jetzt hat sich das Personal an die Öffentlichkeit gewendet.

Mit einer gemeinsamen Erklärung hat ein Teil der Belegschaft der geschlossenen psychiatrischen Stationen des Vivantes Klinikums am Urban auf einen Bericht des Tagesspiegels reagiert. Darin solidarisiert sich die Gruppe aus Pflegekräften, Psycholog:innen und Ärzteschaft mit den zwangsweise untergebrachten Patient:innen. Die Mitglieder möchten anonym bleiben. Auch der Vivantes-Konzern hat das Schreiben erhalten.

Der Tagesspiegel hatte zuvor über eine Resolution der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Friedrichshain-Kreuzberg berichtet. Die BVV äußerte „ihr Entsetzen“ über die „unmenschlichen Zustände“ auf den Stationen. Insbesondere kritisierte sie die beengte räumliche Situation und fehlende Freiflächen. Das Gesetz schreibt letztere in angemessener Größe vor.

In der Erklärung weist die Gruppe deshalb auf die „Dringlichkeit eines Neubaus“ hin. „Es mangelt vollständig an Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten sowie geeigneten Therapieräumen“, heißt es. Die mit richterlichem Beschluss eingewiesenen Menschen „haben keinen Zugang ins Freie“.

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Andere Mitarbeitende der geschlossenen Psychiatrie hatten schon im März 2022 einen Brief an die damalige Gesundheitssenatorin Ulrike Gote an den damaligen Finanzsenator Daniel Wesener (beide Grüne) sowie die Konzernleitung geschrieben. Sie kritisierten, dass auf den Stationen die bestmögliche Versorgung der Menschen im Bezirk „akut gefährdet“ sei. Der Brief von 2022 liegt der Redaktion vor. Mehrere Personen berichteten dem Tagesspiegel, dass sich die Situation seitdem nicht verbessert habe.

Raucherraum ist das Gemeinschaftszimmer

Nach Veröffentlichung des Artikels haben sich auch Patient:innen gemeldet. Einer beklagt, dass er zu selten ins Freie dürfe. Er erzählt außerdem von Zwangsfixierungen auf dem Gang. Nach Tagesspiegel-Informationen fehlt ein Isolierzimmer, dieses würde die Anzahl an Fixierungen wahrscheinlich reduzieren. Diese kommen jedoch auch regelmäßig in anderen Einrichtungen vor.

Eine Frau, die bis vor Kurzem Patientin in der geschlossenen Psychiatrie war, berichtet davon, dass die Stationen überbelegt seien. Sogar auf dem Flur hätten zwischenzeitlich Betten gestanden, so voll sei es gewesen. Während ihrer Zeit habe nur der Raucherraum als Gemeinschaftszimmer gedient.

Indes beharken sich Politik und Klinikkonzern gegenseitig. Der Senat dringt auf die schnellstmögliche Schaffung einer Freifläche; Vivantes moniert, die Mittel des Landes reichten nicht aus. Laut der Berliner Krankenhausgesellschaft beläuft sich der Investitionsstau aller Kliniken in den Jahren 2022 und 2023 auf 200 Millionen Euro, 2024 wird sich der Betrag voraussichtlich auf 400 Millionen Euro erhöhen. Dass die Bundesländer in Bauten und Technik der als notwendig erachteten Krankenhäuser investieren, ist Gesetz.

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Unwahrscheinlich jedoch ist, dass der Senat dem landeseigenen Vivantes-Konzern neues Geld zuschießt. Erstens sehen sich die Betreiber von 29 Berliner Krankenhäusern finanziell benachteiligt – dieser bevorzuge Vivantes unverhältnismäßig stark –, sie haben deshalb Klage eingereicht. Zweitens befindet sich Vivantes in einer prekären finanziellen Lage: Die Klinik-Kette hat das Jahr 2022 mit einem Fehlbetrag von mehr als 70 Millionen Euro abgeschlossen.

3,5
Jahre würde der Bau einer Modullösung hinter dem Klinikgebäude dauern.

Dies führt zu der paradoxen Situation, dass alle einen Neubau wollen und trotzdem nichts passiert. Vivantes möchte es am liebsten mit einer Zwischenlösung versuchen. Geplant ist ein Modulbau hinter dem Klinikgebäude, doch selbst dieses Vorhaben würde mindestens dreieinhalb Jahre dauern – vorausgesetzt, Vivantes hätte genug Geld. Ein Sprecher sagt, dies sei derzeit nicht der Fall.

Herausragende Arbeit des Personals

Die strukturellen Probleme möchte die Gruppe, die das Schreiben verfasst hat, nicht weiter mittragen. In der gemeinsamen Erklärung fordert sie, die Konzernleitung müsse „die bereits heute nur begrenzt zur Verfügung stehenden Mittel kurzfristig so priorisieren“, „dass eine gesetzeskonforme, akutpsychiatrische Versorgung in unserem Bezirk zeitnah ermöglicht wird“.

Denn das Personal verstoße „tagtäglich gegen geltendes Gesetz“: Nach diesem müssen Psychiatrien den täglichen Aufenthalt im Freien gewährleisten. Auf die Frage, wie der Sozialpsychiatrische Dienst Friedrichshain-Kreuzberg begründet, dass es Menschen zwangsweise in einer Einrichtung unterbringt, die gegen gesetzliche Vorgaben verstößt, antwortet ein Sprecher: „Innerhalb des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg stehen keine anderen Einrichtungen zur Verfügung, die eine Verpflichtung haben, psychisch kranke Erwachsene aufzunehmen.“

Trotz alledem leistet das Personal offenbar herausragende Arbeit. Das berichten mehrere Personen, mit denen der Tagesspiegel gesprochen hat. Die Patient:innen dürfen etwa an der Planung ihrer Therapie teilhaben, Zwangsmaßnahmen werden nachbesprochen. Die Stationen haben zudem Konzepte implementiert, die Gewaltsituationen nachweislich reduzieren konnten.

Die Psychiatrie im Klinikum am Urban ist für die Akutversorgung von fast 300.000 Menschen verantwortlich. Laut einem Vivantes-Sprecher sind die geschlossenen Stationen zu 100 Prozent ausgelastet, im Durchschnitt werde täglich eine neue Person zwangseingewiesen. In der Regel kämen aber mehrere auf einmal – das erkläre, warum es zeitweise zur Überbelegung komme.

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